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Kosmischer Leuchtturm. Pulsare sind schnell rotierende Neutronensterne, die Strahlung mit einem bestimmten Muster abgeben. Die künstlerische Darstellung zeigt einen Pulsar im Zentrum des Krebsnebels.
© Abb.: AFP/David A. Aguilar(CfA)/Nasa/Esa

Astrophysikerin Jocelyn Bell Burnell im Interview: „Möglicherweise ist Einsteins Theorie falsch“

Die Astrophysikerin Jocelyn Bell Burnell über Gott, den Ursprung der Welt und den Ausstieg Deutschlands aus dem Astronomieprojekt SKA.

Frau Bell Burnell, Reisen ins All begeistern die Menschen seit jeher, wie etwa der Film „Interstellar“ zeigt oder die Diskussionen um bemannte Marsmissionen. Reizt Sie so ein Trip durch den Weltraum?

Natürlich interessiert mich das All, schließlich bin ich Astrophysikerin. Aber meine Arbeit kann ich vom Boden aus machen beziehungsweise mithilfe von Satelliten. Das genügt mir, ein Raumflug hat mich nie gereizt.

Andere Leute dafür umso mehr. Werden sie da draußen eines Tages Leben finden?
Ich denke, dafür muss man sehr weit reisen, über die Grenzen unseres Sonnensystems hinaus. Noch sind wir nicht in der Lage, solche weiten Strecken zurückzulegen. Aber wenn das gelingt, könnten uns Pulsare helfen, durch das Universum zu navigieren. Man muss nur ein großes Radioteleskop auf dem Raumschiff montieren, um ihre Signale zu empfangen. Daraus lässt sich dann die eigene Position berechnen.

Pulsare sind Ihr Forschungsschwerpunkt. Wie würden Sie Ihren Enkelkindern erklären, was darunter zu verstehen ist?
Das sind sehr kleine, sehr schwere Sterne, die sich sehr schnell um ihre eigene Achse drehen. Wie ein Leuchtturm senden sie einen Strahl von Radiowellen über den Himmel. Jeder Pulsar hat sein eigenes Muster von Signalen, so wie jeder Leuchtturm einen bestimmten Rhythmus hat.

Warum sind diese Objekte so interessant für Forscher?
Die Physik ist dort sehr kompliziert, weil alles so extrem ist: die Dichte, die Rotation, die Magnetfelder. Wir können viel von ihnen lernen und sie beispielsweise nutzen, um Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie zu testen. Das wurde mehrfach getan – und sie stand sehr gut da.

Sie sagen „sehr gut“, aber nicht „hundertprozentig“.
Als Wissenschaftler sagt man niemals „100 Prozent“. Man kann sich nie absolut sicher sein, es könnten ja doch 0,000001 Prozent übrig bleiben, die man nicht überprüfen kann.

 Jocelyn Bell Burnell (71) ist eine britische Radioastronomin. Sie entdeckte den ersten Pulsar, den Nobelpreis bekam jedoch ihr Doktorvater. Sie ist derzeit Visiting Professor an der Universität Oxford.
Jocelyn Bell Burnell (71) ist eine britische Radioastronomin. Sie entdeckte den ersten Pulsar, den Nobelpreis bekam jedoch ihr Doktorvater. Sie ist derzeit Visiting Professor an der Universität Oxford.
© privat

Welcher Teil von Einsteins Theoriegebäude ist noch nicht belegt?
Dazu gehört die Gravitation. Das ist eine drängende Frage, denn in der Physik können wir alle grundlegenden Kräfte in einer Theorie zusammenbringen, außer der Gravitation. Möglicherweise ist Einsteins Theorie von der Gravitation in bestimmten Punkten falsch. Deshalb testen Astronomen die Vorhersagen immer weiter.

Das ist beileibe nicht das einzige ungelöste Rätsel. Was sind die größten Fragen der Astrophysik in dieser Zeit? Die, sagen wir, innerhalb der nächsten zehn Jahre beantwortet werden könnten?
Da geht es zum Beispiel um den direkten Nachweis von Gravitationswellen, also Stauchungen der Raumzeit. Der steht noch aus, aber verschiedene Detektoren werden derzeit errichtet, die es schaffen könnten. Zwei weitere Themen sind Dunkle Materie und Dunkle Energie. Ich bin mir nicht sicher, ob wir Dunkle Energie in den nächsten zehn Jahren zu fassen kriegen, aber mit der Dunklen Materie könnte es gelingen. Das ist das Zeug, das man nicht sehen kann, das aber Gravitation erzeugt und die Galaxien zusammenhält, obwohl sie so schnell rotieren. Möglicherweise stellt sich am Ende heraus, dass es ein ziemlich exotisches Teilchen ist. Ein Kollege sagt neulich zu mir: Es ist ein Skalarpartikel! Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, was das sein soll (lacht). Aber es ist schon bemerkenswert, dass Dunkle Materie und Dunkle Energie den größten Anteil des Universums ausmachen. Und wir haben keine Ahnung, was sich dahinter verbirgt. Wir haben also ein echtes Problem.

