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Ein studentischer Deutschlehrer steht an der Tafel, junge Männer und Frauen schauen auf Schriftzüge wie "Woher kommst du".
© FU Berlin/Annika Middeldorf
Update

Berliner Studenten helfen Flüchtlingen: Willkommen bei den Studis

Berliner Studierende engagieren sich vielfach für Flüchtlinge, unterrichten Deutsch für Anfänger, planen eine Rechtsberatung oder suchen nach Stipendien. Gefragt sind auch Gasthörerplätze an den Unis, wie sie etwa die Uni Hildesheim anbietet.

Während draußen ein Frühlingssturm gegen die Fenster der Technischen Universität in Charlottenburg peitscht, erklärt die Soziologiestudentin Lucia Forcioli-Conti drinnen die Tücken des deutschen Kasus. „Nach dem Verb hören folgt der Akkusativ, nach zuhören der Dativ“, sagt sie und blickt prüfend in die Runde. Vor ihr im studentischen Projektraum „Zwille“ sitzen neun Flüchtlinge aus Eritrea. Acht Männer, eine Frau. „Das ist so eine schwere Sprache“, stöhnt einer von ihnen. Die anderen müssen lachen.

Seit etwa drei Jahren geben TU-Studierende kostenlosen, selbst organisierten Deutschunterricht in der „Zwille“. Obwohl die Deutschlehrer so gut wie keine didaktische Ausbildung durchlaufen, hat der Kurs eine beachtliche Kontinuität aufgebaut. Vier Tage pro Woche kommen bis zu dreißig Flüchtlinge zum Unterricht in die TU – Tendenz steigend. „Es ist extrem, wie sich das im letzten halben Jahr verändert hat“, sagt die Umweltschutz-Studentin Christine Hellerström, die an diesem Abend zusammen mit Forcioli-Conti unterrichtet.

"Ich hatte diese Das-Boot-ist-voll-Mentalität satt"

2014 kamen mehr als 12 000 Flüchtlinge nach Berlin. Anfang Januar 2015 lebten laut Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) mehr als 23 000 von ihnen in Unterkünften, Hostels oder Wohnungen. Viele Menschen engagieren sich, aber das Thema Asyl liefert auch Zündstoff. „Ich hatte diese Das-Boot-ist-voll-Mentalität satt“, sagt Lucia Forcioli-Conti. „Lieber wollte ich selbst etwas tun und die Menschen hinter dem Begriff Flüchtlinge kennenlernen.“ Viele Studierende denken wie sie und wollen Flüchtlinge unterstützen, die nicht selten in ihrem Alter sind. Der studentische Verein „Multitude“, der aus einer 2001 an der Freien Universität gestarteten Initiative hervorging, hat ein ganzes Netz von Deutschkursen aufgebaut. Jeden Abend unterrichten Dutzende Ehrenamtlicher in Flüchtlingsheimen von Spandau bis Köpenick, organisieren Wohnraum außerhalb der Heime und Kinderbetreuung.

„Studenten sehen eher die globalen Zusammenhänge von Flucht und Migration“, glaubt Moheb Shafaqyar, „und deshalb erkennen sie auch ihre eigene Verantwortlichkeit, etwas zu tun.“ Der Jurastudent an der Humboldt-Uni hat vor gut einem Jahr zusammen mit anderen HU-Studierenden und Promovierenden die Refugee Law Clinic Berlin gegründet. Voraussichtlich im Mai will der Verein sein zentrales Angebot starten: Unterstützt von Volljuristen sollen 41 Studierende Flüchtlingen kostenlose Rechtsberatung erteilen (Anfragen an info@rlc-berlin.org).

