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„Recht auf Bildung“. US-Proteste gegen hohe Studiengebühren: Eine Privatuni nimmt im Schnitt 33 500 Dollar im Jahr.
© picture alliance / dpa

Unis in den USA: Studierende in der Schuldenkrise

In den USA steigen die Kosten für ein Studium rasant. Absolventen müssen immer höhere Kredite abbezahlen: Die Gesamtschuld beläuft sich inzwischen auf 1,4 Billionen Dollar.

Als Harry und Linda ihr erstes Kind bekamen, fing das Sparen an. Die Eheleute aus einem wohlhabenden Vorort von Washington müssen selbst als Doppelverdiener jahrelang viel Geld zurücklegen, um ihren Sohn Julian auf die Universität schicken zu können. Inzwischen steht Julian kurz vor dem Schulabschluss – doch niemand kann garantieren, dass das angesparte Kapital für die Uni reichen wird. Die Kosten für ein Universitätsstudium in den USA steigen so rasant, dass selbst ein Student aus der oberen Mittelschicht möglicherweise einen Kredit braucht: Für Millionen Amerikaner beginnt das Berufsleben nach der Uni deshalb mit einer erdrückenden Schuldenlast.

Die Kostenexplosion an den Unis und die damit verbundene Schuldenkrise für Hochschulabsolventen in den USA werden zu einer Zeitbombe für eine ganze Generation. Der wenige Wochen bevorstehende Beginn des Wintersemesters an den US-Unis wird diese Bombe noch ein wenig lauter ticken lassen. Rund 44 Millionen Amerikaner schleppen zum Teil sehr hohe Schulden aus ihrer Studienzeit mit sich herum.

Kredite abbezahlen bis zur Rente

Insgesamt belaufen sich die Verbindlichkeiten auf 1,4 Billionen Dollar, das entspricht der jährlichen Wirtschaftsleistung von Südkorea, der elftgrößten Volkswirtschaft der Welt. Etwa jeder fünfte verschuldete Ex-Student in den USA kann seine Kredite nicht mehr bedienen, weil er nicht genug verdient. Selbst wenn nach der Uni ein gut dotierter Job herausspringt, muss man mitunter lange auf das Ende der finanziellen Sorgen warten, denn es kann Jahrzehnte dauern, bis der Schuldenberg abgetragen ist: zahlen bis zur Rente.

Dass in Deutschland und anderen europäischen Staaten keine oder vergleichsweise geringe Gebühren für das Studium erhoben werden, hören Harry und Linda (Namen geändert) mit ungläubigem Staunen. In den USA herrscht nach wie vor weitgehend Konsens darüber, dass die Finanzierung der Hochschulbildung nicht Sache des Staates, sondern des Einzelnen ist. So gibt es nur in vier Bundesstaaten öffentliche Hochschulen, die keine Gebühren erheben. An diesen Community Colleges kann nur ein Grundstudium absolviert werden. Für einen Abschluss müssen mindestens vier weitere Semester an einer anderen Hochschule folgen.

Lange fuhren die Amerikaner mit ihrem System recht gut. In den 1970er Jahren kostete das Studium an der Elite-Universität Harvard jährlich 2600 Dollar, das war damals etwa ein Viertel des Einkommens einer Normal-Familie. Heute müsste dieselbe Familie fast ihr gesamtes Jahreseinkommen aufwenden, um einem Kind die Harvard-Gebühren von mehr als 45 000 Dollar jährlich zu bezahlen. Kost und Logis sind dabei nicht einmal mitgerechnet. Die Studienkosten in den USA seien in den letzten 30 Jahren um 400 Prozent gestiegen, berichtete die Zeitschrift „Atlantic“.

Private Unis nehmen im Schnitt 33 500 Dollar im Jahr

Im Schnitt knapp 33 500 Dollar im Jahr kostet derzeit der Studienplatz an einer privaten Uni in den USA – vor zehn Jahren waren es noch 26 400 Dollar. Allein in den letzten fünf Jahren sind die Gebühren um 13 Prozent gestiegen. Öffentliche Universitäten sind mit knapp 10 000 Dollar im Jahr zwar wesentlich billiger, bieten aber schlechtere Chancen auf einen gut bezahlten Job nach dem Abschluss.

Die Inflation und die Bemühungen der Universitäten um bessere Angebote für die Studierenden – einige Hochschulen locken beispielsweise mit Kletterwänden – sind einige der Gründe für die Entwicklung, wie der Fernsehsender CNBC berichtete. Wesentlich drastischer wirkt sich die globale Finanzkrise von 2008 aus. Damals fuhren die Bundesstaaten ihre Bildungsbudgets um durchschnittlich 30 Prozent zurück, um ihre Haushalte zu stabilisieren. Die reduzierten Subventionen für die Universitäten führten zu höheren Gebühren für die Studierenden.

