So funktioniert das Tsunami-Warnsystem: Schnelle Warnung vor der Welle
Jede Sekunde zählt: Das System im Indischen Ozean soll Tsunamis rasch erkennen und Alarm schlagen. Doch das gelingt nicht in jedem Fall.
Es war ein Schock, den viele bis heute nicht verwunden haben: Am 26. Dezember 2004 trat ein Megabeben im Indischen Ozean einen Tsunami los, der mehr als 230 000 Menschen das Leben kostete. Verhindern lassen sich solche Naturkatastrophen nicht, mit einem Frühwarnsystem können ihre Folgen aber erheblich abgemildert werden. Das wussten die Wissenschaftler vom Deutschen Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ) und nahmen Kontakt zu Kollegen in weiteren Instituten auf.
In neun von zehn Fällen beginnt ein Tsunami mit einem Erdbeben
Keine drei Wochen später präsentierten sie dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder das Konzept für ein solches Frühwarnsystem, er war auf Anhieb überzeugt. Bald darauf war Indonesien, das am stärksten betroffene Land, mit dabei, das „German Indonesian Tsunami Early Warning System“ (Gitews) nahm Gestalt an. Seit März 2011 ist es fertig und hat bereits einige Male frühzeitig gewarnt.
Im Ernstfall zählt jede Sekunde. Ausgelöst werden Tsunamis in neun von zehn Fällen von einem Erdbeben unter dem Meeresboden (die übrigen Fälle sind meist Hangrutschungen). Je näher der Bruch in der Erdkruste an der Küste liegt, umso schneller ist die Welle da. Weihnachten 2004 überrollte der Tsunami bereits 20 Minuten nach dem Beben vor der Küste die tiefer liegenden Regionen der indonesischen Insel Sumatra und zerstörte die Städte Banda Aceh und Meulaboh.
Nach 20 Minuten war die Welle da
Da sich dort die Menschen aus einem zwei Kilometer breiten Küstenstreifen in Sicherheit bringen müssen, sollte eine Warnung spätestens fünf Minuten nach dem Beginn eines Erdbebens die Betroffenen erreichen. So schnell waren die vor zehn Jahren verfügbaren Systeme bei Weitem nicht. Gitews, das unter Führung des GFZ-Forschers Jörn Lauterjung entwickelt und mit rund 60 Millionen Euro von Deutschland unterstützt wurde, sollte das schaffen.
Es nutzt die Daten zahlreicher Messgeräte, die möglichst dicht an der mutmaßlichen Quelle der Katastrophe sind. Da der genaue Ort eines Seebebens nicht vorherzusagen ist, ist ein Messnetz erforderlich. Die Forscher haben ein Raster von 25 seismologischen Messstationen errichtet. Zusammen mit den Daten von über 100 weiteren Seismometern, die von Japan, China und Indonesien installiert wurden, ermittelt ein Computer den Erdbebenherd: An welchem Ort und in welcher Tiefe begannen die Erschütterungen? Vor allem aber: Wie stark sind sie?
Die Bojen wurden oft beschädigt - nun muss es ohne sie gehen
Da Erdbebenwellen, die durch den Untergrund jagen, viel schneller sind als ein Tsunami, können sie rechtzeitig warnen – aber auch falschen Alarm auslösen. Denn ein Tsunami entsteht nur dann, wenn sich der Meeresboden bei einem Beben hebt oder senkt. Die so entstandenen Wellen wollten die Forscher ursprünglich mit sieben Meter langen Bojen direkt messen und die Daten über Funk an die Warnzentrale in Jakarta übermitteln. Allerdings nutzten Fischer die Bojen oft als Ankerplatz. Die Geräte wurden beschädigt und fielen häufig aus.
Stattdessen installierten die Wissenschaftler entlang der Küste der Inseln Java und Sumatra alle 50 bis 60 Kilometer GPS-Stationen, die ihren Standort sehr exakt bestimmen. Verändert sich die Lage der Stationen bei einem starken Beben, berechnet ein Computerprogramm aus diesen Bewegungen an Land, wie stark sich der Meeresboden vor der Küste gehoben oder gesenkt hat. Daraus wiederum lassen sich die entstandenen Wellen nach weniger als drei Minuten berechnen. Zusätzlich liefern Pegelstationen an der Küste weitere Informationen über die tatsächliche Wellenhöhe.
Ein Tsunami breitet sich nicht geradlinig aus, sondern wird von Unterwasserbergen und Inselketten abgelenkt. Um die Hindernisse erst einmal zu erfassen, haben deutsche Meeresforscher gemeinsam mit indonesischen Kollegen den Ozeanboden per Fächerecholot vermessen.
3500 verschiedene Beben durchgerechnet
Die dabei errechneten Karten verwendeten Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven für ihre Computermodelle, mit denen sie das Verhalten eines entstandenen Tsunamis auf seinem Weg zur Küste berechnen. Mehr als 3500 mögliche Beben vor der indonesischen Küste und die daraus entstehenden Wellen hat dieses „TsunAWI“ genannte System bereits durchgerechnet und gespeichert. Wann kommen die Wellen an jedem einzelnen Abschnitt der Küste an? Wie hoch werden sie dort sein? Diese Daten liefern den Katastrophenschützern in den jeweiligen Gemeinden lange vor einem Beben wertvolle Informationen: Wie viel Zeit bleibt für eine Evakuierung, welche Fluchtwege sollten ausgewiesen werden, wo können Schutzräume errichtet werden und wie hoch sollten diese über dem Meeresspiegel liegen?
Gezielte Warnung für jede Küstenregion
Läuft ein Tsunami im Ernstfall nach einem Beben bereits auf die Küste zu, kann das Warnsystem innerhalb von Sekunden aus den gespeicherten Modellläufen für verschiedene Beben die am besten passende Berechnung aussuchen und Informationen über das Verhalten der Wellen an der Küste liefern. Die Software markiert auf einer Karte die erwartete Wellenhöhe: Gelb für bis zu einem halben Meter hohe Wellen, Orange für höchstens drei Meter und Rot für höhere Brecher. Mit diesen Informationen kann das Warnzentrum in Jakarta für jedes Gebiet weniger als fünf Minuten nach Beginn des Bebens eine spezifische Warnung herausgeben.
Seit September 2007 wurden auf diese Weise neunmal voraussichtlich betroffene Küstenabschnitte alarmiert. Die vor Ort Zuständigen gaben die Warnung mit verschiedenen Methoden weiter: von Durchsagen per Lautsprecher bis zu eingeblendeten Informationen in TV- und Rundfunksendungen. Nur einmal töteten die Riesenwellen in Indonesien seither Menschen.
Oktober 2010: Es wurde Alarm ausgelöst, doch es bleib kaum Zeit zur Flucht
Am 25. Oktober 2010 erschütterte ein starkes Erdbeben den Meeresboden unmittelbar vor den Mentawai-Inseln, die rund 130 Kilometer vor Sumatra liegen. Der ausgelöste Tsunami erreichte die Küsten innerhalb weniger Minuten und damit so schnell, dass zwar ein Alarm ausgelöst wurde, die Vorwarnzeit aber nicht reichte. 20 Dörfer an der Küste wurden von den Wellen verwüstet, mehr als 500 Menschen starben. Das zeigt: Ein ausgefeiltes Frühwarnsystem kann viele Menschenleben retten, einen hundertprozentigen Schutz bietet es nicht. Das hatten die Forscher bereits vor zehn Jahren dem Bundeskanzler erklärt.
Eine umfassende Broschüre über Gitews finden Sie hier (als PDF).