Embryonenschutzgesetz: Strafbefehl für Embryovermittler
Ein Verein vermittelte überzählige Embryonen an ungewollt kinderlose Frauen. Jetzt drohen hohe Geldstrafen.
Zigtausende von befruchteten Eizellen oder Embryonen lagern tiefgefroren in minus 196 Grad kaltem, flüssigem Stickstoff in deutschen Reproduktionskliniken, übrig geblieben nach erfolgreichen künstlichen Befruchtungsbehandlungen. Seit vier Jahren vermittelt ein gemeinnütziger Verein – ein Zusammenschluss von 21 reproduktionsmedizinischen Zentren in Bayern und Baden-Württemberg – „zur Spende freigegebene befruchtete Eizellen beziehungsweise Embryonen an ungewollt kinderlose Paare“. Laut Website, um den spendenden Paaren „einen Ausweg aus dem Dilemma zu ermöglichen, die eingefrorenen Embryonen entweder weiter und auf Dauer eingefroren zu lassen oder aber zu vernichten“.
Jetzt drohen den vier Vorstandsmitgliedern vom „Netzwerk Embryonenspende“ hohe Geldstrafen von mindestens 20 Tagessätzen wegen Verstoßes gegen das Embryonenschutzgesetz. Die Strafbefehle hat das Amtsgericht im bayerischen Dillingen auf Antrag der Augsburger Staatsanwaltschaft erlassen, die mehrere Monate ermittelte. Der Tatvorwurf: Beihilfe zur missbräuchlichen Anwendung von Fortpflanzungstechniken. Darüber hinaus wird den zwei Ärzten im Vorstand vorgeworfen, die Embryonen in zwölf beziehungsweise 21 Fällen selbst auf eine genetisch fremde Frau übertragen zu haben. Ihnen drohen sogar Geldbußen in Höhe von 70 Tagessätzen.
Während es in allen anderen Bundesländern üblich ist, nach Kinderwunschbehandlungen nicht mehr benötigte Embryonen aufzutauen und zu verwerfen, gehen die Reproduktionsmediziner aus Bayern und Baden-Württemberg einen anderen Weg: Sie bieten, wenn die genetischen Eltern einverstanden sind, die Embryonen kinderlosen Paaren an. „Das ist legal“, sagt ein Vorstandsmitglied des „Netzwerks Embryonenspende“. Es ist überzeugt, dass das Embryonenschutzgesetz ihr die Rettung überzähliger Embryonen erlaubt.
Juristisch unstrittig ist, dass elternlos gewordene Embryonen auf eine andere Frau übertragen werden dürfen. Zwingende Voraussetzung ist allerdings, dass sie nicht mit der Absicht generiert wurden, sie an eine andere Frau zu vermitteln. Sie dürfen nicht zum Zweck der Spende hergestellt worden sein. Auch jede kommerzielle Nutzung von Embryonen wird strafrechtlich verfolgt. Solche Gewinnabsichten unterstellt man dem Netzwerk Embryonenspende auch nicht – für die reine Vermittlung eines Embryos werden nur Bearbeitungsgebühren verlangt, auch das Spenderpaar hat keine finanziellen Vorteile. Der Vorwurf an die Ärzte lautet, dass die Embryonen gezielt erzeugt wurden, um sie auf eine genetisch fremde Frau zu übertragen. Das wäre strafbar.
Als der Gesetzgeber 1991 das Embryonenschutzgesetz verabschiedete, wollte er verhindern, dass es bei der Behandlung von Patientinnen zu einer größeren Zahl nicht benötigter Embryonen kommt. Deshalb schrieb er vor, dass nicht mehr als drei Embryonen innerhalb eines Zyklus auf eine Frau übertragen werden dürfen. Daraus wurde ursprünglich eine strikte Dreierregel abgeleitet. Danach durften pro Zyklus nur drei Eizellen besamt („imprägniert“) und bis zum Abschluss der Befruchtung weiterkultiviert werden.
In der Praxis sieht es aber mittlerweile so aus, dass den Patientinnen weit mehr Eizellen entnommen werden. Die Zellen werden besamt und eingefroren, der Befruchtungsvorgang wird also unterbrochen. So will man den Frauen mehrere Eingriffe ersparen. Der Arzt, so die Rechtsprechung, darf dabei berücksichtigen, dass nicht alle Embryonen entwicklungsfähig sein werden und quasi auf Vorrat produzieren.
Diese Lockerung der Dreierregel hat dazu geführt, dass in den Zentren für Fortpflanzungsmedizin mittlerweile zehntausende von imprägnierten Eizellen im Vorkernstadium lagern, also in einer Phase kurz bevor sich das Erbgut von Mann und Frau vereinigen. Darüberhinaus lagern dort auch Embryonen, bei denen die Verschmelzung der Vorkerne bereits stattgefunden hat.