Demnächst starten HU-Studierende die "Refugee Law Clinic"

Wer sich zum Berater ausbilden lassen wollte, musste eine Vorlesungsreihe zu Asylrecht besuchen und ein Praktikum machen. Die Refugee Law Clinic ist nicht an die Juristische Fakultät der HU angebunden, wird aber von ihr unterstützt, etwa mit einem Lehrauftrag für die Vorlesung. In voraussichtlich 15 Sprachen werden die fertig ausgebildeten Berater versuchen, die Flüchtlinge darauf vorzubereiten, was die Behörden sie fragen werden. Auch eine erste vorsichtige Einschätzung ihrer Chance auf Asyl wollen die studentischen Berater den Flüchtlingen geben. „Studenten sammeln so Praxiserfahrung, Geflüchtete profitieren von der kostenlosen Beratung“, sagt Shafaqyar.

Statt Flüchtlinge zu beraten oder zu unterrichten, will der FU-Student Steffen Haake sie lieber gleich an die Unis holen. In Berlin gilt aber – wie auch in einigen anderen Bundesländern – ein Studierverbot für Asylbewerber. Das Bundesrecht schreibe es nicht ausdrücklich vor, heißt es beim Flüchtlingsrat, die Berliner Auslegung sei da besonders restriktiv. Geduldete und Asylbewerber können sich in den ersten vier Jahren grundsätzlich nicht an einer Hochschule einschreiben. Aufgehoben werden könne das Studierverbot in Berlin nur, wenn ein Flüchtling einen Sponsor vorweisen könne, der die Studien- und Lebenshaltungskosten übernimmt, sagt Georg Classen vom Flüchtlingsrat.

Gasthörer-Plätze für Flüchtlinge? Niedersachsen ist weiter

Haake und die Jusos-Hochschulgruppe der FU, in der er aktiv ist, bemühen sich deshalb darum, dass Berliner Flüchtlinge Stipendien aus dem Solidaritätsfonds der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) erhalten. „Stipendien sind der letzte Strohhalm“, sagt Haake. In Baden-Württemberg hat die grün-rote Landesregierung ein Stipendienprogramm für Syrer aufgelegt, das im Wintersemester starten soll. Bundesweit gibt es seit vergangenem Herbst ein Stipendienprogramm für syrische Flüchtlinge vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD). Die Berliner Wissenschaftsverwaltung setzt auf die Eigeninitiative der Berliner Hochschulen. „Wir gehen davon aus, dass die Hochschulen im Rahmen des Gasthörerstatus kulant und sensibel mit entsprechenden Anfragen umgehen“, sagt Sprecher Thorsten Metter.

Eine Studentin steht in einem Hörsaal gestikulierend vor jungen Leuten.
Hinweisgeberin. An der Uni Hildesheim begrüßt eine Studierende eine Gruppe von Flüchtlingen, die sich für das Sommersemester als Gasthörer eingeschrieben haben.
© dpa

Vorbild könnten die Unis in Lüneburg, Hildesheim und Bremen sein, wo Flüchtlinge bereits in den Hörsälen sitzen. In Lüneburg hatten sich Studierende dafür engagiert, in Bremen waren Asylbewerber selbst an die Uni herangetreten, die dann prompt ein Pilotprojekt einrichtete. In Hildesheim begann ein Gasthörer-Programm für Geflüchtete in dieser Woche mit einer Campus-Führung, andere niedersächsische Unis bieten Sprach- und Sportkurse an. Ein Vorstoß von Berliner Aktivisten, die Flüchtlingen aus der Notunterkunft in der FU-Turnhalle einen Gasthörerstatus verschaffen wollten, ist vor einigen Monaten im Sande verlaufen. Die FU habe kein Interesse gezeigt, heißt es. Unklar war, wer die Kosten für eine Gasthörerschaft übernehmen würde. An den Berliner Unis wundert man sich nun über die Erwartungen des Senats. Anfragen von Flüchtlingen lägen nicht vor, heißt es lapidar. Eine Öffnung der Unis aus eigener Initiative ist ebenso wenig in Sicht.

Georg Classen vom Flüchtlingsrat fehlt beim Gasthörerstatus ohnehin die Perspektive, die die Geflüchteten so dringend bräuchten. Gefordert seien reguläre Studienplätze, auf denen sie auch Abschlüsse machen können. Die engagierten Studierenden jedenfalls wollen dranbleiben – an der Suche nach Stipendien und an ihrem Einsatz für die Flüchtlinge.

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