Streit um das generische Maskulinum: Mitgemeint, aber ausgeschlossen
Das generische Maskulinum erlaubt keine geschlechtergerechte Sprache. Eine Replik der Linguistin Gabriele Diewald auf ihren Kollegen Peter Eisenberg.
Peter Eisenberg beteuert in seinem Beitrag im Tagesspiegel vom 6. August, dass er sich bei seiner Verteidigung des generischen Maskulinums keineswegs gegen die Verwendung geschlechtergerechter Sprache richte, sondern nur dagegen, diese Gebrauchsgewohnheit aufzugeben. Eine solche Haltung erinnert an das Sprichwort „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!“.
Alle, denen es ernst ist mit geschlechtergerechter Sprachverwendung, wissen, dass genau dies sinnvoll ist: Personenbezeichnungen (und nur um die geht es in dieser Debatte), bei denen unklar ist, auf wen sie sich beziehen, zu meiden. Denn von großen Teilen der Sprachgemeinschaft werden sie als diskriminierend wahrgenommen.
"Anna ist ein einsamer Witwer"
Das Hauptargument von Peter Eisenberg ist, dass die Maskulinformen in paarigen Personenbezeichnungen wie Lehrer / Lehrerin oder Präsident / Präsidentin semantisch neutral seien, also nicht das Bedeutungsmerkmal männlich enthielten und daher grundsätzlich immer gleichermaßen und diskriminierungsfrei auf „alle“ bezogen werden könnten. Dieser Auffassung muss deutlich widersprochen werden.
Maler / Malerin, Professor / Professorin: Ganz offensichtlich liegt in diesen Wortpaaren eine semantische Unterscheidung zwischen männlich und weiblich vor: Das semantische Merkmal „weiblich“ ist Bestandteil der Bedeutung Malerin oder Professorin sowie von Substantiven wie Frau, Weib, Großmutter. Hingegen werden Männer gemeint mit Substantiven wie Mann, Männchen, Großvater, Maler, Professor. Eine Personenbezeichnung wie Mann, Redner, Diplomat oder Witwer verbindet sich denn auch problemlos mit einem männlichen Eigennamen: Kurt ist ein kluger Mann / ein eloquenter Redner / ein echter Diplomat / ein einsamer Witwer. Würde man einen weiblichen Eigennamen einsetzen, entstünden semantisch unsinnige Sätze:
?Anna ist ein kluger Mann / ein eloquenter Redner / ein echter Diplomat / ein einsamer Witwer.
Ausdrücke wie Mann, Redner, Diplomat und Witwer haben somit, anders als Eisenberg behauptet, sehr wohl eine geschlechtsspezifische Bedeutung, und zwar männlich (denn sonst gäbe es kein Problem mit einem Satz wie Anna ist ein einsamer Witwer). Analog hierzu beziehen sich die Substantive Frau, Rednerin, Diplomatin und Witwe auf Frauen.
Daneben gibt es Personenbezeichnungen, die geschlechtsunspezifisch sind, also weder das semantische Merkmal männlich noch das semantische Merkmal weiblich enthalten. Sie sind in jedem der drei grammatischen Genera anzutreffen: die Person, die Waise, der Mensch, der Star, das Kind, das Genie. Sie können zur Bezeichnung von Personen mit beliebigem biologischem Geschlecht verwendet werden: Anna / Kurt ist eine kluge Person / ein unbestrittener Star / ein fröhliches Kind.
Redner, Diplomat: Man assoziiert in erster Linie Männer
Das deutsche Sprachsystem bietet somit parallel Personenbezeichnungen, die geschlechtsunspezifisch sind, und solche, die geschlechtsspezifisch sind. Wenn nun die Maskulinformen geschlechtsspezifischer Personenbezeichnungen (Redner, Diplomat usw.) zur Bezeichnung gemischter Gruppen oder zur allgemeinen unspezifischen Referenz verwendet werden – das ist es, was mit dem Ausdruck generisches Maskulinum gemeint ist –, werden die Substantive dadurch keineswegs geschlechtsneutral. Denn man assoziiert damit in erster Linie Männer. Das erhärtet ein Blick in die Sprachgeschichte.
Das Suffix -er – das wichtigste Mittel, um Substantive zur Bezeichnung von Personen zu erzeugen – wurde in althochdeutscher Zeit aus dem Lateinischen entlehnt. Von Anfang an hatte es das semantische Merkmal männlich. Es erzeugt Substantive, die männliche Personen benennen, die eine bestimmte Funktion, einen Beruf, eine Tätigkeit ausüben: Bauer, Müller, Kläger. Oft ist die Ableitungsbasis ein Verb (arbeiten – Arbeiter), gelegentlich ist es auch eine weibliche Personenbezeichnung: So wird zur Hexe ein Hexer gebildet, zur Witwe ein Witwer. Auch diese Ableitungen von einer semantisch weiblichen Basis belegen, dass das Suffix -er eine spezifisch männliche Bedeutung hat.
