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Ein Student steht an der Uni vor einem schwarzen Brett mit Wohnungsanzeigen.
© Matthias Balk/picture alliance/dpa
Exklusiv

DGB legt Forderungen für Bafög-Reform vor: Nothilfe für alle und kräftige Zuschläge

Mehr Geld und Zeit für geförderte Studierende, höhere Freibeträge: Was der Deutsche Gewerkschaftsbund für die anstehende Bafög-Reform fordert.

Deutlich höhere und regelmäßig steigende Bafögsätze und Elternfreibeträge, eine mehrfach verlängerbare Bezugsdauer, die Rückkehr zum Vollzuschuss und ein Notfall-Mechanismus: Das sind Kernforderungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) für eine erneute Bafög-Reform, die der Bund „noch in dieser Legislaturperiode“ auf den Weg bringen oder beschließen solle.

„Das Bafög als das Herzstück der staatlichen Studienfinanzierung erreicht nur noch einen kleinen Teil der Studierenden“, kommentiert die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack ein Positionspapier aus ihrem Haus, das dem Tagesspiegel exklusiv vorliegt.

Wenn fast 90 Prozent der Studierenden kein Bafög bekommen, sei von Chancengleichheit, die beim Start der staatlichen Ausbildungsförderung vor 50 Jahren als Ziel genannt wurde, „nicht mehr viel übrig“, kritisiert Hannack.

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Tatsächlich ist die Förderquote, die aktuell bei elf Prozent der rund 2,9 Millionen Studierenden liegt, im vergangenen Jahrzehnt kontinuierlich gesunken. Das war bereits Anlass für die von der großen Koalition initiierten 26. Bafög-Novelle. Sie führt in den letzten Schritten 2020/21 zu einer Anhebung des Höchstfördersatzes auf 861 Euro monatlich und zu einem Elternfreibetrag von insgesamt 2000 Euro Netto-Einkommen.

Das sei „viel zu zögerlich“, konstatiert der DGB – und fordert „mutigere Schritte“ in Richtung eines an die „Erfordernisse der modernen Gesellschaft“ und damit an höhere Qualifikationen und eine lebenslange, auch akademische Weiterbildung angepassten Bafögs. Mit diesen Vorschlägen steht der Gewerkschaftsbund nicht alleine, zuvor hatten unter anderem die Grünen im Bundestag und das Deutsche Studentenwerk grundlegende Reformen skizziert.

Wohngeld zwischen 338 und 575 Euro

Der Regelbetrag für Studierende, der jetzt bei 427 Euro steht, solle laut DGB-Papier einmalig um 150 Euro erhöht werden, um Preissteigerungen und verpasste Erhöhungen zwischen 2010 und 2016 auszugleichen. In der Folge müssten die Fördersätze alle zwei Jahre im Zusammenhang mit dem Bafög-Bericht der Bundesregierung und analog zur Entwicklung der Löhne und der Lebenshaltungskosten angehoben werden.

Die Wohnkosten – derzeit pauschal bei 325 Euro – sollten nach einer Wohngeldtabelle berechnet werden. Die jetzige Pauschale decke in keiner Weise die vielerorts stark gestiegen Mieten ab. Künftig könnte sie je nach Region zwischen 338 und 575 Euro monatlich betragen.

Ein Porträtbild von Elke Hannack.
Elke Hannack ist stellvertretende DGB-Vorsitzende.
© Simone M. Neumann/DGB

Dynamisch steigen solle auch der Elternfreibetrag – von zunächst 2340 Euro Netto-Einkommen bei verheirateten beziehungsweise zusammenlebenden Eltern oder den Lebenspartnern der Studierenden.

Nicht mehr der Lebensrealität entspreche auch die festgelegte Förderungshöchstdauer, die sich an der Regelstudienzeit orientiert. Weil fast 80 Prozent ihr Studium nach zwei Semestern über der Regelstudienzeit abschließen, solle sich auch der Bafögbezug entsprechend verlängern können, fordert der DGB.

Rückkehr zum Vollzuschuss ohne Rückzahlung

Für Abiturienten, die ein zweisemestriges Orientierungsstudium absolvieren, das bislang nicht förderfähig ist, fordert der DGB eine Art Bafög-Vorlauf, der nicht auf die anschließende Studienzeit angerechnet werden soll.

Wer nahe Angehörige pflegt oder sich sozial oder politisch engagiert – mit einem weiter gefassten Engagementsbegriff als bisher – soll ebenfalls einen Zeitzuschlag bekommen. Und auch die Altersgrenzen für den Bafögbezug müssten fallen, heißt es.

Zusätzlich zur etwaigen Verlängerung nach der Regelstudienzeit solle es einen unbürokratischen Nachschlag von zwei Semestern geben – als Abschlussförderung zu regulären Bafög-Konditionen. Während die normale Studienförderung hälftig als zinsfreies Darlehen und als Zuschuss ausgezahlt wird, gibt es für das Abschlussjahr bisher nur ein Volldarlehen.

Absolvent:innen der Uni Bonn, die schwarze Talare tragen, werfen jubelnd ihre schwarzen "Doktorhüte" in die Luft.
Der Abschlussjubel - hier an der Uni Bonn - kommt für die Allermeisten erst nach der Regelstudienzeit.
© imago/Papsch

Mit den Rückzahlungen an den Staat aber soll es laut DGB bald ganz vorbei sein: Alle Bafögbeziehenden müssten nach der erneuten Novelle einen Vollzuschuss erhalten, heißt es. Wer im laufenden Bafögbezug ist, solle statt der jetzigen Obergrenze für die Bafögschuld von 10 000 Euro nur noch maximal 5000 Euro zurückzahlen müssen.

Anja Karliczek ist für eine Reform, aber gegen die "Gießkanne"

Wie das Deutsche Studentenwerk, die Grünen, SPD und FDP sowie Studierendenverbände macht sich auch der DGB für einen Notfallmechanismus im Bafög stark. „In einer epidemischen Lage nationaler Tragweite“ müsse es für alle in finanzielle Not geratenen Studierenden geöffnet werden.

Eine Kostenrechnung für eine so umfassende Bafög-Reform legt der Gewerkschaftsbund nicht vor. Elke Hannack betont jedoch: „Die Bildungsrepublik Deutschland kann und muss sich mehr leisten, um deutlich mehr jungen Menschen ein finanziell abgesichertes Studium zu ermöglichen und so auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken.“

Fraglich bleibt allerdings, ob sich diese Forderungen in einer Regierung mit Beteiligung der Union durchsetzen ließen. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) hat sich wie berichtet zwar kürzlich für eine Bafög-Reform „in der nächsten Legislaturperiode, in einer neuen Koalition“ ausgesprochen. Dabei erklärte auch sie, dass die Studienfinanzierung künftig der Lebensrealität etwa beim lebenslangen Lernen näherkommen müsse. Karliczek aber gegen ein „Gießkannenprinzip“ aus. „Der Staat ist kein Selbstbedienungsbetrieb“, sagte die Ministerin.

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