Physik-Nobelpreis: Supernova - jünger, schneller, weiter
Sie wollten beweisen, dass sich der Kosmos langsamer ausdehnt. Aber wie sie feststellten, ist das Gegenteil der Fall. Drei Supernovaforscher werden nun mit dem Physik-Nobelpreis geehrt.
Man muss schon sehr enthusiastisch sein, um sich einer Aufgabe zu widmen, deren Lösung längst als ausgemacht gilt. Ein paar junge Astronomen ließen sich davon dennoch nicht schrecken. In mühevoller Kleinarbeit werteten sie in den neunziger Jahren Aufnahmen vom Sternenhimmel aus, um zu belegen, dass sich das Universum immer langsamer ausdehnt. Das zumindest sagte die über Jahrzehnte herrschende Lehrmeinung voraus.
Den gesuchten Beweis gaben die Daten aber nicht her, im Gegenteil. Offenbar nimmt die Expansion des Kosmos immer mehr Tempo auf, berichteten zwei konkurrierende Teams unabhängig voneinander im Jahr 1998. Gestern wurde den führenden Köpfen der Nobelpreis für Physik zugesprochen. Die mit zehn Millionen schwedischen Kronen (1,1 Millionen Euro) dotierte Auszeichnung geht an Saul Perlmutter, Brian Schmidt und Adam Riess, teilte die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften in Stockholm mit.
Die Entdeckung der Wissenschaftler erschütterte seinerzeit die Grundfesten der Kosmologie und trug entscheidend zu unserem heutigen Bild vom Universum bei. Demnach macht die uns bekannte Materie – Atome, Moleküle, Minerale – nur rund ein Zwanzigstel des Alls aus. Den weitaus größeren Teil bilden mit knapp einem Viertel die dunkle Materie und mit fast Dreivierteln die dunkle Energie. Dinge, die man sich nicht so recht vorstellen kann, ohne die der Kosmos den Formeln der Astrophysiker zufolge aber nicht funktionieren kann.
Der Löwenanteil des kosmischen Treibstoffs, die Dunkle Energie, ist eng mit den Arbeiten der Preisträger verknüpft. Während die sichtbare und die dunkle Materie eine Gravitation erzeugen, die Planeten, Sterne und Galaxien zusammenhält, macht die dunkle Energie genau das Gegenteil: Sie treibt das Universum auseinander, und zwar immer schneller.
Wie aber wollen Astronomen die Geschwindigkeit von kosmischen Objekten messen? Und wie können die Forscher Aussagen darüber treffen, wie sich das Tempo im Lauf der Zeit verändert?
Eine der Grundlagen ist ein Effekt, der allenthalben an einer belebten Straße zu erleben ist: Der Sirenenton eines Krankenwagens wird höher, wenn sich das Fahrzeug nähert; entfernt es sich wieder, nimmt die Tonhöhe ab. Dahinter verbirgt sich der Umstand, dass die Wellenlänge des Tons vom davonfahrenden Fahrzeug gestreckt wird, er klingt tiefer. Ein ähnlicher Effekt ist auch bei Lichtwellen zu beobachten. Fliegt ein Stern aus der Sicht eines Astronoms auf der Erde davon, werden die von ihm ausgesandten Wellen gestreckt. Dabei wird das ursprüngliche Lichtspektrum des Sterns zum Roten hin verschoben. Die Forscher sprechen daher auch von einer „Rotverschiebung“.
Die zweite Grundlage besteht darin, dass Lichtquellen schwächer erscheinen, je weiter sie von einem Betrachter entfernt sind. Wer im All in die Ferne schaut, blickt immer ältere Objekte an und sieht so gewissermaßen in die Vergangenheit. So lässt sich die zeitliche Entwicklung der kosmischen Ausdehnung studieren.
Für ihre Untersuchungen suchten Perlmutter, Schmidt und Riess nach besonderen Lichtquellen: Supernovae des Typs Ia. Dabei handelt es sich um die Explosion eines alten Sterns, der etwa so schwer ist wie unsere Sonne, aber nur so klein wie die Erde – ein „weißer Zwerg“. In einigen Fällen sind die weißen Zwerge Teil eines Doppelsterns. Das heißt, sie können dank ihrer Schwerkraft dem benachbarten Stern Gas entziehen. Sobald sie dank dieser kosmischen Räuberei die 1,4-fache Sonnenmasse erreicht haben, explodieren sie.
