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Eine Krankenschwerster prüft ein Beatmungsgerät in einem Zimmer einer Intensivstation.
© Jens Büttner / dpa

Studie zu Corona in Deutschland: Nur die Hälfte der beatmeten Covid-19-Patienten überlebt

Die Lage in deutschen Krankenhäusern gleicht der in anderen europäischen Ländern. Berlin könnte bei der Patientenbehandlung in einem Punkt auch Vorbild sein.

Auch wenn für eine große Anzahl der mit dem Coronavirus-Infizierten die Krankheit eher glimpflich verläuft, sieht es für die schweren Fälle ganz anders aus. Kranke, die wegen eines schweren Verlaufs von Covid-19 in einer Klinik beatmet werden mussten, haben nur eine knapp 50-prozentige Chance zu überleben.

Das ist das Ergebnis einer Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO), der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) und der Technischen Universität Berlin, die jetzt im medizinischen Fachmagazin „The Lancet Respiratory Medicine“ veröffentlicht wurde.

Für die Untersuchung haben die Autoren die Abrechnungsdaten der AOK von rund 10.000 Patienten mit bestätigter Covid-19-Diagnose ausgewertet, die zwischen dem 26. Februar und 19. April 2020 in 920 deutschen Krankenhäusern behandelt wurden. „Bei Patienten mit Beatmung lag die Sterblichkeit bei 52 Prozent, bei denen ohne Beatmung mit 16 Prozent deutlich niedriger“, heißt es in der Studie.

Diese Aussage relativiert Reinhard Busse, Professor für Management im Gesundheitswesen an der TU Berlin und einer der Mitautoren der Studie, etwas: „In absoluten Zahlen sind im Krankenhaus mehr Covid-19-Patienten verstorben, die nicht beatmet wurden.“

Insgesamt wurden 1727 stationär behandelten Covid-19-Patienten künstlich beatmet, von denen rund 900 starben. Etwas mehr als drei Viertel dieser Patienten erhielt eine invasive Beatmung, also per Tubus in der Luftröhre. Die übrigen 8294 Patienten wurden ohne Beatmung versorgt. Von ihnen verstarben rund 1320.

Zum Anfang der Pandemie seien viele geschockt gewesen, wie hoch die Sterblichkeit der an Covid-19 erkrankten Patienten war, sagt Busse. Nun gebe es endlich Zahlen, die das etwas genauer beleuchten. „Es zeigt sich, dass die manchmal sichtbare Selbstzufriedenheit der Intensivmediziner, hierzulande erfolgreicher behandelt zu haben, nicht ganz gerechtfertigt war.“

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Denn die Sterblichkeit der im Krankenhaus behandelten Covid-19-Patienten sei in Deutschland durchaus vergleichbar mit anderen europäischen Ländern. „Auch in Großbritannien liegt sie bei etwa der Hälfte.“ Es gebe aber einen entscheidenden Unterschied: „In Deutschland wurde ein größerer Anteil der mit dem Coronavirus infizierten Menschen vom Krankenhaus ferngehalten.“ Nur etwa jeder fünfte Covid-19-Patient kam in eine Klinik, in Frankreich waren es 70 Prozent.

Deutschlandweite Analyse auf Basis abgeschlossener Krankenhaus-Fälle – 10 021 Patienten (mit bestätigter Covid-19 Diagnose) vom 26.2. bis 19.4.2020.
Deutschlandweite Analyse auf Basis abgeschlossener Krankenhaus-Fälle – 10 021 Patienten (mit bestätigter Covid-19 Diagnose) vom 26.2. bis 19.4.2020.
© Tagesspiegel/Cremer

Inzwischen gleiche sich jedoch das Verhältnis in den meisten Ländern auf niedrigerem Niveau an – einfach deshalb, weil mehr außerhalb der Krankenhäuser getestet wird und somit mehr Patienten mit leichterem Krankheitsverlauf ambulant versorgt werden. „In Frankreich beispielsweise sank die Quote auf jeden sechsten Infizierten, der in eine Klinik eingewiesen werden muss.“

Hintergrund des hohen Prozentanteils an verstorbenen Beatmungspatienten sind offenbar Begleiterkrankungen, an denen die beatmeten Covid-19-Patienten litten. Hinzu kommt deren zumeist hohes Alter. So hatten beispielsweise 24 Prozent der Patienten ohne Beatmung Herzrhythmusstörungen, bei den beatmeten Patienten waren das 43 Prozent.

