Innensenator lehnt Erleichterung ab: Studieren in Berlin - für Asylbewerber verboten
Bundesweit öffnen sich mehr und mehr Universitäten für Flüchtlinge. Doch in Berlin will der Innensenator am Studierverbot für Asylbewerber und Geduldete festhalten. Auch ein Gasthörer-Programm gibt es bislang nicht.
Mahadi Ahmed hat es geschafft, aus dem Sudan über Libyen, die Türkei und Griechenland nach Berlin zu fliehen. Die Stadt setzt ihm neue Grenzen: Er will sein Studium fortsetzen, sieben Semester Politikwissenschaft hat er im Sudan absolviert. Doch die hiesigen Hochschulen erteilen ihm eine Abfuhr. „Ich bin zu den Unis gegangen, alle haben gesagt: Studieren, das geht überhaupt nicht!“, sagt Ahmed. Er ist traurig und enttäuscht. Mit seiner Duldung, die alle sechs Monate verlängert werden muss, hat er keine Chance. Denn Berlin ist nach Auskunft der Wissenschaftsverwaltung das einzige Bundesland, das Asylbewerbern und Geduldeten das Studium grundsätzlich verbietet.
Der Innensenator erteilt eine Abfuhr
Dabei wollen Bildungssenatorin Sandra Scheeres und Integrationssenatorin Dilek Kolat (beide SPD) Flüchtlingen wie Mahadi Ahmed ein Studium ermöglichen. Im Mai hatten sie Innensenator Frank Henkel (CDU) in einem Brief gebeten, Asylbewerbern und Geduldeten Zugang zu den Hochschulen zu gewähren. Jetzt hat Henkel seinen Senatskolleginnen eine Abfuhr erteilt. „Ein Änderungsbedarf für das Land Berlin ergibt sich aufgrund der eindeutigen bundesdeutschen Rechtslage nicht.“ Es gilt also weiterhin: Nur wenn Flüchtlinge ihren Lebensunterhalt sichern könnten und es sicher sei, dass sie Deutschland nicht bald wieder verlassen müssten, dürften sie in Berlin studieren. Die Bereitstellung von Studienplätzen bedeutete „erhebliche Kosten“ für die Allgemeinheit, denen ein „integrationspolitischer Ertrag“ gegenüberstehen müsse, schreibt die Innenverwaltung.
Berlin ist von allen Ländern am striktesten
Die Opposition zeigt sich empört. Weil der Berliner Koalition eine Strategie in der Flüchtlingspolitik fehle, hinke Berlin auch beim Hochschulzugang im Ländervergleich hinterher, sagt die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen, Canan Bayram. Der Linken-Abgeordnete Hakan Tas findet es befremdlich, dass Senatsmitglieder über Briefe kommunizieren, anstatt sich an einen Tisch zu setzen und eine unbürokratische Lösung zu finden. Tas und Bayram fordern, der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) solle sich der Sache annehmen. Der Berliner Bundestagsabgeordnete Swen Schulz ruft Henkel auf, seine Haltung zu korrigieren: „Während wir bundesrechtlich die Arbeitschancen für Flüchtlinge verbessern, verharrt Berlin bei seiner Haltung von gestern.“
Andere Bundesländer sind tatsächlich viel weiter. Die niedersächsische Landesregierung hat ein „Bildungspaket“ für Flüchtlinge aufgelegt. Wenn sie einen Aufnahmetest am Studienkolleg überdurchschnittlich gut bestehen und gute Deutschkenntnisse haben, können Asylbewerber dort auch ohne Zeugnisnachweise regulär studieren. „Es ist im Interesse der ganzen Gesellschaft, wenn wir das Potenzial dieser Menschen nicht brachliegen lassen und ihnen dabei helfen, Bildungschancen zu ergreifen“, sagt Wissenschaftsministerin Gabriele Heinen-Kljajic (Grüne).
NRW legt Gasthörerprogramme auf
In Nordrhein-Westfalen können Flüchtlinge ab dem Wintersemester als Gasthörer studieren – und zwar anders als üblich gebührenfrei, was die Schwelle für die oft mittellosen Flüchtlinge erheblich senkt. Nur wenige Tage, nachdem die Uni das Programm vorgestellt hatte, seien bereits 15 Anfragen von Flüchtlingen eingegangen, sagt die Sprecherin der Ruhr-Universität Bochum, Michaela Wurm. Quer durchs Land – auch in Lüneburg, Greifswald, Duisburg, Bremen, Hildesheim und an der Uni Erlangen-Nürnberg – können Flüchtlinge Vorlesungen besuchen. In der Regel können Gasthörer keine Hausarbeiten schreiben oder an Prüfungen teilnehmen und so Studienpunkte für ein Bachelor- oder Masterprogramm erwerben. In Duisburg und Bochum will man aber Flüchtlingen im Einzelfall Prüfungen ermöglichen, damit sich sie sich ihre Gasthörer-Kurse auf ein späteres Studium anrechnen lassen können. An der LMU München werden Flüchtlinge sogar wie Austauschstudierende behandelt: Wer die Hochschulreife besitzt, kann Lehrveranstaltungen besuchen, die anerkannt werden, sobald das reguläre Studium beginnt.
