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Der Direktor des Berliner Naturkundemuseums Johannes Vogel.
© Mike Wolff

Neue Pläne für das Berliner Naturkundemuseum: „Über die Zukunft der Welt reden“

Nicht mehr nur Sammeln und Dinos zeigen: Das Berliner Naturkundemuseum will sich politisch einmischen, sagt dessen Direktor Johannes Vogel im Interview.

Herr Vogel, weltweit schwindet die Artenvielfalt. Welche persönliche Erfahrung hat der Direktor des Museums für Naturkunde Berlin mit dem Artenschwund?

Mein Vater stammt aus Nordbayern und dort ist die Familie jeden Sommer hingefahren. Am Wegesrand vor dem Haus meiner Großeltern wuchsen immer Arnika und Augentrost. Als ich nach 20 Jahren im Ausland zurückkehrte, waren diese Pflanzen meiner Kindheit nicht mehr da. Der Eintrag von Stickstoffdünger ist in Deutschland flächendeckend so groß geworden, dass diese Pflanzen nicht mehr konkurrenzfähig sind. Die Art der Landwirtschaft, die wir betreiben, hat Auswirkungen auf Pflanzen, Insekten und die Vogelwelt.

Solche Beobachtungen gibt es viele, wissenschaftliche Studien dazu sind rar. Müssen sich die Naturkundemuseen, die mit ihren Sammlungen ja historische und heutige Natur vergleichen könnten, den Vorwurf gefallen lassen, nicht hinreichend geforscht oder eindringlicher vor dem Artenschwund gewarnt zu haben?

Die Frage, wer sich an die eigene Nase fassen muss, ist in der Tat wichtig. Wir müssen darüber nachdenken, welche Prioritäten wir setzen. Naturkundemuseen haben erst einmal die Aufgabe, das Leben zu dokumentieren. Zweitens erforschen wir die Biodiversität und die Evolution, also wie all die Arten zusammenhängen. Spätestens seit 1990, seit wir das Erbgut der Pflanzen und Tiere unserer Sammlung untersuchen können, betreiben wir intensive Forschung. Aber – und da fassen wir uns an die eigene Nase – wir können uns nicht mehr nur auf unsere Forschung und Ausstellungen zurückziehen. Wir müssen viel deutlicher klarmachen, was unsere Erkenntnisse am Ende bedeuten. Daher wollen wir uns künftig viel aktiver in die gesellschaftlichen und politischen Prozesse einbringen. Denn wir müssen der Natur in unserem Leben, in unserer Gesellschaft und Wirtschaft mehr Raum geben, als sie derzeit hat. Wie dringend nötig das ist, zeigt ein Beispiel: Im „English Dictionary“ für Kinder sind vor drei Jahren die Begriffe zum Thema Natur durch Smartphone- und Social-Media-Sprech ersetzt worden. Wir löschen Natur sogar schon in unserer Sprache aus. Das darf nicht so weitergehen. Und wer, wenn nicht wir Naturkundemuseen solllte sich dagegen wehren?

Wie muss sich das Museum dafür ändern?

Wir müssen uns zuallererst zu einem Informationsinstitut für Biodiversität entwickeln, das nicht nur Forscher nutzen können, sondern auch für die Öffentlichkeit wertvoll ist. Das Museum muss gewissermaßen digitalisiert, zu einem „Open Science“-Institut werden und alles, was wir tun, transparent, partizipativ und digital machen. Ob wir 2025 dann noch so etwas wie ein Museum sind – ich weiß es nicht. Natürlich werden wir weiter unsere Sammlung und Ausstellung behalten, damit bleiben wir ein Museum. Aber ich denke nicht, dass uns dieser Begriff dann noch hinreichend beschreibt. Wir werden viel mehr sein, nämlich ein integriertes Forschungsmuseum, eine global vernetzte Forschungsinfrastruktur.

Wie wollen Sie sich politisch einbringen?