Für den Mannheimer Medizinrechtler Jochen Taupitz, der sich im vergangenen Jahr auch im Deutschen Ethikrat mit dem Thema befasste, ist die Rechtslage eindeutig: Embryonen, bei denen der Befruchtungsvorgang abgeschlossen ist und die tatsächlich übriggeblieben sind, dürfen vermittelt werden – die überzähligen Vorkernstadien dagegen nicht: „Das Auftauen und Weiterkultivieren entsteht hier zweifellos in der Absicht, den entstehenden Embryo auf eine fremde Frau zu übertragen.“ Genau das sei strafbar. Eine andere Rechtsauffassung vertritt die Kieler Juristin Monika Frommel. Die Vorsitzende des Netzwerks Embryonenspende hat 2011 ein Rechtsgutachten verfasst, wonach auch die Weitergabe der Vorkernstadien erlaubt sein soll.
Entscheidend ist nach ihrer Auffassung, dass die Eizellen nicht mit dem Vorsatz imprägniert wurden, sie später weiterzugeben. Mit den Strafbefehlen folgt die Staatsanwaltschaft nun aber Taupitz’ Argumentation. Die Beschuldigten haben jedoch Einspruch eingelegt. Es wird zu einer Gerichtsverhandlung kommen.
Der Ausgang des Verfahrens mag offen sein, klar ist jedoch, dass in Deutschland ein geregeltes Verfahren für die Embryonenspende fehlt. Viele Fragen sind ungeklärt: Wer darf einen Embryo adoptieren? Nur Paare? Müssen sie verheiratet ein? Was ist mit dem Recht des Kindes, seine biologische Abstammung zu kennen? Dürfen die Spendereltern erfahren, ob ein Kind aus ihrem Embryo hervorgegangen ist? Wie geht man mit dem Problem der „gespaltenen Mutterschaft“ um – ein Novum im deutschen Recht, das der Gesetzgeber eigentlich vermeiden wollte. Bisher war die Mutter immer die Frau, die das Kind geboren hatte, eine Anfechtung der Mutterschaft ist – anders als beim Vater – nicht möglich.
In der Praxis bedeutet das: Das Netzwerk Embryonenspende hinterlegt nur die Daten des genetischen Vaters notariell, die der genetischen Mutter dagegen nicht. Und anders als bei Kindern, die durch Samenspende gezeugt wurden, beträgt die Aufbewahrungsfrist dieser Daten auch nur 30 Jahre. Im jüngst verabschiedeten Samenspenderregistergesetz werden dagegen Fristen von 110 Jahren vorgeschrieben, die Informationen über die biologische Herkunft werden auch nicht bei einem Notar, sondern im Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information aufbewahrt. Auch für eine Beratung der Spender- und Empfängereltern – wie sie zum Beispiel im Adoptionsrecht vorgeschrieben ist – gibt es bei Embryonenadoptionen keine Regelungen. Der Deutsche Ethikrat hat deshalb schon im vergangenen Jahr empfohlen, die Rahmenbedingungen für eine Embryonenspende gesetzlich festzulegen.
Handlungsbedarf sehen die Ratsmitglieder auch beim Thema Dreierregel. Sie müsse gesetzlich klargestellt werden. Allerdings ist man über das Wie uneins. Nur eine knappe Mehrheit sprach sich im Ethikrat für die Rückkehr zur strikten Dreierregel aus.
Jurist Joachim Taupitz plädiert für eine Liberalisierung. Ohnehin sei eine Reform des Embryonenschutzgesetzes überfällig. Sowohl Eizellspende als auch Embryonenspende müssten in Deutschland erlaubt werden. Es habe zwar immer wieder Anläufe gegeben, das mittlerweile 26 Jahre alte Gesetz zu reformieren, die Diskussion darüber sei aber sehr komplex. „In der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina arbeiten wir an Eckpunkten für ein Fortpflanzungsmedizingesetz und sehen, wie schwierig das ist, diese breite Materie angemessen aufzuarbeiten.“ Er hofft trotzdem, dass es entsprechende Initiativen in der nächsten Legislaturperiode geben wird.
Den gesetzgeberischen Handlungsbedarf scheint auch die Bundesregierung erkannt zu haben: Seit zwei Jahren tagt im Bundesjustizministerium ein Arbeitskreis „Abstammungsrecht“, der unter anderem der Frage nachgehen soll, ob das geltende Abstammungsrecht noch zeitgemäß ist. Die Ergebnisse dieser Beratungen sollen im Juli veröffentlicht werden.
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