Willkommenskultur? Die Berliner Unis zögern
Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) hat jetzt ihre Mitglieder bundesweit aufgefordert, „alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um Flüchtlingen ein Studium zu ermöglichen“. Doch die Berliner Hochschulen wollen bei dieser Art von Willkommenskultur bislang nicht mitziehen. Gasthörer-Programme speziell für Flüchtlinge, die auch in Berlin möglich wären, gibt es noch nicht. Die Wissenschaftsverwaltung will sich – anders als bei der Abschaffung des Studierverbots – auch nicht dafür starkmachen. „Aus unserer Sicht haben Hochschulen und Studierende bereits an verschiedenen Stellen Initiativen für die Flüchtlinge ergriffen“, sagt Thorsten Metter, Sprecher der Wissenschaftsverwaltung.
Worauf sich die Berliner Universitäten berufen
An der Humboldt-Universität heißt es, man behandle alle potenziellen Gasthörer gleich. Deshalb sei auch unklar, ob Flüchtlinge darunter seien, sagt Pressesprecher Ibou Diop. Das bedeutet auch, dass Flüchtlinge die gleichen Gebühren wie etwa wissbegierige Berliner Senioren zahlen müssen. Durchgängig verweisen die Hochschulen auf andere Angebote jenseits des Studiums: Die HU lobt die studentische Refugee Law Clinic, eine Rechtsberatung für Flüchtlinge, die Alice Salomon Hochschule gibt Kurse in Flüchtlingsheimen.
Die Freie Universität beruft sich auf eine Reihe laufender Programme für Studierende und Wissenschaftler aus Krisengebieten, die aber auch keine generelle Öffnung bedeuten. Zum kommenden Wintersemester sollen 15 Masterstudierende über das DAAD-Stipendienprogramm „Führungskräfte für Syrien“ ihr Studium aufnehmen. Außerdem forschen derzeit fünf Wissenschaftler im Rahmen der Organisation „Scholars at Risk“ an der FU, die bedrohten und verfolgten Akademikern einen Gastaufenthalt ermöglicht.
Eine Iranerin in Berlin
Eine von ihnen ist die iranische Historikerin Fatemeh Masjedi, die seit 2011 ihre Dissertation an der FU schreibt. Im Iran saß sie ein halbes Jahr im Gefängnis, weil sie sich für Menschen- und Frauenrechte engagierte. „Meine einzige Hoffnung war die Möglichkeit, nach Berlin zu gehen, ich habe jeden Tag daran gedacht“, sagt Masjedi. Sie glaubt, dass sowohl die Behörden als auch die Flüchtlinge profitieren würden, wenn das Studierverbot abgeschafft wird: „Es wäre ein kultureller Austausch.“
Doch selbst wenn Flüchtlingen grundsätzlich die Chance eröffnet wird, zu studieren, bleiben noch viele Fragen offen: finanzielle Unterstützung, Krankenversicherung, Bewerbungsgebühren oder auch die Frage nach Zeugnissen. Der fzs, der Bundesverband der Studierendenschaften, fordert, alle Zugangsbarrieren für ausländische Studieninteressierte müssten abgebaut und sie selber finanziell und organisatorisch unterstützt werden.
Mahadi Ahmed hat mittlerweile eine Aufenthaltsgenehmigung und ist mit einem Stipendium am Studienkolleg in Halle eingeschrieben. Der Vorbereitungskurs für ausländische Studienbewerber soll ihm den Weg in einen Bachelorstudiengang ebnen. Sein begonnenes Politologiestudium kann er auch deshalb nicht fortsetzen, weil ihm die Zeugnisse fehlen. „Wenn man aus seinem Heimatland fliehen muss, hat man keine Zeit, seine Dokumente zusammenzusuchen“, sagt Ahmed. Die Berliner Politik bittet er, das generelle Studierverbot aufzuheben. Es stürze viele Asylbewerber in die Hoffnungslosigkeit. „Sie können nicht einfach nur sitzen und sitzen und warten.“
Die Senatoren wollen weiter verhandeln
Bei der Anerkennung von Zeugnissen immerhin gibt es ein positives Signal aus der Landesrektorenkonferenz: Die Berliner Hochschulen seien bei Bewerbern aus Krisengebieten kulanter, heißt es auf Anfrage. Über Sozialfonds oder einen Hilfsantrag beim Präsidenten sei teilweise auch eine finanzielle Unterstützung möglich. Die Senatorinnen Scheeres und Kolat wollen sich die „Entgegnung von Herrn Henkel genauer anschauen“, sagt Verwaltungssprecher Metter. Es werde auch darum gehen, wie die Praxis in anderen Bundesländern ist: „Warum wird dort anders verfahren und was können wir tun.“