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„Eine Diabetes-Erkrankung lag bei 26 Prozent der Patienten ohne Beatmung und bei 39 Prozent der Patienten mit Beatmung vor“, heißt es in der Studie. Der Anteil der verstorbenen Über-80-Jährigen, die beatmet wurden, liegt bei 72 Prozent, die der Nichtbeatmeten dieser Altersgruppe ist mit 34 Prozent nicht einmal halb so hoch.

Beatmungspatienten durchschnittlich 25 Tage im Krankenhaus

Zudem müssen beatmete Patienten lange im Krankenhaus bleiben. Die durchschnittliche Dauer des Krankenhausaufenthaltes der Covid-19-Patienten betrug 14 Tage. Bei den nicht beatmeten Patienten war sie mit 12 Tagen deutlich kürzer als bei den Beatmungspatienten mit 25 Tagen. „Die Dauer der künstlichen Beatmung lag im Durchschnitt bei 14 Tagen.“ Knapp jeder vierte musste sogar länger als drei Wochen beatmet werden.

Es wären aber auch noch andere Gründe für die hohe Sterblichkeit von beatmeten Patienten denkbar. In den vergangenen Wochen haben Experten immer wieder darüber diskutiert, ob die Beatmung selbst Risiken birgt, also wann der richtige Zeitpunkt für den Beginn einer Beatmung ist und welche Beatmungstechnik die erfolgversprechendste. Doch solche Frage könne die Analyse nicht beantworten, sagt Reinhard Busse. „Wir haben ja keine Kontrollgruppe.“

Die Ergebnisse der Analyse legen nahe, dass auch das Geschlecht bei der Beatmungspflicht eine Rolle spielt: Der Anteil der beatmeten Männer beträgt 22 Prozent und war damit fast doppelt so hoch wie bei den Frauen mit zwölf Prozent.

„Die Sterblichkeit lag hingegen auf einem vergleichbaren Niveau“, heißt es in der Studie „Aus den Abrechnungsdaten heraus lässt sich dieser deutliche Unterschied nicht erklären, hier besteht weiterer Forschungsbedarf“, wird Christian Karagiannidis, Sprecher der DIVI-Sektion „Lunge – Respiratorisches Versagen“ sowie Leiter des ECMO-Zentrums der Lungenklinik Köln-Merheim in der Studie zitiert.

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Eine andere auffällige Zahl ist die Quote der verlegten Patienten, also derjenigen, die in einer Klinik aufgenommen wurden und während der Therapie in eine andere, besser ausgestattete Klinik transportiert werden mussten.

„Diese Quote liegt bei 27 Prozent, das ist im Vergleich zu Schlaganfall oder Herzinfarkt, wo die Verlegungsquote bei etwa 15 Prozent liegt, eine extrem hohe Zahl“, sagt der Berliner Gesundheitswissenschaftler Busse. „Das heißt, dass mehr als ein Viertel der Covid-19-Patienten erst mal im falschen Krankenhaus gelandet war.“

"Covid-19-Klinik auf Berliner Messegelände ist überflüssig"

Das müsse – auch in Vorbereitung auf eine mögliche zweite Erkrankungswelle - deutlich besser werden. Das Berliner System, bei dem die Kliniken mit Intensivstationen in drei Gruppen eingeteilt wurden – eine Hauptklinik für die beatmungspflichtigen Patienten mit Covid-19, weitere Kliniken, die sich um weitere Covid-19-Patienten kümmerten, und eine dritte Gruppe, die für andere Intensivpatienten verfügbar bleibt – könnte dafür bundesweit ein Vorbild sein, meint Busse.

Und das nicht nur, weil dadurch die meisten Patienten gleich korrekt in für Covid-19 passend ausgestattete Kliniken kommen, sondern auch, weil andere Krankenhäuser frei von Covid-19 bleiben und somit eine Übertragung des Virus in den Kliniken unterbunden wird. „Und das ist mindestens ebenso wichtig, wie die Covid-19-Patienten in das richtige Krankenhaus zu bringen.“ Bei einer anderen Entscheidung jedoch tauge Berlin nicht zum Vorbild: „Die sogenannte Covid-19-Klinik auf dem Messegelände einzurichten, war falsch“, sagt Busse.

„Mit ihrer mangelhaften Ausstattung hätte sie genau das nötig gemacht, was jetzt schon zu oft passiert ist: Eine massenhafte Verlegung von schwer kranken Covid-19-Patienten in andere, besser mit Personal und Technik ausgestattete Häuser.“ Und deshalb sei diese Klinik überflüssig, selbst wenn es eine zweite Corona-Welle geben sollte.

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