Da die patriarchale Gesellschaftsordnung, die unsere Geschichte prägt, den Frauen ohnehin keine Funktion im öffentlichen Leben zuwies, die mit Beruf, Status oder offizieller Tätigkeit zu tun hatte, stellte sich die Frage, ob bei der Verwendung einer -er-Form Frauen mitgemeint sein könnten, lange Zeit nicht. Konsequenterweise benennt das Ableitungssuffix -in, das sekundär auch an Ableitungen mit -er angehängt wird (Müller, Müllerin), zunächst die Funktion als Ehefrau des Betreffenden und nicht den Beruf einer Frau.
Keine Zulassung als Anwältin, weil in der Verordnung nur Anwalt steht
Die ersten Dokumente, die darüber sprechen, dass Personenbezeichnungen wie Bürger oder Müller in verallgemeinernder Weise für beide Geschlechter stehen können, berufen sich gerade nicht auf eine angebliche Geschlechtsneutralität der Maskulinformen, sondern ganz explizit darauf, dass sie geschlechtsspezifisch männlich sind. Dabei wird – in offen sexistischer Manier – mit der „natürlichen“ Rangordnung der Geschlechter argumentiert: Männer seien das erste, privilegierte und würdigere Geschlecht, daher muss bei verallgemeinernder Bedeutung die männliche Sprachform, zum Beispiel Bürger (semantisch männlich, grammatisch Maskulinum), gewählt werden. Da Frauen an sich nachrangig sind, muss man sie nicht nennen.
Im 19. Jahrhundert, in Aufzeichnungen zu Sitzungen der Frankfurter Nationalversammlung, wird eine generische Interpretation von Maskulinformen wie Bürger, Abgeordneter in rechtlichen Texten sogar explizit verneint. Diese Formen wurden spezifisch männlich definiert, Frauen waren ausgeschlossen.
Heute können Frauen „mitgemeint“ sein. Sie können aber auch jederzeit ausgeschlossen werden! Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts gibt es dokumentierte Fälle offener Diskriminierung (zum Beispiel die Versagung der Zulassung als Anwältin für eine promovierte Juristin), die sich explizit darauf berufen, dass eine angeblich generisch maskuline Form (Anwalt, Landrat) im entscheidenden Text dann doch ausschließlich spezifisch auf Männer bezogen sei.
Ausbildungsberufe: seit Mitte der 70er Jahre männlich und weiblich
Es trifft also nicht zu, dass die Maskulinformen paariger Personenbezeichnungen historisch jemals eine geschlechtsneutrale lexikalische Grundbedeutung hatten.
Die Einsicht, dass dies auch heute nicht der Fall ist und dass das sogenannte generische Maskulinum eben keine geschlechtsneutrale Personenbezeichnung darstellt, ist inzwischen nicht nur in feministischen Kreisen weitverbreitet. Sie liegt zum Beispiel der seit Mitte der 70er Jahre geltenden Bestimmung zugrunde, dass Berufsbezeichnungen für Ausbildungsberufe in den Listen der Agentur für Arbeit grundsätzlich in der männlichen und weiblichen Form genannt werden müssen. Dies spricht nicht für eine geschlechtsneutrale Grundbedeutung der Maskulinformen.
Ein Blick in die empirische Stereotypenforschung, die seit Jahrzehnten in der Linguistik, der Kognitionspsychologie, der Psycholinguistik, der Erziehungswissenschaft, der Medien- und Textwissenschaft betrieben wird, rundet das Bild ab. Alle Studien, durchgeführt mit den unterschiedlichsten Methoden (wie Messungen von Reaktionszeiten und Lesegeschwindigkeiten, Befragungen, korpuslinguistische Auswertungen usw.), gelangen zu ähnlichen Schlüssen: Die Wahl einer bestimmten sprachlichen Form zur Personenbezeichnung hat großen Einfluss auf die Vorstellung von Menschen, die durch diese Form gemeint sein könnten. Durch die Verwendung des generischen Maskulinums werden Frauen entweder gar nicht oder zumindest nicht adäquat repräsentiert. Männer erscheinen als prototypische Exemplare der jeweiligen Inhalte der Personenbezeichnung.
"Finger weg vom generischen Maskulinum"
Die semantische Analyse zeigt also, dass geschlechtsspezifische Personenbezeichnungen nicht dadurch geschlechtsneutral werden, dass man sie „geschlechtsneutral“, also im sogenannten generischen Maskulinum, verwendet. Die sprachgeschichtliche Analyse entlarvt die Behauptung, dass in geschlechtsspezifisch männlichen Formen Frauen schon immer eingeschlossen seien, als historisch falsch. Und empirische Untersuchungen belegen, dass die Verwendung des sogenannten generischen Maskulinums auch heute die Vorstellung von Frauen als relevante Personen erschwert.
Eisenbergs Ruf: „Finger weg vom generischen Maskulinum!“ ist somit zuzustimmen. Es gibt in den allermeisten Fällen bessere und eindeutigere Möglichkeiten, sich klar auszudrücken und diskriminierungsfrei auf gemeinte Personen zu verweisen.
Die Autorin ist Professorin für Germanistische Linguistik an der Leibniz-Universität Hannover.
Gabriele Diewald
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