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Frankreichs Präsident Emmanuel Macron muss auf eine zunehmende Verschärfung der Coronakrise reagieren.
© Julien De Rosa/EPA POOL/AP/dpa

6500 Neuinfektionen in Frankreich: Nun steigt auch die Zahl der Intensivpatienten im Nachbarland

In ganz Frankreich steigt die Zahl der Krankenhauseinweisungen wegen Covid-19. In Teilen Südfrankreichs werden die Klinikbetten für Schwerkranke knapp.

In Frankreich verschärft sich die Corona-Lage weiter. Für den Dienstag meldeten die Behörden rund 6500 Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden, in den sieben Tagen davor waren es insgesamt rund 42.000 - rund sechs Mal so viele wie in Deutschland. Die Infektionszahlen steigen seit mehr als drei Wochen massiv an.

In der besonders betroffenen Hafenstadt Marseille berichten erste Krankenhäuser von vollständig belegten Intensivbetten. Von den 70 Betten für Covid-19-Kranke im Département Bouches-du-Rhône seien derzeit 70 belegt, teilten die Behörden in Marseille mit. Die Lage sei angespannt, aber nicht so dramatisch wie auf dem bisherigen Höhepunkt der Pandemie, als im Département 270 Coronapatienten auf den Intensivstationen lagen. Aktuell sind in der Region 322 Betten generell für Intensivpatienten verfügbar.

Pro Tag werden derzeit in der Region rund 60 Menschen wegen einer Erkrankung mit Covid-19 ins Krankenhaus eingeliefert. Eine Behandlung auf der Intensivstation bedeutet das nicht automatisch. Als Reaktion auf die angespannte Lage wollen die Universitätskliniken in Marseille nun die Zahl der Intensivbetten erhöhen.

In ganz Frankreich wurden am Dienstag knapp 500 Menschen wegen einer Covid-19-Erkrankung in Krankenhäuser eingeliefert. Im Schnitt der vergangenen sieben Tage gab es täglich rund 300 Einweisungen. Das ist ein deutlicher Anstieg im Vergleich zur letzten Augustwoche. In dieser Zeit lag die Hospitalisierungsrate bei rund 200 Kranken pro Tag.

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Aktuell befinden sich rund 540 Menschen in Frankreich wegen einer Corona-Infektion in intensivmedizinischer Betreuung, die Zahl war am Montag und Dienstag noch einmal deutlich gestiegen. Unklar ist, ob es sich nur um einen temporären Ausschlag oder schon um einen Trend handelt.

Zum Vergleich: In Deutschland werden aktuell 230 Patienten wegen Corona intensivmedizinisch betreut. In Deutschland haben die gestiegenen Fallzahlen bei den Infektionen bisher nicht zu einem Anstieg der Patientenzahlen in den Krankenhäusern oder Intensivstationen geführt.

Gesundheitsminister warnt vor dem Anstieg schwerer Fälle

Frankreich müsse wachsam bleiben, da in den nächsten zwei Wochen mehr Menschen auf Intensivstationen eingeliefert werden würden, sagte Gesundheitsminister Olivier Veran nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters am Samstag schon gewarnt. „Wir befinden uns nicht auf der gleichen Epidemiewelle wie im vergangenen Frühjahr. Wir sehen einen langsameren Trend, aber es ist einer, der uns alarmieren muss“, sagte Veran.

In der vergangenen Woche seien täglich im Schnitt 55 Patienten auf Intensivstationen eingeliefert worden. Die aktuellen Zahlen der Krankenhauseinweisungen spiegelten Infektionen wider, die vor zwei Wochen erfolgt seien. „Es ist also offensichtlich, dass es in den nächsten 15 Tagen eine Zunahme geben wird, sie wird nicht massiv sein, aber es wird dennoch eine Zunahme der Anzahl schwerer Fälle und der Zahl der Krankenhauseinweisungen und Patienten auf den Intensivstationen geben“, sagte Veran.

Genau diese Zunahmen scheint es nun zu geben.

Lage ist nicht mit der im Frühjahr zu vergleichen

Die Bilder aus Frankreich erschütterten im Frühjahr auch viele Menschen in Deutschland, die Angst vor einem ähnlichen Szenario wie im Nachbarland war groß. Zeitweise meldete Frankreich vierstellige Todeszahlen pro Tag. Die Kapazitäten der Intensivstationen waren erschöpft, Berichte über das Triage-Verfahren in Kliniken machten die Runde. Präsident Emmanuel Macron sprach von „Krieg“.

