Klimaschutz: Nur Kohlendioxid vermeiden reicht nicht aus
Um das Zwei-Grad-Ziel zu schaffen - und erst recht die 1,5-Grad-Marke - müssen wir über technische Eingriffe ins Klimasystem diskutieren. Ein Kommentar.
Wem das Klima am Herzen liegt, der muss dieser Tage mit einigen schlechten Nachrichten zurechtkommen. Die US-Bürger haben entschieden, dass ihr Land – neben China die größte Volkswirtschaft der Welt – künftig von Donald Trump geführt wird, der Klimaschutz bekanntermaßen für verzichtbar hält. Entsprechend verunsichert waren die Teilnehmer der Klimakonferenz, die bis zur vergangenen Woche in Marrakesch stattfand. Noch demonstrierten sie Einigkeit und Entschlossenheit, gegen die Erderwärmung und deren Folgen vorzugehen. Ob das so bleibt, wenn die USA sich aus dem Klimaschutz zurückziehen, muss bezweifelt werden. In diese Anspannung platzte dann noch die Mitteilung, dass die Temperaturen in der Arktis derzeit bis zu 20 Grad Celsius über den üblichen Werten liegen und das Meereis nach dem warmen Sommer nur sehr langsam wächst. An vielen Stellen sind die Gewässer noch offen, und das Mitte November.
Der Klimawandel ist real. Im Vergleich zur vorindustriellen Zeit ist die globale Durchschnittstemperatur bereits um knapp ein Grad gestiegen. Wie geht es weiter? Wird die Weltbevölkerung mit ihren Wünschen, Bedürfnissen und Gewohnheiten vor der Zwei-Grad- Marke eine Wende hinlegen? Oder gar bei 1,5 Grad, wie die Klimaverhandler in Paris vor einem Jahr berauscht ins Protokoll geschrieben haben?
Wunsch und Wirklichkeit klaffen, wie so oft, weit auseinander. Versprechungen für eine ferne Zukunft wie Mitte oder Ende des Jahrhunderts sind leicht gemacht. Je näher der Stichtag ist, umso kniffliger wird’s. Das erleben gerade deutsche Politiker, die erklären müssen, warum das Klimaziel für 2020 (der Ausstoß von Treibhausgasen soll mindestens 40 Prozent geringer sein als 1990) wohl verfehlt wird.
Nicht anders dürfte es dem Zwei-Grad-Ziel ergehen. Legt man den derzeitigen Kohlendioxidausstoß zugrunde, hat die Menschheit bis Mitte der 2030er-Jahre Zeit, bevor das CO2-Kontingent ausgeschöpft ist, das höchstens emittiert werden kann, um unter einem Plus von zwei Grad zu bleiben. Danach dürfen Wirtschaft, Verkehr, unser ganzes Leben unterm Strich nicht mehr Kohlendioxid ausstoßen als von Pflanzen oder Gewässsern aufgenommen wird. Für das schärfere 1,5-Grad-Ziel muss diese „Dekarbonisierung“ bereits Anfang des nächsten Jahrzehnts erreicht werden. Das ist illusorisch.
Selbst die Zielmarke „in 20 Jahren“ ist schnell erreicht. Bis dahin müssen Energie- und Wärmeversorgung sowie der Verkehr ohne Kohle, Erdöl und Erdgas auskommen. Dafür sind etliche technische Revolutionen nötig, die die Effizienz der erneuerbaren Energien steigern. So wünschenswert diese sind, sie lassen sich nicht verordnen. Verlassen sollten wir uns darauf besser nicht.
Damit rücken zwei Optionen in den Fokus, über die bisher kaum gesprochen wird: das großmaßstäbliche Abtrennen von CO2 aus dem Abgas von Kraftwerken und eine Endlagerung in der Tiefe, CCS genannt (Carbon Capture and Storage) sowie Geoengineering, also technische Eingriffe ins Klimasystem, wie das Versprühen von Schwefelverbindungen in der Stratosphäre, um Strahlung von der Erdoberfläche abzuhalten.
Beide Ansätze sind umstritten, doch werden solche technische Maßnahmen wohl nötig sein, um die gesteckten Klimaziele zu erreichen. Darauf machen Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik und Andy Parker vom Institute for Advanced Sustainability Studies in Potsdam aufmerksam. Im Fachjournal „Nature Geoscience“ fordern sie, dass der Weltklimarat in seinem nächsten Report beide Ansätze umfassend darstellen soll – als Grundlage für kommende Diskussionen.
Das ist riskant. Einerseits könnten CCS und Geoengineering als „wundersame Rettung“ missverstanden werden in der Art: Wir machen weiter wie bisher und lösen das Klimaproblem mit technischen Mitteln. Andererseits könnten technikskeptische Gruppen das Thema an sich reißen und beide Optionen in Misskredit bringen, bevor eine Debatte beginnt.
Dennoch wäre es falsch, diese zu vertagen. Noch ist Zeit, um in Ruhe das Für und Wider zu wägen. Beim CCS sind es vor allem technische Probleme sowie der enorme Platzbedarf für den Anbau von Pflanzen (die das zu versenkende CO2 aus der Luft holen). Beim Geoengineering ist nur ansatzweise verstanden, welche Folgen es für die Umwelt hat.
Wenn die wichtigsten Informationen vorliegen, muss sich die Menschheit entscheiden, welchen Risiken sie sich aussetzen will: denen des CCS beziehungsweise der Klimaklempnerei oder denen einer deutlichen Erderwärmung. Das Ergebnis werden vor allem die nachfolgenden Generationen zu spüren bekommen.