Wissenschaftler im Auftrag von Heinrich Himmler: Sie forschten für die SS
Menschenversuche und Wehrtechnik: Das Buch "Himmlers Forscher" zeigt, wie Wissenschaftler in Heinrich Himmlers "Institut für wehrwissenschaftliche Zweckforschung" und in der Stiftung "Ahnenerbe" Verbrechen begingen.
Eine Heinrich-Himmler-Universität ist uns zum Glück erspart geblieben. Dafür, dass sie nach dem „Endsieg“ wohl Realität geworden wäre – als akademische Aufwertung von Himmlers Stiftung „Ahnenerbe“ und des ihr verbundenen „Instituts für wehrwissenschaftliche Zweckforschung“ –, spricht mehr als nur eine vage Vermutung. Der Geschäftsführer beider Einrichtungen Wolfram Sievers, der diesen verzweigten Forschungsverbund der SS in wenigen Jahren aufgebaut hatte, war ein zielstrebiger Organisator und Netzwerker, der die zum Teil obskuren Ideen seines Chefs Himmler gewissermaßen vom Kopf auf die Füße zu stellen und in den akademischen Wissenschaftsbetrieb zu integrieren verstand. Sein Nahziel eines umfassenden Forschungsamtes der SS hatte er gegen Kriegsende schon fast erreicht, die Erhebung in den Rang einer Universität fest im Blick.
Himmlers Forscher - aus eigener Initiative und mit vorauseilendem Eifer
Dabei war Sievers nicht einfach die Stimme seines Herrn Heinrich Himmler, auch wenn ihn das Standardwerk von Michael Kater über das „Ahnenerbe“ (1974) als „Vollstrecker von Himmlers Willen“ darstellt. Julien Reitzenstein, der Autor der jüngsten Studie über Sievers und seinen Stab als „Himmlers Forscher“, befindet mit einer Formulierung von Ian Kershaw, er habe seinem Chef „entgegengearbeitet“ – aus eigener Initiative und mit vorauseilendem Eifer. Dafür hat Sievers im Nürnberger Ärzteprozess 1948 die eigentlich Himmler (der sich bei seiner Ergreifung 1945 vergiftete) gebührende Strafe erlitten, er wurde gehängt.
Er selbst war kein Arzt, sondern Organisator des Forschungsverbunds und insofern auch Verantwortlicher für die Medizinverbrechen, die in zwei der zehn Abteilungen seines „Instituts für wehrwissenschaftliche Zweckforschung“ verübt wurden. Deren Leiter erschienen nie vor Gericht: Der Anatom August Hirt, der Menschenversuche mit Nervengas und Gefangenenmorde für eine Sammlung jüdischer Skelette zu verantworten hatte, beging 1945 Selbstmord.
Menschenversuche im KZ Dachau
Der obskure Universalist Sigmund Rascher, der im KZ Dachau letale Menschenversuche mit Unterkühlung durchführte, aber auch mit Blutstillungsmitteln und Kartoffelkonserven experimentierte, fiel aus Himmlers persönlicher Gunst und wurde auf dessen Anweisung selbst im KZ ermordet. Sein Nachfolger als Abteilungsleiter Kurt Plötner, dem keine Menschenexperimente nachgewiesen werden konnten, obwohl auch er an Biowaffen forschte, konnte 1945 unter falschem Namen untertauchen. 1952 erhielt er unter seinem wahren Namen sogar noch eine außerordentliche Professur in Freiburg.
Für sie alle hat Sievers gewissermaßen den Kopf hingehalten, wobei auch Reitzenstein im Schlusswort seines Buches keinen Zweifel lässt, „dass das gesamte Institut für wehrwissenschaftliche Zweckforschung eine verbrecherische Einrichtung war“, von deren Verbrechen Sievers wusste und die er für seine ehrgeizigen Ziele billigend in Kauf nahm. Auf seine Einlassungen vor Gericht, er sei „nur“ Geschäftsführer gewesen, ja sogar mit Widerstandskreisen in Verbindung gestanden, ließen sich seine Nürnberger Richter nicht ein. Es konnte ihn auch nicht retten, dass ihm seine Mitarbeiter persönliche Fürsorge selbst für jüdische Beschäftigte bescheinigten. Auf der Waagschale, die sich zu seinen Ungunsten senkte, lagen nicht nur seine organisatorische Verstrickung, erwiesene Kenntnis und passive Teilnahme bei den Medizinverbrechen seiner Abteilungsleiter, sondern als Indizien auch die pfundschweren Auszeichnungen und Dankbezeigungen des Regimes und seiner Vasallen: Himmlers „Totenkopfring“, Ehrendolch, -degen und -winkel der SS, Kriegsverdienstkreuz 1. Klasse mit Schwertern und sogar vom Außenminister des faschistischen Spanien das Ritterkreuz des Ordens „Isabellas der Katholischen“.
Himmlers obskure wissenschaftliche Ideen
Der wissenschaftliche Ertrag seiner „wehrwissenschaftlichen Forschungen“ war dürftig, gemessen am Aufwand und auch im Licht der weniger mörderischen Abteilungen des Instituts. Nur sechs der nominell zehn Abteilungen arbeiteten tatsächlich – neben den beiden erwähnten die Abteilung für Entomologie, die Mathematische Abteilung und die Botanische Abteilung. Entomologen und Botaniker mussten neben ihren Forschungen zu Schädlingsbekämpfung und zur Beeinflussung von Pflanzenmutationen auch den Abwurf von Kartoffelkäfern und die Verbreitung von Pesterregern durch Flöhe in Feindesland testen. Die Biologen sollten zudem Himmlers fixe Ideen wie den Einfluss des Mondlichts aufs Pflanzenwachstum und Extrakte von Herbstzeitlosen als Krebsheilmittel untersuchen. Einzig die Entwicklung eines Blutstillungsmittels durch Rascher und Plötner gedieh bis zur Produktionsreife, kam aber in der Wehrmacht nicht mehr zum Einsatz.
Die vier übrigen Abteilungen – Züchtungsforschung, Grenz- und Auslandsforschung, Pflanzengenetik und eine „Karstwehrwissenschaftliche Abteilung“ – befanden sich erst im Aufbau. Die Pflanzengenetiker konnten in den letzten Kriegstagen wenigstens Trockengemüse für die Küche des nach Franken evakuierten Instituts beisteuern. Solche grotesken Details eines todernsten Themas beleben die für Nichtwissenschaftler allzu akribische Rekonstruktion von Sievers’ Aktivitäten anhand seiner Diensttagebücher und anderer Quellen – eine ansonsten in jeder Hinsicht schwere Lektüre.
- Julien Reitzenstein: Himmlers Forscher. Wehrwissenschaft und Medizinverbrechen im „Ahnenerbe“ der SS. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2014. 416 Seiten, 44,90 €.
Hannes Schwenger
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