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Auf der Intensivstation.
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Hirntod: Folgenschwere Fehler

Die Diagnose des Hirntods ist in Deutschland streng geregelt. Doch nicht alle Ärzte hielten sich in den letzten drei Jahren an das Protokoll. Das schürt Ängste.

Immer wieder werde in deutschen Kliniken der Hirntod falsch diagnostiziert, schrieb die „Süddeutsche Zeitung“ vor kurzem. Die Ärzte seien mitunter unzureichend ausgebildet, manche würden die Richtlinien nicht genau genug befolgen und – wenn die Formfehler auffallen – schnippisch reagieren.

Der Vorwurf wiegt schwer, denn nur zweifelsfrei hirntoten Spendern dürfen Organe entnommen werden. Nach den Skandalen in der Transplantationsmedizin war die Zahl der Organspenden 2013 ohnehin auf einen Tiefpunkt gefallen: 11 000 Patienten, die dringend auf ein Herz, eine Niere, Leber, Lunge, Bauchspeicheldrüse oder ein Stück Dünndarm warteten, standen 876 Spendern gegenüber. Man werde einen langen Atem brauchen, um wieder Vertrauen aufzubauen, sagte Rainer Hess, Vorstand der Stiftung Organtransplantation (DSO), im Januar. Dieses Vertrauen wird nun erneut erschüttert. Die „Süddeutsche Zeitung“ erfuhr von acht Fällen, bei denen es zwischen 2011 und 2013 zu Fehlern bei der Hirntoddiagnostik kam, darunter bei einem Kleinkind.

Der Hirntod ist für Angehörige schwer zu begreifen. Schließlich liegt der Mensch noch mit rosiger Haut, von Maschinen beatmet und künstlich ernährt, vor ihnen auf der Intensivstation. Für einen Laien ist kein Unterschied zum Koma erkennbar. Doch ein Hirntoter kann nicht mehr aufwachen. In seinem Gehirn zirkuliert kein Blut mehr, die Nervenzellen in Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm sind durch den Sauerstoffmangel abgestorben. Die Neuronen können nicht mehr feuern, es gibt auch keine Reflexe. Hirnströme lassen sich nicht mehr ableiten, aus der EEG-Kurve wurde eine gerade Linie. Der Körper liegt quasi „kopflos“ da. Der Mensch fühlt keine Schmerzen mehr und kann nie wieder selbstständig atmen.

Fehler sind nicht zu 100 Prozent vermeidbar

Damit Ärzte den Hirntod zweifelsfrei von einer anderen Bewusstlosigkeit abgrenzen können, hat die Bundesärztekammer strenge Protokolle entwickelt. Zwei erfahrene Intensivmediziner müssen sie unabhängig voneinander abarbeiten. Zunächst müssen sie ausschließen, dass die Bewusstlosigkeit durch Medikamente, eine Vergiftung, Unterkühlung, einen Kreislaufschock oder Ähnliches verursacht wurde. Dann überprüfen sie zweimal in genau festgelegten Abständen die Reflexe, für die der Hirnstamm zuständig ist: Bleiben die Pupillen geweitet, obwohl mit einer Lampe in die Augen geleuchtet wird? Blinzelt das Auge nicht, wenn man die Hornhaut berührt? Gibt es keinen Husten- oder Würgereflex? Zucken die Gesichtsmuskeln trotz eines Schmerzreizes nicht mehr? Ist die Spontanatmung wirklich ausgefallen? Bewegen sich die Augen nicht mehr, wenn man den Kopf schnell dreht? Wurde der Hirnstamm verletzt, kommen apparative Untersuchungen wie das EEG hinzu. So wird ausgeschlossen, dass das Großhirn noch aktiv ist. Bei Kindern sind die zusätzlichen Tests in jedem Fall vorgeschrieben.

„Die Richtlinien sind einzuhalten, daran ist gar nichts zu deuteln“, sagt Stefanie Förderreuther, Oberärztin beim Neurologischen Konsiliardienst des Klinikums Großhadern der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sie gehört zu einem Team, das Krankenhäuser auf Vermittlung der DSO bei der Hirntoddiagnose unterstützt. „Meine Erfahrung ist aber, dass die Ärzte sehr sorgfältig sind. Sie fragen um Rat, wenn sie Zweifel haben.“ Die Weiterbildungen, die sie auf Kongressen für Intensivmediziner anbietet, seien ebenfalls immer gut besucht.

„Der Generalverdacht, die Hirntoddiagnostik sei häufig fehlerhaft, ist nicht gerechtfertigt“, betont auch Hess. „Es ist eine der sichersten Diagnosen in der Medizin.“ Fehler seien trotzdem nicht zu 100 Prozent vermeidbar. In einer Pressemitteilung nahm die DSO Stellung zu den acht Fällen: Zweimal kam es nach einer formal fehlerhaften Diagnose zur Organentnahme, das wurde jeweils der Staatsanwaltschaft gemeldet. Die Obduktionen ergaben, dass beide Patienten tatsächlich hirntot waren. In drei Fällen wurde die Diagnose nach Hinweisen der DSO-Koordinatoren wiederholt. Bei drei weiteren Patienten wurden keine Organe entnommen, nachdem die Fehler aufgefallen waren. In einem Fall, weil die Familie die erneute Diagnostik ablehnte, bei den zwei anderen zeigte ein EEG eine Restaktivität des Gehirns. Es sei im Interesse der DSO, die Anforderungen an die Qualifikation der Ärzte zu verschärfen, hieß es. Das jedoch sei Aufgabe der Bundesärztekammer.

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