Neue TIMS-Studie: Warum schneiden deutsche Grundschüler schwächer ab?
Grundschüler in Deutschland lernen gerne, haben sich laut der neuen TIMS-Schulstudie im internationalen Vergleich aber nicht weiter verbessert. Woran liegt das?
In Mathematik haben sich Viertklässlerinnen und Viertklässler in Deutschland etwas verschlechtert, in den Naturwissenschaften halten sie ihr Niveau: Das ist das Ergebnis der internationalen TIMS-Studie (Trends in International Mathematics and Science Study). Die am Dienstag veröffentlichte Studie ist die weltweit größte, in der Grundschülerinnen und Grundschüler getestet werden. Hier die wichtigsten Ergebnisse im Überblick.
Internationaler Vergleich
In Mathematik liegen die Viertklässler aus Deutschland im Mittelfeld aller teilnehmenden Staaten, allerdings signifikant unter dem Schnitt der EU-Staaten als auch der OECD-Staaten. In den Naturwissenschaften sieht es besser aus: Hier landen die deutschen Schüler in der oberen Hälfte, und zwar auf einem vergleichbaren Niveau wie die anderen EU- und OECD-Staaten. Auffällig ist aber, dass Deutschland im internationalen Vergleich zu 2007 und 2011 in beiden Bereichen zurückfällt. Damals habe man fast noch mit dem oberen Leistungsviertel mitgehalten, sagte Wilfried Bos, der Leiter der Studie: „Jetzt haben andere Länder deutlich zugelegt“ (siehe auch nebenstehendes Interview). Das gilt nicht nur für traditionell starke asiatische Staaten wie Singapur und Südkorea, sondern auch für europäische Länder wie die Niederlande und Dänemark. Der Leistungsunterschied zur Spitze jedenfalls ist groß: Der Abstand zu Singapur entspricht in etwa gut zwei Lernjahren.
Relative Stärken der Viertklässler in Deutschland sind in Mathematik der Umgang mit Daten, Geometrie und das Problemlösen, während sie in der Arithmetik, also dem einfachen Rechnen mit Zahlen, sowie beim Anwenden schwach abschneiden. In den Naturwissenschaften sieht es bei Grundkenntnissen in Physik/Chemie gut aus, während es vor allem in der Geographie hapert. Insgesamt schneiden in Mathematik wie in den Naturwissenschaften je elf Staaten in allen Bereichen besser ab als Deutschland.
Ursachen für das deutsche Abschneiden
Dass die Leistungen bestenfalls stagnieren, führen die Bildungsforscher auf „Veränderungen in den Schülerschaften“ im Vergleich zu 2007 und 2011 zurück. Zum einen kamen durch die Inklusion mehr Kinder mit besonderem Unterstützungsbedarf an die Regelschulen: Betrug deren Anteil vor einem Jahrzehnt 3,4 Prozent, sind es jetzt 5,9 Prozent. Zum anderen stieg der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund. Hatten 2007 gut 17 Prozent der Schüler zwei Eltern mit Migrationshintergrund, sind es nun 22,4 Prozent. „Wenn Lehrkräfte unter diesen Umständen ihren Schülern das Gleiche beibringen, ist das auch etwas wert“, sagte Bos.
Rechnet man die sozialen Veränderungen heraus, hätten die Ergebnisse besser ausgesehen: In Mathe hätte Deutschland um 12 Punkte zugelegt, in den Naturwissenschaften sogar um 22 Punkte. Claudia Bogedan (SPD), die Präsidentin der Kultusministerkonferenz und Bildungssenatorin in Bremen, vermutet, dass Länder wie Dänemark und Holland es besser als Deutschland schaffen, die Armut zu bekämpfen.
Leistungsstarke/Leistungsschwache
Zu den deutschen Problemen zählt, dass sich weder bei den sehr schwachen noch bei den sehr starken Schülerinnen und Schülern etwas tut. Unter den Leistungsschwachen ist die sogenannte Risikogruppe in Mathematik sogar wieder gewachsen: 23,3 Prozent der Grundschüler erreichen nicht Kompetenzstufe III. „Diese Schüler können mit Mühe und Not die Grundrechenarten“, sagte Bos; im weiteren Verlauf ihrer Schullaufbahn drohen ihnen deshalb erhebliche Schwierigkeiten. Im Jahr 2011 gehörten 19,3 Prozent der getesteten Schüler zur Risikogruppe, 2007 waren es 21,5 Prozent. In den Naturwissenschaften erreichen 21,6 Prozent diese Kompetenzstufe nicht.