Hinzu kommt, dass sich zwar die angesehenen Unis auf reiche Geldgeber verlassen können, Allerwelts-Hochschulen aber nicht. Harvard erhielt kürzlich eine Spende von 400 Millionen Dollar von einem wohlhabenden Unternehmer, der sich auf diese Weise für seine vorzügliche Ausbildung bedanken wollte. Viele andere Unis ohne zahlungskräftige Sponsoren müssen bis zu 80 Prozent ihrer Kosten über Studiengebühren decken.

Die Folge: Viele Absolventen geben auf Jahre wenig aus

Kredite, die meist bei der US-Bundesregierung aufgenommen werden, sind deshalb für viele junge Leute der einzige Weg zu einem Hochschulabschluss. Wenn nach dem Studium ein Posten mit attraktivem Gehalt herausspringt, ist dies ein kalkulierbares Risiko, auch wenn viele Absolventen trotz guter Jobs jeden Cent zweimal umdrehen müssen, um ihre Schulden abbezahlen zu können. Das hat Auswirkungen auf die ganze amerikanische Wirtschaft: Statt sich neue Autos, Fernseher und Wohnungen zu kaufen, geben Millionen von US-Bürgern über Jahre erst einmal wenig aus.

Geschichten wie die von Melissa Cefalu und ihrem Mann Andrew sind typisch. Mit ihrer Hochschulausbildung und ihren Jobs gehören Cefalu, eine Tierärztin, und Andrew, ein Chiropraktiker, in ihrer Heimat im Bundesstaat Mississippi zur oberen Mittelschicht – zumindest theoretisch. Praktisch schlagen sie sich seit dem Studium mit einer Schuldenlast von insgesamt 365 000 Dollar herum, wie Melissa der Zeitung „USA Today“ sagte. Das Ehepaar verdient zusammen zwar 125 000 Dollar im Jahr, fährt aber ein 13 Jahre altes Auto und macht nie Urlaub. Cefalu trägt die abgelegte Kleidung ihrer Schwester und zweifelt daran, dass sich all die Mühen des Studiums gelohnt haben. „Ich glaube nicht, dass mein Abschluss die täglichen Opfer wert war“, sagte Melissa.

Wer als Bankrotteur auffällt, hat es später schwer

Dabei gehören die Cefalus noch zu den Glücklichen, denn sie haben ein Einkommen, das die Bedienung der Kredite erlaubt. Viele andere haben das nicht. Allein im vergangenen Jahr konnten sich rund acht Millionen Uni-Absolventen die Rückzahlung ihrer Darlehen in einer Gesamthöhe von 137 Milliarden Dollar nicht mehr leisten, eine Zunahme von 14 Prozent im Vergleich zu 2015. Die Folgen können dramatisch sein. Die Kreditgeber können Sicherheiten wie Autos oder Wohnungen pfänden, um an ihr Geld zu kommen. Wer in jungen Jahren als Bankrotteur auffällt, wird es später schwer haben, einen Kredit für einen Hausbau oder Ähnliches zu erhalten.

Kritiker des Systems wie Senator Bernie Sanders, der Hoffnungsträger der amerikanischen Linken, fordern eine gebührenfreie Hochschulausbildung und eine Senkung der Kreditzinsen für bestehende Studien-Darlehen. Sie werfen Präsident Donald Trump vor, die Betroffenen mit den Problemen alleinzulassen. Die Trump-Regierung schlägt zwar vor, alle noch offenen Verbindlichkeiten bei staatlichen Studentenkrediten nach 15 Jahren zu tilgen – bisher liegt die Frist bei 20 Jahren. Doch Gegner des Präsidenten verweisen darauf, dass die Regierung diese Entlastung durch eine Verschärfung der Kreditregeln an anderer Stelle finanzieren will.

Die Zahl der Studierenden sinkt

Wegen der hohen Kosten und dem Risiko der Schuldenfalle fragen sich immer mehr Familien, besonders die aus ärmeren Bevölkerungsschichten, ob ein Studium überhaupt noch erstrebenswert ist. Hinzu kommt, dass ein Hochschulabschluss nicht mehr automatisch ein sehr viel höheres Einkommen garantiert. Nach einer Untersuchung der Zentralbank San Francisco stagniert der Abstand zwischen dem Einkommen der Amerikaner mit und denen ohne Uni-Abschluss schon seit einigen Jahren. Die Universitäten verlieren an Attraktivität, die Zahl der Studenten in den USA sinkt seit dem Jahr 2010.

Damit gehen dem Land viele Talente verloren. Heute seien nicht mehr die Fähigkeiten des Einzelnen entscheidend, sondern das Familieneinkommen, sagte der Harvard-Professor Robert Putnam der Uni-Zeitung „Harvard Gazette“. Während der Hochschulabschluss für intelligente Jugendliche aus armen Familien in die Ferne rücke, bleibe an den Unis vor allem eine Gruppe übrig: „dumme Kinder aus reichem Haus“.

Thomas Seibert

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