Unis in der NS-Zeit: Hitlers willige Professoren
Unis unterm Hakenkreuz: Die Aufarbeitung steht erst am Anfang. Viele Forscher standen den Nazis nah, machten aber nach 1945 weiter.
Der Nationalsozialismus hat die Universitäten früher erobert als die Kanzleien der Regierung. Und es waren nicht nur die rabiaten Aktivisten des NS-deutschen Studentenbundes, die vor 1933 den Ton angaben. Viele Professoren zeigten früh Sympathie für ein mit starker Hand geführtes „Drittes Reich“, jedenfalls mehr als für Republik und Demokratie. Andere, die „Märzgefallenen“, richteten sich nach Hitlers Regierungsantritt recht schnell auf die neuen Verhältnisse ein, zeigten sich patriotisch, wurden Parteigenossen.
Daraus ergibt sich Reflexions- und Forschungsbedarf, dem jedoch lange mit Zögern und akademischer Zurückhaltung begegnet wurde. Die Technische Universität Berlin hat in zwei von Reinhard Rürup verantworteten stattlichen Bänden anlässlich des Gründungsjubiläums 1979 den Grundstein zur Aufarbeitung ihrer Geschichte gelegt und mit Carina Baganz' soeben veröffentlichter Studie „Diskriminierung, Ausgrenzung, Vertreibung: Die Technische Hochschule Berlin während des Nationalsozialismus“ einen deutlichen Akzent gesetzt (siehe Tagesspiegel vom 11. Juli). Vom seinerzeitigen TU-Präsidenten Kurt Kutzler initiiert wird den vertriebenen jüdischen Studierenden und Wissenschaftlern nicht nur ein Denkmal gesetzt. Die Darstellung arbeitet zugleich ein Stück Selbstverständnis der Hochschule auf, nimmt unangenehme Dinge wie die Beschäftigung von Zwangsarbeitern unter dem Befehl eines Hausmeisters in den Blick, beschreibt die Situation der ukrainischen Arbeitssklaven in einem Lager auf Hochschulgelände und deutet den Umgang der Hochschule mit dem nationalsozialistischen Erbe nach 1945 an.
Auch andere Universitäten haben die Scheu vor ihrer Schande überwunden. Die Humboldt-Universität, Nachfolgerin der nach dem Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. benannten „Berliner Universität“, hat beachtliche Anstrengungen unternommen, ihrer Geschichte im NS-Staat gerecht zu werden. Ein Ergebnis war das Projekt „Jüdische Studierende an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin 1933 bis 1938“, das eine Webseite mit Biografien und Interviews vertriebener Studierender präsentiert.
Das ist gewiss ein würdiges Monument für 2300 Menschen, die diskriminiert, verjagt, verfolgt wurden, weil sie Juden waren. Die Referenz vor den Opfern der NS-Ideologie ist aber erst ein Anfang. Die Betrachtung des Schadens, den eine Hochschule sich durch die Nähe zum Unrechtsregime zugefügt hat oder sich zufügen ließ, ist ein zweiter notwendiger Schritt. Diskutiert werden muss, welche Rolle die Universität mit ihren einzelnen Disziplinen gespielt hat, welchen Anteil sie erst bei der intellektuellen Grundlegung des Systems, dann für dessen Akzeptanz, schließlich für die Stabilisierung hatte, etwa durch Fächer wie „Rassenkunde“, „Eugenik“ oder durch Rüstungstechnologie.
Die Geschichte der Hochschulen im Dritten Reich, auch die ihrer Restauration in den Nachkriegsjahren ist noch kaum erforscht – trotz einiger Anstrengungen, die durchaus zu würdigen sind. So zeigt ein aktuelles Projekt, dass die Universität Greifswald mehr kriegswichtige Forschung geleistet hat, als bisher bekannt war. Auch für Darmstadt gilt der Befund, dass die TH Ideologie und Praxis des Nationalsozialismus mit den Mitteln der Wissenschaft förderte. In Münster lautet das Ergebnis, dass 90 Prozent der Professoren der NSDAP angehörten und dass insbesondere im Fach Medizin ethische und wissenschaftliche Prinzipien der Politik geopfert wurden. Und Münster war im Dritten Reich eine durchschnittliche, keineswegs eine besonders braune Universität wie etwa Jena.
Nicht nur zur Geschichte der TH Berlin-Charlottenburg, die sich im Dritten Reich in den Dienst des mörderischen Regimes gestellt, die in einer monströsen Wehrtechnischen Fakultät Kriegsgerät entwickelt hatte, gibt es noch erheblichen Forschungsbedarf. Auch die 1946 als Universität neu gegründete Hochschule (mit ihrer inzwischen nur noch legendären Nutzanwendung aus dem Engagement im Nationalsozialismus in Gestalt einer am Humanismus orientierten geisteswissenschaftlichen Fakultät) schloss seltsame Kompromisse in der Zeit der Entnazifizierung.