Umgekehrt ist die Gruppe der Spitzenlerner im internationalen Vergleich in Deutschland zu klein. In den Naturwissenschaften geht sie im Vergleich zu 2007 sogar zurück: von 9,6 auf 7,6 Prozent. In Mathe kommen nur 5,3 Prozent in die Spitzengruppe – während es etwa in Nordirland 27,4 Prozent und in Ungarn 12,6 Prozent sind. Für „erschütternd“ hielt Bos den Befund, dass in Deutschland fast die Hälfte der besonders leistungsstarken Schülerinnen und Schüler in Mathematik den Unterricht als „wenig kognitiv aktivierend“ empfindet. Offenbar hätten Lehrkräfte „Hemmungen, richtig fordernd zu sein“. Auch Stefan Müller, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesbildungsministerium, bezeichnete die Situation für leistungsstarke Schüler als „nicht zufriedenstellend“, gerade im Blick auf andere europäische Länder. Umso wichtiger sei das Programm zur Förderung dieser Gruppe, das Bund und Länder am Montag auf den Weg gebracht haben.
Soziale Disparitäten
In kaum einem Land ist der Schulerfolg so sehr vom sozialen Hintergrund der Schüler abhängig wie in Deutschland – dieser Befund bestätigt sich erneut. Kinder, die aus einem Haushalt mit mehr als 100 Büchern kommen, haben in Mathematik einen Vorsprung gegenüber den Kindern aus Familien mit weniger Büchern, der mehr als einem Lernjahr entspricht. In nur fünf Staaten sind die sozial bedingten Unterschiede größer. Diese Disparitäten zu bekämpfen, bleibe eine große Herausforderung, sagte KMK-Präsidentin Bogedan. So haben auch bei gleicher Intelligenz und bei gleichen Leistungen Kinder mit Eltern aus der oberen Dienstklasse eine zweieinhalbmal so große Chance auf eine Gymnasialempfehlung der Lehrkräfte wie Kinder von Facharbeitern.
Aufgeholt haben indes Schüler mit Migrationshintergrund. Zwar beträgt ihr Abstand zu den Kindern ohne Migrationshintergrund in den Naturwissenschaften immer noch 47 Punkte. Im Jahr 2007 lag er aber noch bei 71 Punkten. In Mathematik verringerte sich der Rückstand in diesem Zeitraum von 45 auf 31 Punkte.
Mädchen/Jungen
In Mathematik liegen die Mädchen in Deutschland jetzt nur noch fünf Punkte hinter den Jungen, in den Naturwissenschaften ist der Unterschied von nur noch drei Punkten nicht mehr signifikant. Allerdings hat sich der Abstand zu den Jungen in Mathematik nicht verringert, weil die Mädchen zugelegt haben: Sie halten bloß ihre mittleren Leistungswerte aus den beiden Vorläuferstudien. Vielmehr sind die Leistungsvorsprünge der Jungen, die 2007 in Mathematik noch zwölf Punkte und in den Naturwissenschaften noch 15 Punkte betragen hatten, deutlich zurückgegangen. Verbessert haben sich die Mädchen – allerdings nur leicht – in den Naturwissenschaften, was mit der verstärkten naturwissenschaftlichen Förderung der Mädchen erklärt wird.
Motivation und schulisches Umfeld
Die große Mehrheit der Viertklässler in Deutschland ist mit Freude bei der Sache. Gemessen wurde die „positive Einstellung“ zum jeweiligen Fach. Danach mögen 66,8 Prozent den Mathematikunterricht, den naturwissenschaftlichen Unterricht sogar 76,5 Prozent. Bei beiden Fächern konstatieren die Bildungsforscher, dass Schülerinnen und Schüler am Ende der Grundschulzeit „insgesamt über sehr positive Einstellungen“ verfügen. Für KMK-Präsidentin Bogedan ist das ein Zeichen, dass „wir gute Schulen mit motivierten Lehrkräften haben“.
Fachfremd, also von Lehrkräften, die nicht Mathematik studiert haben, werden 18,6 Prozent der deutschen Schüler unterrichtet, in den Naturwissenschaften sind es 37,3 Prozent. Insgesamt bescheinigen die Bildungsforscher den Lehrkräften einen „methodisch abwechslungsreichen Mathematikunterricht“. Abgelesen wird das daran, inwiefern der Lehrervortrag dominiert oder auch in Einzel- und Gruppenarbeit gelernt wird. Im internationalen Vergleich liegt Deutschland hier relativ weit vorn – knapp hinter der Spitzengruppe mit Frankreich, Dänemark und Kanada, aber vor Japan, Finnland und den Niederlanden.
Amory Burchard, Tilmann Warnecke
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