Gentechnischer Schutzwall: Synthetische Mikroben auf Spezialdiät
Mit gezielten Erbgut-Eingriffen verhindern Forscher, dass gentechnisch erzeugte Organismen aus dem Labor türmen können. Denn sie brauchen Substanzen, die nicht in der Natur vorkommen.
Ob sie nun am Laborkittel eines Fabrikangestellten verschleppt oder über Abwasserrohre ins Meer gespült wurden, konnte nachher niemand mehr feststellen. Doch einmal passiert, waren die Blaualgen nicht mehr aufzuhalten, die Forscher für die Produktion von Biosprit aus Sonnenlicht optimiert hatten. Binnen weniger Monate vermehrten sich die synthetischen Mikroben im Pazifik. Sie verdrängten natürliche Plankton-Arten, Fische gingen an den Ausscheidungen der Biotech-Organismen zugrunde. Schließlich kollabierten ganze Ökosysteme.
Dieses Horrorszenario blieb der Gentechnik bisher erspart. Jetzt haben Forscher der Universitäten Harvard und Yale gentechnische Tricks vorgestellt, mit denen synthetische Lebewesen geschaffen werden können, die außerhalb des Labors nicht überleben und sich auch nicht mit natürlichen Lebewesen kreuzen können. Und erschaffen damit neben der alten eine neue, eine Xenobiologie. „Wir haben zum ersten Mal einen Organismus geschaffen, der aufgrund von diversen Veränderungen im gesamten Erbgut nicht nur einem anderen genetischen Code folgt“, sagt George Church von der Harvard-Universität in Cambridge, Massachusetts. „Wir haben den Organismus auch resistent gegen Viren und abhängig von einer Aminosäure gemacht, die in der Natur nicht vorkommt.“
Von Anbeginn der Gentechnik in den 1970er Jahre haben Genforscher in den neuen Werkzeugen zur Erbgutveränderung nicht nur die Möglichkeit gesehen, Bakterien oder Pflanzen so umzuprogrammieren, dass sie Arzneimittel, chemische Substanzen oder seltene Nährstoffe besser als jede chemische Fabrik produzieren. Sie nutzten die Gentechnik auch, um ihre Arbeitspferde im Labor zu „kastrieren“. So produziert das menschliche Darmbakterium Escherichia coli seit Jahrzehnten unzählige Stoffe in biotechnischen Anlagen – doch es ist eine Variante namens K12, die aufgrund verschiedener Mutationen nicht mehr im menschlichen Darm leben kann.
Der genetische Schutzwall wird noch sicherer
Aber im Erbgut von Bakterien können sich Mutationen anhäufen und die Mikroorganismen können mit anderen Bakterien Gene austauschen. Deshalb besteht die Möglichkeit, dass sie in der Umwelt doch überleben und sich verbreiten – mitsamt ihrer Genlast für die Produktion einer vielleicht schädlichen Chemikalie.
Mit den Änderungen, die Churchs Forscherteam und eine zweite Arbeitsgruppe um Farren Isaacs von der Yale Universität im Fachblatt „Nature“ vorstellen, werde ein solches Szenario „sehr, sehr unwahrscheinlich“, sagt Rupert Mutzel. Der Biologe von der Freien Universität Berlin hat 2011 den ersten künstlichen Organismus geschaffen, der nicht wie sonst in der Natur die vier bekannten Erbgutbausteine A, T, G, C verwendet, sondern anstatt des T (was für Thymin steht) ein 5-Chloro-Uracil in der DNS führt. Solche Bakterien sind nicht nur von diesem Stoff abhängig, den es in der Natur nicht gibt, sondern können auch mit ihren natürlichen Artgenossen kein Erbmaterial austauschen.
Church und Isaacs haben diese „genetische Firewall“ nun weiterentwickelt und ein ganzes Stück sicherer gemacht. Sie änderten das Erbgut des Darmbakteriums Escherichia coli an vielen Stellen, so dass es nur noch bestimmte künstliche Aminosäuren nutzen kann. Normalerweise nutzt die Natur 20 Aminosäuren, die als Bausteine von Eiweißen (Proteinen) gemäß den Informationen im Erbgut zusammengesetzt werden. Ihre Kunst-Organismen nennen die Forscher genomisch recodierte Organismen (GRO) – im Gegensatz zu GMO, genetisch modifizierten Organismen.