Im Juli 1945 ordnete der unter Viermächtekontrolle stehende Magistrat der Stadt Berlin die Entfernung aller ehemaligen Mitglieder der NSDAP aus dem Hochschulleben an. Aber mit einer den moralischen Impetus einschränkenden Vorbehaltsklausel: „Es gibt jedoch Fälle, in denen die sofortige Entlassung solcher ehemaliger Mitglieder der NSDAP einen größeren Schaden für die Stadt Berlin, für das Leben der Bevölkerung und für die Wissenschaft darstellen würde, da zur Zeit kein Ersatz oder keine genügende Ersatzkraft vorhanden ist.“ Eine begrenzte Weiterbeschäftigung ehemaliger Mitglieder der NSDAP wurde deshalb für möglich gehalten.
Die Hochschule offerierte sogleich eine Liste mit 22 ehemaligen Nazi-Professoren, die kommissarisch Lehrstühle verwalten sollten, und eine zweite Liste mit den Namen von fünf belasteten Professoren, die endgültig übernommen werden sollten. Die zuständige britische Militärregierung befahl im November ungerührt die sofortige Entlassung aller einstigen NSDAP-Mitglieder. Im März 1946 meldete der Rektor dem Magistrat, dass „das gesamte Personal der Technischen Hochschule Berlin nunmehr nach den kürzlich ergangenen Gesetzen der Alliierten und dem dazugehörigen Rundschreiben des Magistrats vom 15. März 1946 denazifiziert worden ist“.
Von Dauer war die Säuberung der Universität aber nicht. Gegenüber fachlichen Kompetenzen und Verdiensten wog das Parteibuch der NSDAP im Laufe der Zeit immer weniger. Belastete Professoren wurden zurückberufen und ihre nationalsozialistische Vergangenheit wurde Gegenstand schonender Sprachregelung. Anfang 1951 verfügte der Berliner Senator für Inneres, es sei nicht zulässig, „dass bei einer Bewerbung um eine Einstellung in den öffentlichen Dienst in einem Personalfragebogen nach der früheren Zugehörigkeit zur NSDAP oder deren Gliederungen oder angeschlossenen Organisationen gefragt“ werde.
Politisch und gesellschaftlich waren die einfachen Parteigenossen längst als „Mitläufer“ rehabilitiert. Aber auch gegenüber den höheren Rängen wurde man großzügig. Im Juli 1953 verlieh die TU Berlin dem Industriellen Friedrich Flick, der in der NS-Zeit ein Vermögen erworben hatte, der 1947 in Nürnberg zu sieben Jahren Haft verurteilt worden war, die Würde eines Ehrensenators. Zehn Jahre später machte sie Wernher von Braun für seine Verdienste um Raketentechnik und Raumfahrt zum Ehrendoktor. Von Zwangsarbeit und vom Einsatz von KZ-Häftlingen in Flicks Firmen und bei Brauns Raketenentwicklung war keine Rede.
Dass Gottfried Feder, Weggefährte Hitlers, Wirtschaftstheoretiker der frühen NSDAP („Brechung der Zinsknechtschaft“) und Mitgestalter des Parteiprogramms der Nationalsozialisten als Professor für Raumordnung an die Technische Hochschule Berlin abgeschoben wurde, weil er 1933 als Staatssekretär und 1934 als Reichskommissar für das Siedlungswesen schlechte Figur gemacht hatte, muss man, auch wenn er Präsident des Reichsbunds Deutscher Techniker war, sicher nicht zum Gegenstand weiterer Forschungsanstrengungen machen.
Einen kritischen Blick verdient dagegen die causa Hermann Muckermann, der seine Karriere als Jesuit begann, sich in der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene engagierte, Abteilungsleiter für Eugenik am Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie war, aber trotz seiner einschlägigen wissenschaftlichen Ambitionen in der NS-Zeit kaltgestellt war. In einem „Grundriss der Rassenkunde“ hatte er 1934 vor der Ehe mit „Fremdrassigen“ gewarnt und dazu das Argument angeführt, die Taufe mache aus einem Juden zwar einen Christen, ändere aber das Erbgefüge nicht. Muckermann war kein Antisemit, aber die „Einbürgerung von Negern“ in Frankreich nannte er Rassenschande.
Warum erhielt dieser Mann, ein Rassist und Eugeniker katholischer Observanz, 1947 einen Lehrauftrag an der TU Berlin und war dann von 1949 bis 1954 ordentlicher Professor für Anthropologie und Sozialethik, dekoriert mit dem Großen Verdienstkreuz und Ehrensenator der TU?
Zu den Desiderata der Aufarbeitung der Universitätsgeschichte gehört in erster Linie die in den Jahren 1933 bis 1945 praktizierte willige Staatsnähe, aber auch die anschließende Restauration, die die Entnazifizierung allzu rasch ablöste. Das sind nur zwei Hauptpunkte im Pflichtenkatalog notwendiger künftiger Universitätshistoriographie. Am dringendsten ist es, die Spuren der Zwangsarbeiter zu verfolgen, die einst für die TH Berlin schufteten. Die Spurensuche ist nicht mehr lange möglich. Die verbreitete Klage, dass es bald keine Zeitzeugen mehr gibt, wäre nur Deklamation und Heuchelei, wenn nicht jetzt, in letzter Minute, die möglichen Kontakte in der Ukraine genutzt würden. Ein Projekt „Zwangsarbeiter im Dienst der TH Berlin“ würde den Weg weisen, den die weitere Aufarbeitung des Nationalsozialismus an den Universitäten gehen muss.
Der Autor ist Historiker und ehemaliger Direktor des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin.
Wolfgang Benz
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