Das starke Licht, der typische „Fingerabdruck“ der ausgesendeten Wellenlängen sowie das charakteristische Muster der Helligkeitszunahme und -abnahme machen 1a-Supernovae zu hervorragenden Studienobjekten. Aufgrund ihrer unverwechselbaren Eigenschaften werden sie auch als „Standardkerzen“ der Kosmologie bezeichnet. Jede Minute setzen im Universum zehn weiße Zwerge zu diesem Finale an. Da der Schlussakkord aber nur einige Wochen lang erklingt, müssen die Astronomen die Ia-Supernovae schnell finden, wenn sie für Messungen genutzt werden sollen.
Lesen Sie auf Seite zwei, wie die Forscher nach geeigneten Supernovae zu finden.
Saul Permutter startete daher 1988 das „Supenovae Cosmology Project“. Brian Schmidt gründete 1994 das „High-z Supernova Search Team“, wo er maßgeblich von Adam Riess unterstützt wurde.
Um geeignete Supernovae zu finden, fotografierten die Forscher den Nachthimmel kurz nach Neumond und erneut nach drei Wochen. Beim Vergleich der Bilder fanden sie mehrere Dutzend Sternenexplosionen, die sich durch wenige helle Pixel auf den Bildern verrieten. Dann war Eile geboten, um die Supernovae zu vermessen, bevor das Spektakel vorüber war. Keine einfache Aufgabe, schließlich ist die Messzeit an leistungsfähigen Teleskopen Monate im Voraus verplant. Die beiden konkurrierenden Forschergruppen arbeiteten oft sogar mit denselben Teleskopen in Chile, Hawai und La Palma.
Die Resultate waren die selben: Rund 50 untersuchte Supernovae leuchteten schächer als erwartet, waren also weiter entfernt. Das Universum muss sich folglich in der jüngeren kosmologischen Vergangenheit schneller ausgedehnt haben anstatt langsamer.
„In den ersten Jahrmilliarden des Kosmos dominierte die Materie“, erläutert der Astrophysiker Matthias Bartelmann von der Universität Heidelberg. „Sie ruft Gravitation hervor und bremst die Ausdehnung.“ Die Expansion führte allerdings dazu, dass der Raum für Materie immer größer wurde, folglich ihre Dichte abnahm. „Die Dichte der dunklen Energie nahm aber nicht ab, so dass ihr relativer Anteil immer größer wurde.“ Vor rund sechs Milliarden Jahren hatte ihr Einfluss so weit zugenommen, dass die kosmische Expansion seitdem beschleunigt abläuft.
Ob dieser Vorgang in Zukunft ungehindert weitergeht oder irgendwann einmal gestoppt wird, können die Forscher nicht sagen. „Wir wissen einfach zu wenig über die dunkle Energie“, sagt Bartelmann. Ist es eine Naturkonstante, die in etwa der „kosmologischen Konstante“ entspricht, die Einstein seiner Relativitätstheorie einst hinzufügte, damit das Universum partout statisch blieb? Denn eine Expansion oder Schrumpfung, die seine Gleichungen zunächst hervorbrachten, konnte man sich damals nicht vorstellen. Später, als Edwin Hubble die Expansion nachwies, nannte Einstein die von ihm eingefügte Konstante eine „Eselei“ und verwarf sie wieder. Oder ist die dunkle Energie nicht konstant, sondern zeitlich veränderlich? Eine Frage, die zwar ein hochaktuelles Forschungsthema, aber eben nicht beantwortet ist, wie das Nobelpreiskomitee betont.
Das ist auch einer der Kritikpunkte, die im Berliner Mangus-Haus genannt wurden, wo die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) zum „Public Viewing“ der Preisbekanntgabe geladen hatte. „Insgesamt ist es von der Bedeutung her sicher gerechtfertigt, von der Datenlage her allerdings mutig, diesen Wissenschaftlern den Nobelpreis zu geben“, sagte Thomas Naumann vom Deutschen Elektronen-Synchrotron (Desy) in Zeuthen. „Wir wissen schlichtweg noch nicht, was der genaue Grund für die beobachteten Phänomene ist, das Prinzip ist noch unklar.“
DPG-Chef Wolfgang Sandner sah das entspannter. „Der heutige Tag ist der Beweis, dass Physik eine empirische Wissenschaft ist. Es ist vor allem die Entwicklung einer Beobachtungsmethode ausgezeichnet worden, nicht das Verständnis oder die Interpretation.“ mit nia
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