Ist es realistisch, dass Forscher Dunkle Materie und Dunkle Energie wirklich finden werden? Oder wird sich am Ende herausstellen, dass etwas ganz anderes dahintersteckt?
Gut möglich. Es könnte so sein wie zu Keplers Zeiten. Vor ihm dachten die Menschen, die Planeten bewegen sich auf exakt runden Kreisbahnen, aber das passte nicht mit den Beobachtungen zusammen. Also fügten sie weitere kleine Kreisbahnen ein, aber es wurde immer komplizierter. Bis Kepler kam und sagte: Ellipsen sind die Lösung! Plötzlich war die Sache klar. Ich denke, das Gleiche wird mit der Kosmologie passieren. Wir haben das Standardmodell mit dem Urknall. Doch dann musste gleich zu Beginn die Inflation, eine unglaublich schnelle Ausdehnung des Universums, eingeführt werden, damit es einigermaßen passt. Dann haben wir noch Dunkle Materie hinzugefügt und nun sogar noch Dunkle Energie, um die Beobachtungen irgendwie erklären zu können. Wir brauchen jemanden, der eine völlig andere Art hat, auf die Dinge zu schauen, und sagt: Hey, es ist nicht Standardmodell plus Inflation plus Dunkle Materie plus Dunkle Energie. Es ist Punktpunktpunkt.

Und was ist Punktpunktpunkt?
Ehrlich gesagt haben wir noch keine Ahnung davon und ich weiß nicht, woher es kommen soll.

Sie glauben, es wird am Ende eine verblüffend einfache Lösung sein?
Es zeigt sich oft in der Physik, dass eine simple und saubere Lösung die richtige ist. Die Natur ist ökonomisch und einfach, sie neigt nicht zu komplizierten Bildern. Zumindest nicht in der Physik, anders vielleicht als in der Biologie. Aber gerade in der Physik sind oftmals die einfachen Dinge die richtigen.

Sie haben sich in ihrer Laufbahn viel mit Kosmologie beschäftigt und sich zudem bei den Quäkern engagiert. Wo da draußen im Universum ist Gott?
Angenommen, es gibt einen. Es ist jedenfalls kein physischer Ort, wo er sich befindet. Was wichtig ist: Im Quäkertum wird einem nicht vorgeschrieben, was man zu glauben hat. Man soll vielmehr selbst herausfinden, was man glaubt, man soll auch bereit sein, sein Bild zu ändern, je mehr Erfahrungen man sammelt.

Also, was glauben Sie, gibt es einen Gott?
Ich habe ein Bild von einem Gott. Eines, das konventionelle Christen verschrecken würde. Ich sehe ihn nicht als Schöpfer des Universums. Ich sehe Gott nicht als einen, der die Welt kontrolliert. Daher lohnt es sich nicht, für gutes Wetter zu beten. Er könnte es wahrscheinlich einrichten, aber er wird es nicht tun. Ich glaube, dass sich das Universum von selbst entwickelt hat. Meine Vorstellung von Gott besagt, dass er durch die Menschen agiert. Er inspiriert sie, große Dinge zu tun, kreative Dinge. Aber er ist nicht der Schöpfer.

Dieser Gott befindet sich in den Köpfen der Menschen?
Vielleicht. Ich bin nicht überzeugt davon, ich persönlich habe immer noch die Vorstellung von einem Gott außerhalb unseres Körpers. Aber ich weiß, dass die Neuroforschung sagt: Das spielt sich alles in unseren Köpfen ab. Vielleicht ist es so. Wenn es dazu führt, dass wir uns besser benehmen, dann ist es okay für mich.

Ist das ein Problem für Sie als Wissenschaftlerin, zu sagen: Ja, es gibt einen Gott, aber ich weiß nicht, wo er ist?
Nein, denn es gibt viele äquivalente Dinge in der Wissenschaft. Denken Sie an das berühmte Doppelspaltexperiment. Dort kann man nicht präzise sagen, durch welchen der beiden Spalte das Licht nun gekommen ist. So ist es auch mit der Theologie. Da gibt es Fragen, die keinen Sinn ergeben.

Gibt es ein Leben nach dem Tod?
Ich weiß es nicht, aber das beunruhigt mich auch nicht sonderlich. Wenn jemand stirbt, ist das traurig. Und was danach kommt? Keine Ahnung.

Zurück zur Radioastronomie. Sie hat in den vergangen Jahrzehnten große Fortschritte gemacht. Nun wird ein gewaltiger Verbund von Antennen geplant, das Square Kilometre Array. 1,5 Milliarden Euro soll dieses SKA kosten. Ist das nicht zu teuer für ein Forschungsgerät?
Das hört sich nach viel Geld an, wenn man es auf sein persönliches Einkommen bezieht, aber insgesamt ist es gar nicht so viel. Schauen Sie doch mal, was ein Airbus A 380 kostet oder 100 Kilometer Autobahn. Das SKA ist so gesehen gar nicht so teuer. Und es generiert gute Jobs, allerdings weniger in Europa, denn es wird auf der Südhalbkugel gebaut.

Deutschland will sich zurückziehen. Was sagen Sie dazu?
Ich finde das sehr schade. Solche Vorhaben gelingen nur in internationaler Kooperation. Wenn ein wichtiges Land wie Deutschland aussteigt, geht von dieser Entscheidung ein schlechtes Signal aus.

Bedeutet der Rückzug Deutschlands Nachteile für hiesige Wissenschaftler?
Definitiv. Zu den wichtigsten Themen, die bearbeitet werden sollen, gehören Pulsare. Deutsche Forscher zählen auf diesem Gebiet heute zu den international führenden, doch sie werden bei SKA allenfalls am Rande mitspielen können.

Das hängt mit der Finanzierung zusammen. Forscher, deren Länder sich an dem Projekt beteiligen, bekommen entsprechend Messzeit auf den Geräten. Wer nicht dabei ist, muss sich auf wenige freie Termine bewerben.
So sieht es aus. Der Rückzug Deutschlands aus dem Projekt ist schrecklich.

Jocelyn Bell Burnell (71) ist eine britische Radioastronomin. Sie entdeckte den ersten Pulsar, den Nobelpreis bekam jedoch ihr Doktorvater. Sie ist derzeit Visiting Professor an der Universität Oxford.

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