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Legehennen in konventioneller Massentierhaltung.
© Julian Stratenschulte/dpa

Wie Landwirte in der Massentierhaltung denken: „Und dann: Tschüss, Hühner“

Pragmatische Landwirte und hoher ökonomischer Druck: Eine neue kulturwissenschaftliche Studie beleuchtet Praxis und Probleme der Intensivtierhaltung.

Unsere Bilder und Vorstellungen von Landwirtschaft - von "Ackerbau und Viehzucht" - könnten widersprüchlicher nicht sein. Als Konsumenten von Lebensmitteln werden wir mit werbewirksamen Bildern einer heilen bäuerlichen Welt und mit Produkten namens "Landliebe", "Wiesenhof" und "Gutfried" gefüttert.

Als kritische Medienkonsumenten lesen wir Berichte von Massen- und Intensivtierhaltung in "Agrarfabriken", die Tausende von Tieren in Käfighaltung und engen Schweinebuchten ohne Rücksicht auf Tierwohl und artgerechte Haltung zusammenpferchen. Tierschutzaktivisten liefern von ihren nächtlichen Einbrüchen in Ställe erschreckende Bilder und stellen die Tierhalter als "Tierschänder" an den Pranger.  

Für die städtisch geprägte Öffentlichkeit sind Risiken und Praktiken der Intensivtierhaltung wie Seuchengefahr, Antibiotikaeinsatz und Güllebelastung des Grundwassers als Schlagwörter Allgemeinwissen. Doch die Betriebe selbst und die Zustände in den Ställen sind meist eine nie betretene "Blackbox".

Das waren sie selbst für Barbara Wittmann, die mit Landwirtschaft - biologisch wirtschaftendem Ackerbau - aufgewachsene Autorin (und "Hobby-Hühnerhalterin") der jüngsten Studie über Intensivtierhaltung und deren Betreiber. Die Kulturwissenschaftlerin am Regensburger Rachel Carson Center befasst sich auf den Spuren Bruno Latours und dessen Akteur-Netzwerk-Theorie nicht vorrangig mit den "harten Fakten" wie Stallbautechnik, Zucht und Genetik, Düngung und Emissionsschutz.

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Vielmehr widmet sich Wittmann den subjektiven "weichen" Faktoren auf Seiten der Landwirte und Landwirtinnen. Deren Selbstbild und Selbstverortung "im Spannungsfeld von Ökologie, Ökonomie und Gesellschaft" hat sie in mehrstündigen Interviews und begleitenden Stallführungen protokolliert und ausgewertet.

"Vor Durchführung der Studie", bekennt sie, "stellten Geflügel- und Schweineställe auch für mich eine 'black box' dar, deren allmähliche Öffnung im Verlauf des Aufenthalts im Feld so notwendig wie spannend war - spannend sowohl den eigenen Reflexionsprozess als auch die Vielschichtigkeit des landwirtschaftlichen Wirtschaftsraums betreffend."

Von 25 Prozent Beschäftigten in der Landwirtschaft zu 1,4 Prozent

Es sind schließlich immer weniger Menschen, die eigenes Wissen und Erfahrung der landwirtschaftlichen Produktionsverhältnisse besitzen und damit zu Wort kommen. Während in den 1950er Jahren noch 25 Prozent der Erwerbstätigen im Agrarsektor tätig waren, waren es 2017 nur noch 1,4 Prozent bei einem stetigen Rückgang der Höfezahlen, aber Anwachsen der Tierzahlen und Flächen  der verbliebenen Betriebe.

Auf dem Cover stehen der Name der Autorin und der Titel, das Umschlagfoto zeigt Küken in einem Hühnerhof.
Das Cover des Buchs.
© Verlag

[Barbara Wittmann, Intensivtierhaltung. Landwirtschaftliche Positionierungen im Spanungsfeld von Ökologie, Ökonomie und Gesellschaft, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2021, 492 Seiten, 65 Euro]

Knapp 30 dieser Betriebe -  vorwiegend mit Hühnerhaltung, Putenmast, Schweinemast und Ferkelaufzucht  in der Größenordnung von fünf- bis sechsstelligen Tierbeständen - hat Barbara Wittmann für ihre Befragung im Bundesland Bayern gewonnen. Der Freistaat weist ein Drittel der deutschen Höfe und deutschlandweit die meisten Erwerbstätigen in der Landwirtschaft auf.