Wir sind Idealisten. Wir glauben, dass wir als wissenschaftliche Institution auch die Möglichkeit der emotionalen Ansprache haben, um damit Menschen für einen rationalen Diskurs zu öffnen: Erst die Herzen öffnen, dann den Kopf. Das können wir besser als andere Forschungsinstitute, die ebenso hart daran arbeiten, dass es der Natur besser geht. Wir haben diese wunderbare Ausstellung und die Liebe der Menschen zu diesem Ort. Und wenn wir den Menschen verständlich machen, dass das, was sie sehen, nicht nur irgendeine Show ist, sondern eine Forschungssammlung, dann hoffen wir, dass wir darüber ein besseres Verständnis für den Nutzen von Forschung und Wissenschaft im Leben der Menschen erreichen. Dann können wir mit ihnen über die Zukunft der Welt reden. Das tun wir bereits, aber wir wollen dafür noch bekannter werden: als Plattform für gesellschaftlichen Dialog. Daher unsere Initiative „Für Natur“.

Ein Beispiel?

Wir hatten hier kürzlich eine vollbesuchte Veranstaltung zu der Frage, ob wir Mücken, die Krankheiten wie Zika, Dengue oder Malaria übertragen, ausrotten sollen. Es gibt eine neue Technik, Gene Drive, die das womöglich könnte. Zu solchen Themen tauschen wir uns untereinander und mit unseren Besuchern aus. Dabei geht es nicht darum, den Menschen zu sagen, was sie denken sollen, sondern wir wollen den Raum schaffen, dass darüber öffentlich diskutiert wird und Experten befragt werden können. Mit solchen diskursiven Veranstaltungen wollen wir uns an den Meinungsbildungsprozessen beteiligen und dazu beitragen, dass sich Gesellschaft verändert.

Wenn Sie politisch Einfluss nehmen wollen, dann müssen Sie aber auch Standpunkte beziehen.

Das tun wir. Aber zunächst müssen wir nach bestem Wissen und Gewissen Forschung betreiben. Das ist nie fehlerfrei und die Wissenschaft ist immer bereit, Ideen umzustoßen, wenn es neue Erkenntnisse gibt. Außerdem steht es keiner Institution an, zu behaupten, sie wisse, wie ein Problem zu lösen ist. Zwar sind wissenschaftliche Erkenntnisse wichtig, aber für Probleme wie die nachhaltige Nutzung von Natur müssen soziale und wissenschaftliche Lösungen zusammengebracht werden.

Andere gesellschaftliche Akteure sind weniger zurückhaltend, ihre Meinung zu proklamieren, auch ohne Fakten.

Ich bin Optimist. Ich glaube, dass nur authentische Organisationen langfristig etwas bewirken. Das Marktschreierische mag oft die Headlines bestimmen, aber das hilft der Gesellschaft nicht, den richtigen Weg zu finden. Das Museum für Naturkunde Berlin wird sich in den nächsten Jahren mit Positionspapieren einbringen. Es ist für uns ganz klar, dass es einen menschengemachten Klimawandel gibt, dass es ein menschengemachtes Artensterben gibt. Diese Positionen werden wir, wenn nötig, deutlich machen. Und wir haben gute Chancen, bei vielen Menschen Gehör zu finden. Wir reden mit ihnen über Wissenschaft! Daraus erwächst für mich eine Verantwortung, der wir nicht nur gerecht werden, indem wir wissenschaftliche Arbeit und schöne Ausstellungen machen. Sondern wir müssen uns einmischen.

Warum ist das eine Aufgabe ausgerechnet für die Naturkundemuseen?

Wir haben Antworten für die Gegenwart und Zukunft. Die Naturkundemuseen sind die einzigen Organisationen, die erklären können, wie die Natur früher mal gewesen ist. Wir können die fünf Aussterbekrisen der Evolution angucken, um etwas für die sechste, in der wir uns gerade befinden, zu lernen. Und wir können in die nähere Vergangenheit zurückschauen, indem wir das Erbgut der gesammelten Pflanzen oder Tiere untersuchen. So stellen wir etwa fest, ob die genetische Unterschiedlichkeit einer Art groß genug war oder ist, um sich an Umweltveränderungen anzupassen.

Sie reden von „Wir“. Wer ist das?

Wir haben die Direktoren der elf größten Naturkundemuseen weltweit eingeladen und wir werden besprechen, ob und wie sie sich unserer Aktion „Für Natur“ anschließen, deren Auftakt wir am Montagabend im Museum begehen. Der Philosoph Richard David Precht wird durch die Veranstaltung führen, auf der wir den Titel „Botschafter für Natur“ verleihen. Es ist ein Aufbruch, eine neue Ära für die Naturkundemuseen.

Das Gespräch führte Sascha Karberg.

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