Nach ersten Gegenmaßnahmen im Februar zog die Regierung Mitte März die Notbremse und beschloss einen der schärfsten Lockdowns in Europa inklusive Ausgangssperren. Der Höhepunkt der ersten Ansteckungswelle war in Frankreich dann bereits Anfang April erreicht.

Danach konnte die Ausbreitung des Erregers Sars-CoV-2 weitgehend effektiv eingedämmt werden. Ende Mai fiel die Zahl der Neuinfektionen im Schnitt unter die Marke von 500 Fällen pro Tag. Die Lage schien beherrschbar.

Allerdings ist die aktuelle Situation mit der im Frühjahr kaum zu vergleichen. Denn im März wurde wohl nur ein Bruchteil der tatsächlich Infizierten überhaupt entdeckt. Schätzungen des Pasteur Institutes könnte es zum Höhepunkt der Epidemie im März in Frankreich bis zu 250.000 tägliche Neuinfektionen gegeben haben – statt der damals höchstens rund 8000 Neuinfizierten pro Tag. Das würde auch die relativ hohe Zahl schwerer und tödlich verlaufender Covid-19-Fälle in den Wochen danach erklären.

Auch jetzt entgehen den Testlabors noch Infizierte, aber die Schätzungen liegen mit vermutlich 10.000 bis 15.000 Neuinfektionen pro Tag wesentlich näher an den tatsächlichen Diagnosen von rund 9000 täglichen Neuinfektionen. 

Hinzu kommt: Wie die „New York Times“ berichtete, sind rund 30 Prozent der Neuinfizierten in Frankreich in einer relativ jungen Altersgruppe: zwischen 15 und 44 Jahren. Bekannt ist, dass junge Infizierte seltener schwere Symptome entwickeln. Die Teile der Bevölkerung, die besonders anfällig für schwere Verläufe sind, sind besser geschützt als während der ersten Phase im Frühjahr, als sie etwa in Seniorenheimen fast schutzlos waren. 

Warum die Fallzahlen nun wieder rapide steigen

Ein Grund ist sicher die gestiegene Zahl der Tests. Nach Angaben der Gesundheitsbehörden wurden binnen einer Woche mehr als eine Million Tests vorgenommen. Der Anteil der positiven Tests stieg innerhalb einer Woche von 4,0 auf 4,5 Prozent.

Zum Vergleich: In Deutschland ist die Positivrate trotz ebenfalls erheblich ausgeweiteter Untersuchungen auf 0,74 Prozent zurückgegangen. Doch der starke Anstieg der registrierten Fälle könne nicht allein mit der Ausweitung der Tests erklärt werden, hieß es am Samstag von den französischen Gesundheitsbehörden.

Dass sich viele Urlauber nach dem Ende der Ferien testen lassen, gilt als ein Grund. Aber auch zunehmende Nachlässigkeit bei den Hygiene- und Abstandsregeln wird diskutiert. Auch illegale Feste – beispielsweise eines mit bis zu 10.000 jungen Menschen auf einem Feld in Südfrankreich oder Pool-Partys an der Côte d'Azur – werden als Ursache vermutet.

Seit Mitte Mai wurden außerdem die Auflagen gelockert, das öffentliche Leben nahm wieder Fahrt auf. Treffen unter Freunden, in Cafés und Parks wurden wieder zur Normalität, die Schulen öffneten, nach und nach auch Kinos und Museen. Seit Mitte Juni sind Reisen vom und ins europäische Ausland wieder möglich.

Eine Maskenpflicht gab es lange nur im öffentlichen Nahverkehr. Erst seit einigen Wochen ist sie in Geschäften ebenso Pflicht, auch am Arbeitsplatz müssen seit Anfang des Monats Masken getragen werden. Paris, Marseille und andere Städte ordneten eine Maskenpflicht auch im Freien an – eine der Reaktionen auf die veränderte Lage.

Rote Zonen in ganz Frankreich

Inzwischen gelten mehr als ein Viertel der französischen Verwaltungsbezirke als „rote Zonen“. Die Einstufung ermöglicht es den Behörden, die Corona-Maßnahmen zu verschärfen. Massendemonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen gab es in Frankreich anders als in der Bundesrepublik bisher nicht.

Für die Region Provence-Alpes-Côte d'Azur am Mittelmeer wie auch für den Großraum Paris gilt eine Reisewarnung der Bundesregierung. Nicht ausgeschlossen ist, dass sie auf ganz Frankreich ausgeweitet wird.

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