Sie bauen jede gewünschte Substanz
Den Forschern geht es nicht allein um Sicherheit. Die Xenobiologie biete auch „ungeahnte neue Möglichkeiten“, sagt Nediljko Budisa von der Technischen Universität Berlin, der seit Jahren an genetischen Firewalls und Xeno-Organismen arbeitet. Bakterien abhängig von künstlichen Aminosäuren zu machen, bedeute auch, dass diese Aminosäuren andere chemische Eigenschaften haben und folglich ebenso die Proteine, die die Mikroben daraus zusammenbauen. Dadurch können Arzneimittel oder Enzyme produziert werden, die natürliche Lebewesen nie herstellen könnten. „Synthetische Zellen können nahezu jede gewünschte medizinisch oder technisch interessante Substanz zusammenbauen“, sagt Budisa. „Käse, Joghurt, chemische Substanzen und Arzneimittel“, sagt Church. „Wir wollen, dass die Sicherheit und die Produktion von GROs profitiert.“
Bislang sind synthetische Organismen in der Regel nicht fit genug, um es mit den hochgezüchteten Produktionsstämmen aufzunehmen. Außerdem halten viele die Xenobiologie für unnötig, da die Natur in Milliarden von Jahren die nötigen Gene längst entwickelt hat, um vermutlich alle industriellen Bedürfnisse hinreichend zu erfüllen. „Es gibt keine Belege dafür, dass diese Behauptung stimmt“, sagt Mutzel. Manche Entwicklungsschritte können in der Natur einfach deshalb nicht gemacht werden, weil sie durch Selektionsdruck und Umweltbedingungen verhindert werden, meint der Forscher: „Im Labor können solche Organismen aber überleben, sich vermehren und dann trainiert werden, bis sie fit genug sind.“
Sie können sogar so verändert werden, dass sie vor den Widrigkeiten der Natur besser gewappnet sind. Zum Beispiel gegen Viren: Wenn diese Krankheitserreger auf synthetische Mikroben wie von Church und Isaac treffen, dann können sie sich aufgrund der anderen genetischen „Sprache“ der Bakterien nicht festsetzen und vermehren. Das ist nicht nur ein Vorteil für die biotechnische Produktion, in der Virenbefall hin und wieder ein Problem ist. Es ist gleichzeitig ein Sicherheitsmechanismus, denn Viren könnten Gene ins Bakterienerbgut einschleusen, mit dem die genetische Firewall umgangen wird. Wodurch die synthetischen Mikroben wieder mit der Umwelt kompatibel würden.
Die Gefahr ein für alle Mal bannen
Noch gibt es verhältnismäßig wenige „Xenobiologen“, die sich um genetische Firewalls bemühen. Dabei wäre es dringend nötig. Denn die Synthetische Biologie schickt sich an, völlig neuartige Organismen zu schaffen. So werden ganze Gruppen von Genen aus Pflanzen in Bakterien übertragen, um sie zum Beispiel die Malaria-Arznei Artemisinin produzieren zu lassen, die sonst nur aus dem Chinesischen Beifuß gewonnen werden kann. Andere Forscher entwickeln Organismen mit künstlichen Genen, die völlig neue, in der Natur unbekannte Stoffe produzieren. Raymond Zilinskas, Experte für Biosicherheit vom Monterey Institute of International Studies schrieb in einer Analyse, dass solchen synthetischen Organismen der genetische Stammbaum fehle und aus den Interaktionen der neu kombinierten Gene plötzlich neue Eigenschaften entstehen könnten.
Die Risiken, die mit dem versehentlichen Freiwerden solcher Organismen verbunden sind, seien deshalb „extrem schwierig abzuschätzen“. Dieses Problem sieht auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Akademie der Technikwissenschaften „Bei künstlichen biologischen Systemen könnten unerwartete Eigenschaften auftreten und zu unkalkulierbaren Risiken bei einer absichtlichen oder unabsichtlichen Freisetzung führen.“ Die neuen Sicherheitsmaßnahmen können diese Gefahren ein für alle Mal bannen.
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