Warum sie ihre Studie auf Schweine- und Geflügelhalter beschränkt, erklärt sie mit der - im Vergleich zur Rinderhaltung - "ausgeprägten Pionierrolle von Hühnern, Puten und Schweinen im Zuge des in den letzten Jahrzehnten erfolgten Strukturwandels" und der öffentlich verfestigten Verbindung mit dem Begriff Tierquälerei.

"Höchste Hygienestandards" in den Ställen beobachtet

Die gute Nachricht ihrer Studie ist das Ergebnis ihrer Stallbegehungen, bei denen sich "das Bild einer von höchsten Hygienestandards und klinisch-technischer Ausstattung" geboten habe. "Weder siechten kranke oder verletzte Tiere in den besuchten Stallanlagen vor sich hin (...), noch waren die Anlagen selbst in irgendeiner Form verdreckt oder verwahrlost."

[Lesen Sie von unserem Autor auch die Rezension einer Berliner Publikation zur Geschichte der industriellen Schlachtung: Schlachthäuser für die Leistungsfähigkeit der Arbeiter]

Ein Unterschied der Zuwendung zu den betreuten Tieren zwischen kleineren und größeren Betrieben war nicht auszumachen, vielmehr schienen sich ihr Forschungen aus der Tiermedizin zu bestätigen, "die Charakter und Einstellung der Halter und nicht die Herdengröße als ausschlaggebend für die Qualität der Mensch-Nutztier-Beziehungen herausstellen“.

Das ändert jedoch nichts daran, dass diese Beziehungen vorwiegend von  ökonomischen Zwängen geprägt sind. Das macht die Schweine und das Geflügel zum bloßen "Tiermaterial", dessen endliche Schlachtung als Lebensmittel "für einen guten Zweck" erfolgt, wie sich ein Putenhalter ausdrückt.

Schweine, die in einem konventionellen Mastbetrieb gehalten werden.
In den von ihr besuchten Betrieben fand die Autorin hohe Hygienestandards in den Ställen vor (Symbolfoto).
© imago/Marius Schwarz

Während sich ein anderer Gesprächspartner zurechtlegt, die Tiere seien ja nicht menschlich, müssten aber "fair" behandelt werden, vermenschlicht ein Kollege den Zweck der Tiere als deren Lebensziel: Ihre Aufzucht sei für ihn "Kindergarten und Schule und dann kommen sie halt fort zum Arbeiten. Das war's."

Während seine Frau bei der Junghennenaufzucht emotional  an den künftigen Legehennen hänge, empfinde er selbst keine Emotion. "Wenn sie wegkommen, dann: ,Tschüs, Hühner!‘ (lacht)."

Unter ständigem ökonomischen Druck

So lustig ist den meisten Tierhaltern nicht zumute, die unter ständigem ökonomischem Druck stehen, zu "wachsen oder weichen" und sich für Stallneubauten und Produktionsausweitung zu verschulden. Auch deshalb arbeiten alle befragten Geflügelhalter in Bayern als Vertragspartner mit der Firma Wiesenhof zusammen, deren Marktmonopol ihnen eine gesicherte Abnahme- und Planungsperspektive bietet.

Die fehlt den Betrieben für eine Umstellung auf biologisches Wirtschaften, für das es nur einen langsam wachsenden, zersplitterten Markt und wenig Unterstützung durch Verbraucher gibt, die zwar Bioprodukte wünschen, aber nicht bezahlen wollen. Oder können - womit es ihnen wie den Landwirten geht, für die Umwelt- und Tierschutz "nicht in erster Linie eine Willens-, sondern eine Kostenfrage" seien.

Auf gut bayrisch mit dem Zitat eines Schweinehalters: "Wenn einer will, dass ich ihm das Schweinderl jeden Tag dreimal auf Gassi weisen tue und zahlt das ... dann machen wir das."

So einfach ist das für Autorin nicht. Aber sie teilt trotz ihrer ökologischen und klimapolitischen Grundüberzeugung Frank Uekötters Kritik (Am Ende der Gewissheiten. Die ökologische Frage im 21.Jahrhundert) an einer "rot-grünen Agrarwende", weil sie konventionelle und biologische Landwirtschaft gegeneinander ausspiele, statt sie gemeinsam zukunftsfähig zu machen. Dazu lasse die Politik bisher "sowohl langfristige Strategien als auch Phantasien vermissen“. 

Hannes Schwenger

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