zum Hauptinhalt
Wenn das Elektroenzephalogramm keine Nervenimpulse mehr misst und die Nulllinien den Hirntod belegen, erst dann dürfen Mediziner Organe für eine Transplantation entnehmen.
© imago/Science Photo Library

Hirntod und Organtransplantation: Schwierige Schwelle

Aktuelle Stellungnahme des Ethikrats: Organe dürfen nur Hirntoten entnommen werden. Aber ist der Hirntod wirklich der Tod eines Menschen?

Von „ungeheurer Dankbarkeit“ spricht der Berliner Schriftsteller David Wagner. Mit seinem Buch „Leben“ wollte er auch dem Verstorbenen ein literarisches Denkmal setzen, dessen Leber nun in seinem Körper arbeitet. Kein Zweifel: Eine Organspende kann schwerkranken Menschen eine Zukunft eröffnen. Trotzdem haben heute viele Menschen erhebliche Zweifel, sobald die Sprache auf das Thema Organspende kommt.

In Deutschland trugen dazu sicher die Skandale aus dem Sommer 2012 bei: In vier Transplantationszentren hatte es systematische Manipulationen bei der Vergabe von Spenderlebern gegeben. Dabei gelangten Patienten durch falsche Angaben von Ärzten auf den Wartelisten nach oben. Seitdem sind die Kontrollen strenger. Doch das Misstrauen ist nicht besiegt. Das Missverhältnis zwischen „Angebot“ und „Nachfrage“ von Spenderorganen ist weiter gewachsen. Die Wartelisten werden länger.

Den Hirntod gibt es erst seit 50 Jahren

Unbehagen erzeugt auch der Begriff „Hirntod“, dem sich nun der Deutsche Ethikrat in seiner heute veröffentlichten Stellungnahme „Hirntod und Entscheidung zur Organspende“ widmete. Der Hirntod sei ein „außergewöhnlicher Zustand, den es erst seit gut einem halben Jahrhundert gibt“, sagte Verfassungsrechtler Wolfram Höfling, Leiter der Arbeitsgruppe des Ethikrates.

In der Tat ermöglicht es erst die moderne Intensivmedizin, dass ein Mensch atmet, sein Herz schlägt, sein Kreislauf und seine Organe funktionieren, obwohl alle Funktionen seines Großhirns, Kleinhirns und Hirnstamms unwiderruflich erloschen sind. Dabei kann er sogar „vital“ erscheinen. Ein Kind kann weiter im Bauch einer hirntoten Mutter wachsen, wie der Fall des „Erlanger Babys“ im Jahr 1992 zeigte. Das schockiert und führt immer wieder zu Debatten.

Streit, was "postmortal" bedeutet

Im Deutschen Ethikrat herrscht Konsens, dass der Hirntod die Voraussetzung für eine Organentnahme nach dem Tod („postmortal“) darstellt: Das Aussetzen des Herzschlags soll auch in Zukunft nicht als Kriterium gelten. Unstrittig ist auch, dass mindestens zwei erfahrene Mediziner den Hirntod unabhängig voneinander feststellen müssen. Doch schon beim Begriff „postmortal“ ist man sich nicht einig. Bedeutet der Hirntod wirklich den Tod des Menschen? Die Mehrheit des Ethikrats betrachtet den Hirntod als sicheres Todeszeichen. Das Argument: Nur intensivmedizinische Maßnahmen sorgen nach dem unwiderruflichen Versagen aller Hirnfunktionen dafür, dass andere Organe ihre Aufgaben noch wahrnehmen können. Das Gehirn selbst lässt sich jedoch nicht ersetzen. Von der „singulären Sonderstellung“ des Gehirns für den Gesamtorganismus spricht der Jurist Reinhard Merkel. „Es ist das zentrale Integrations-, Kommunikations- und Koordinierungsorgan.“

Der Hirntod ist das geeignete und notwendige Kriterium für Organentnahme

Eine Minderheit von sieben der 26 Mitglieder des Ethikrates kann sich mit dieser Sicht jedoch nicht anfreunden. Sie hält den Hirntod – von der Ethikratsvorsitzenden Christiane Woopen lieber als „irreversibles Ganzhirnversagen“ bezeichnet – nicht für den Tod des Menschen, sondern für einen Teil des Sterbeprozesses. Denn auch nach diesem Ereignis laufen im Organismus koordinierende Tätigkeiten verschiedener Systeme ab, sagt Höfling. In der Stellungnahme wird auf „kognitive und affektive Dissonanzen“ hingewiesen, die entstehen müssen, „wenn der Hirntote wider den Anschein der Lebendigkeit als Leichnam aufgefasst wird“.

Dead-Donor-Rule entbehrlich

Dennoch sind auch die Anhänger dieser Position der Ansicht, dass der Hirntod ein geeignetes und notwendiges Kriterium für die Entnahme eines Spenderorgans ist. Als entbehrlich betrachten sie allerdings die „Dead-Donor-Rule“, wonach die Entnahme an den Tod des Spenders geknüpft ist. „Unsere Position ist mit „schwierigen Folgefragen verknüpft“, gab Höfling zu.

Seit der Novelle des Transplantationsgesetzes im Jahr 2012 gilt in Deutschland die „Entscheidungslösung“. Bürger und Bürgerinnen sind demnach aufgefordert, eine klare Position zu finden für den (unwahrscheinlichen) Fall, dass man selbst als Organspender infrage kommt. Deshalb hält der Ethikrat eine bessere Aufklärung der Bevölkerung über alle Fragen rund um Organspende und Transplantationsmedizin für wünschenswert. Bei den Aufklärungsmaterialien der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und der Krankenkassen bestehe „nicht unerheblicher Nachbesserungsbedarf“. So müsse zum Beispiel darüber informiert werden, dass es zu Unstimmigkeiten zwischen einer Patientenverfügung gegen intensivmedizinische Maßnahmen und der Bereitschaft zur Organspende kommen kann. Mit klareren Formulierungen sei das vermeidbar.

Transplantationsbeauftragte in alle Kliniken

Einigkeit besteht darüber, dass alle Krankenhäuser, in denen Organe für eine Spende entnommen werden, über mindestens einen kompetenten Transplantationsbeauftragten verfügen müssen. Dafür sollen alle Bundesländer nach dem Willen des Ethikrates unverzüglich die rechtlichen Voraussetzungen schaffen. Unumstritten ist ferner, dass die Gespräche mit den Angehörigen des möglichen Organspenders zentrale Bedeutung haben und dass sie möglichst früh, schon vor der Feststellung des Hirntods, begonnen werden sollten. Für den Fall, dass es keine schriftliche Entscheidung des infrage kommenden Spenders für oder gegen eine Organspende gibt, muss mit ihnen zusammen sorgsam dessen mutmaßlicher Wille ermittelt werden.

Mit der neuen Stellungnahme, die die Konfliktlinien klar benennt, verbinde sich „die leise Hoffnung auf eine Debatte auf angemessenem Reflexionsniveau“, so Höfling. Mit Transparenz und einer offenen Diskussion soll das Vertrauen in einen wichtigen Bereich der Medizin gestärkt werden.

„Diese Leber hat mir das Leben gerettet“, sagte David Wagner in einem Interview zu seinem Buch. Es stimmt aber auch das Umgekehrte: „Ohne mich wäre auch sie jetzt tot. Sie wäre mit dem Spender gestorben.“

Adelheid Müller-Lissner

Zur Startseite