Lage der Studierenden in der Coronakrise: Noch kein Zeitplan für Bafög-Reform und Notfallmechanismus
Vor der Bundestagswahl wollten die Ampelparteien das Bafög in nationalen Notlagen für alle Studierenden öffnen. Rückt die FDP jetzt trotz Omikron davon ab?
Eine nationale Krisensituation, in der das öffentliche Leben heruntergefahren wird und Jobs für Studierende wegfallen, sieht das Bundesbildungsministerium derzeit nicht am Horizont. Damit bestehe offenbar keine Notwenigkeit, den im Koalitionsvertrag versprochenen Notfallmechanismus im Bafög vorzubereiten.
Das jedenfalls legt eine Antwort von Jens Brandenburg (FDP), Parlamentarischer Staatssekretär im BMBF, auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Nicole Gohlke (Linke) zu "kurzfristigen Unterstützungsmaßnahmen" nahe.
Konkret hat Gohlke für den Fall finanzieller Notlagen gefragt, "wenn ein ,harter Lockdown' Anfang des Jahres 2022 umgesetzt werden sollte" - wie von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach für eine weitere Verschärfung der Omikron-Krise prognostiziert.
Die Bundesregierung werde "während der weiteren Entwicklung der Pandemie die Situation der Studierenden aufmerksam beobachten", verspricht Brandenburg in seiner Antwort. Derzeit sei aber "das Angebot an studentischen Jobs branchenübergreifend und bundesweit weiterhin unverändert sehr hoch".
Der KfW-Kredit bleibt für den Bund das Mittel der Wahl
Deshalb setze das BMBF weiterhin auf den KfW-Studienkredit, den Studierende in Anspruch nehmen können, "die während der Pandemie zusätzliche Finanzierungsquellen benötigen". Um ihnen "Planungssicherheit zu schaffen", habe die Bundesregierung mit der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) vereinbart, "die Zinsfreiheit des KfW-Studienkredits in der Auszahlungsphase bis zum 30. September 2022" zu verlängern.
Gohlke widerspricht in einem Statement gegenüber dem Tagesspiegel: "Schon die Schließung von Weihnachtsmärkten und Clubs hat Nebenjobs gekostet." Die Bundesregierung müsse das Bafög jetzt öffnen, "statt an den überteuerten KfW-Studienkrediten der Groko festzuhalten".
Während der ersten Coronasemester seit März 2020 hatte sich so etwas wie ein hochschulpolitischer Vorbote der Ampelkoalition im Bund gebildet: Die drei Parteien, die dann ab Herbst 2021 die neue Bundesregierung bilden sollten, waren sich mit der Linken einig in der Kritik an der Bafög-Politik von Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU).
Auch das Nothilfe-Programm war umstritten
Zum einen war schon länger klar, dass die Ausbildungsförderung für Studierende bei weitem nicht alle erreicht, die sie brauchen. Zum anderen forderten SPD, Grüne und FDP einhellig einen Notfallmechanismus im Bafög, mit dem alle gefördert werden könnten, die ihren Nebenjob pandemiebedingt verloren haben oder deren Eltern sie nicht mehr unterstützen können.
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Das erste Instrument, auf das Karliczek setzte, die Nothilfe für Studierende, die einen Jobverlust und einen gegen Null gehenden Kontostand nachweisen konnten, war bürokratisch und restriktiv. Erst recht galt das zweite Instrument, die Öffnung des KfW-Studienkredits mit vorübergehender Zinsfreiheit, als schlechte Alternative zu einem Notfallmechanismus im Bafög, weil die Zinsfreiheit zeitlich begrenzt ist und sich die allermeisten Studierenden ohnehin scheuen, Kredite aufzunehmen.
Koalitionsvertrag: "... einen Notfallmechanismus ergänzen"
Im Koalitionsvertrag ist die Öffnung des Bafögs für Notfälle ausdrücklich enthalten: "Wir richten das Bafög neu aus und legen dabei einen besonderen Fokus auf eine deutliche Erhöhung der Freibeträge. Außerdem werden wir u. a. Altersgrenzen stark anheben, Studienfachwechsel erleichtern, die Förderhöchstdauer verlängern, Bedarfssätze auch vor dem Hintergrund steigender Wohnkosten anheben, einen Notfallmechanismus ergänzen und Teilzeitförderungen prüfen", heißt es.
Gefragt hat Nicole Gohlke jetzt auch, welche konkreten Änderungen, "die ab Beginn des Wintersemesters 2022/2023 gelten", die Bundesregierung für das Bafög plane und wann die "vollumfängliche Reform" greifen solle. Darauf antwortet Brandenburg lediglich, dass "konkrete (Zeit-) Pläne zur Umsetzung dieser Ziele derzeit erarbeitet und abgestimmt" würden.
Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) hat bereits Ende 2021 versichert, die Bafög-Reform im neuen Jahr umgehend angehen zu wollen. Bei ihrer Antrittsrede im Bundestag am Donnerstag sagte Stark-Watzinger, sie wolle das Bafög "flexibler, attraktiver und vor allem elternunabhängiger machen". Den Notfallmechanismus erwähnte sie dabei ebenso wenig wie in früheren Statements.
Der "freie zusammenschluss von student*innenschaften" (fzs) warf Stark-Watzinger am Donnerstag vor, die Studierenden - wie andere politische Entscheidungsträger:innen auch - erneut vergessen zu haben. "Die Situation an den Hochschulen ändert sich täglich und für viele Studierende fallen erneut Einkommen weg. Darum braucht es jetzt ein Soforthilfe-Programm für psychosoziale Beratungsangebote und finanzielle Hilfen für Studierende vom Bund", forderte fzs-Vorständin Lone Grotheer.
Unterdessen hat Stark-Watzinger in der "Bild"-Zeitung einen Heizkostenzuschuss für Bafögempfänger:innen angekündigt. Sie könnten damit rechnen, dass auch sie den von der Ampel-Koalition für Wohngeldempfänger geplanten Zuschuss bekommen, bestätigte sie am Freitag gegenüber dpa. Man habe diesen Punkt in das laufende Gesetzgebungsverfahren eingebracht.
Auch Studentinnen und Studenten hätten in der Krise besonders stark gelitten, betonte Stark-Watzinger. „Viele konnten ihre Nebenjobs nicht wahrnehmen und viele sind auch jetzt von den hohen Energiekosten belastet.“ Deswegen sei es richtig, dass auch sie beim Heizkostenzuschlag berücksichtigt würden.