#MeToo an Kunst- und Musikhochschulen: Professionelle Nähe - und Distanz
Die #MeToo-Debatte ist in den Kunst- und Musikhochschulen angekommen. Bericht über einen Berliner Aktionstag über sexualisiertes Fehlverhalten.
Das Verhältnis von Lehrenden und Studierenden an Kunst- und Musikhochschulen ist geprägt von Nähe. Junge Studierende betrachten ihre Professorinnen und Professoren häufig als Idole, während sich die Lehrkräfte sich oft nicht nur für die künstlerische, sondern auch für die persönliche Entwicklung ihrer Studierenden verantwortlich sehen. Nahe kommen sich beide auch körperlich, beispielsweise im Instrumental- oder im Schauspielunterricht.
Diese Nähe kann schön und fruchtbar sein. Sie kann aber auch Ausgangspunkt für sexualisierte Belästigung und Gewalt sein, wie eine Reihe von Vorfällen aus den vergangenen Jahren zeigen, darunter die im Februar erfolgte Verurteilung Siegfried Mausers, des ehemaligen Präsidenten der Hochschule für Musik und Theater in München. Wegen sexueller Nötigung kommen immer wieder Vorwürfe gegen Musikprofessoren auf, zuletzt in Hamburg und Düsseldorf.
Oft wird zuerst über Flirt und Erotik gesprochen
#MeToo ist also in den Kunst- und Musikhochschulen angekommen. Aus diesem Anlass veranstalteten die Universität der Künste Berlin (UdK) und die Hochschule für Musik Hanns Eisler (HfM) am Freitag erstmals gemeinsam einen Aktionstag zum Thema. Unter dem Motto „Nähe und Distanz“ kamen Lehrkräfte, Angestellte der Universitäten und Studierende in den Räumen der HfM zusammen. Rechtswissenschaftlerin Ulrike Lembke machte in ihrer Einführung in die aktuelle Rechtslage deutlich, dass es vor allem um Missbrauch von Macht geht.
„Wer bei sexualisierter Belästigung erstmal über Flirt und Erotik sprechen will, nimmt die Perspektive der Täter ein“, sagte Lembke. Hochschulen seien verpflichtet, eine Satzung zu erlassen, in der der Umgang mit sexueller Belästigung geregelt wird, denn die Gesetzgebung sei nicht auf die spezifische Situation einer Kunsthochschule zugeschnitten. „Es braucht Strukturen und Solidarität“, sagte Lembke. Die eigene Fachkultur müsse aufgearbeitet werden, auch wenn es wehtut.
Es braucht ein anonymes Beschwerdemanagement
Dass in der Welt der Kunst andere Gesetze zu gelten scheinen, beklagte die Musikwissenschaftlerin Freia Hoffmann. Es fehle das Verständnis dafür, dass auch herausragende Künstler bestimmte Grenzen nicht überschreiten dürfen. Das hätten auch die Reaktionen auf den Fall Mauser gezeigt, als mächtige Intellektuelle wie Hans Magnus Enzensberger oder Peter Sloterdijk sich zunächst hinter Mauser stellten. Eines der Probleme bestehe darin, dass Musikhochschulen sich mit großen Namen schmücken wollen und die pädagogische Eignung dabei im Hintergrund stehe.
Ein Student der UdK bestätigte diese Einschätzung Hoffmanns. „Ich bin Künstler, kein Pädagoge“, diesen Satz habe er sich von Professoren schon oft anhören müssen. In einem Workshop erarbeiteten die Studierenden einige Punkte, um die Situation zu verbessern. Es brauche ein gutes, anonymes Beschwerdemanagement, einen von allen unterschriebenen Verhaltenskodex und regelmäßige Schulungen für die Lehrkräfte. Letztlich gehe es auch um ein klares Solidaritätsbekenntnis der Institution. „Es hätte uns gefreut, wenn die Präsidenten den ganzen Tag hier gewesen wären“, sagte eine Studentin. Die beiden Männer waren direkt nach ihren Eröffnungsreden wieder gegangen.
Darauf achten, dass Distanz hergestellt ist
Zur Abschlussdiskussion kam dann immerhin der Vizepräsident der UdK, Norbert Palz. Er gab den Studierenden in vielen Punkten recht. So halte er etwa das System der Meisterschüler, die Studierende eng an eine einzelne Lehrkraft binden, für problematisch. „Wir als Hochschulleitung haben noch Luft nach oben“, gab Palz zu. Bei der Diskussion war auch die Cembalistin und Pianistin Christine Schornsheim dabei, die ihren damaligen Chef Siegfried Mauser als erste wegen sexueller Nötigung anklagte.
Auf die pädagogische Eignung würde inzwischen mehr geachtet, sagte Schornsheim. Es sei dennoch wichtig, Bedenken zu äußern, solange sich neue Lehrkräfte noch in der Probezeit befinden. „Alle müssen sich verantwortlich fühlen“, so Schornsheim. Es gebe immer noch großen Widerstand von vielen Lehrkräften, wenn es darum gehe, den eigenen Unterricht zu reflektieren. „Es ist die Aufgabe der Lehrenden, darauf zu achten, dass Distanz hergestellt ist“, sagte die Professorin.
Menschen, die Opfer sexueller Nötigung geworden sind, riet sie, sich Hilfe zu holen. Sie habe als erstes den Frauennotruf in München kontaktiert und auch später professionelle Hilfe in Anspruch genommen, um die permanenten Gegenangriffe auszuhalten. „Es ist kein Spaziergang“, sagte Schornsheim. „Aber so kann man es schaffen.“