zum Hauptinhalt
Anatomie der Platzvergabe. In einer Übergangszeit könnten Notenbeste mehr denn je bevorteilt sein.
© imago/Sebastian Willnow

Neuregelung des Medizin-NC: Mit Note und Talent ins Medizinstudium

Die Kultusminister müssen die Zulassung fürs Medizinstudium neu regeln. Die Wartezeit soll gekippt und durch eine "Talentquote" ersetzt werden. Doch es werden schon Klagen gegen das neue Verfahren befürchtet.

Warten auf einen Medizin-Studienplatz: Für Bewerber, die keinen Einserschnitt mitbringen, war das bisher oft die einzige Chance auf das viel begehrte Fach. Künftig wird ihnen dieser Weg versperrt bleiben. Denn die Kultusminister wollen die Wartezeitquote für die Medizin abschaffen. Das ist eine Kernregelung, mit der die Minister die Zulassung neu ordnen wollen. Sie reagieren damit auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Das hatte Ende 2017 die Studienplatzvergabe in dem Fach teilweise für verfassungswidrig erklärt. Ein Urteil, das für Zehntausende relevant ist: Schließlich ist die Medizin das nachgefragteste Fach bundesweit.

Die Richter haben der Politik nicht viel Zeit gegeben. Ab Anfang 2020 müssen die Änderungen greifen. Die Amtschefs der Ministerien arbeiten derzeit an einem Entwurf für einen Staatsvertrag, am Dienstag trafen sie sich zu einer erneuten Sondersitzung. Als weitere größere Neuerung ist die Einführung einer „Talentquote“ vorgesehen, wie aus KMK-Papieren hervorgeht. Diese soll die Wartezeitquote ersetzen, in der bisher 20 Prozent der Plätze vergeben werden. Wie gehabt sollen auch künftig weitere 20 Prozent der Plätze an die mit der besten Note gehen. Der große Rest der Plätze bleibt wie bisher für das „Auswahlverfahren der Hochschulen“, in dem die Unis neben der Note eigene Kriterien heranziehen können.

"Die Zeit läuft uns davon"

Schon jetzt scheint aber klar, dass die neuen Regeln kaum rechtzeitig in Gänze umgesetzt werden können. Bis 2020 müsste auch die Bewerbungssoftware neu programmiert werden. Doch das halten die Kultusminister für unrealistisch. Es dürfte daher zu einem vereinfachten Übergangsverfahren kommen. Und auch dafür wird es knapp. „Die Zeit läuft uns davon“, sagt ein Insider.

Wie dramatisch die Lage ist, wird sich am heutigen Mittwoch zeigen. Dann trifft sich der Stiftungsrat der Stiftung für Hochschulzulassung, die für die Studienplatzvergabe in der Medizin und den anderen bundesweiten NC-Fächern verantwortlich ist. Auf der Tagesordnung steht die Abberufung des Geschäftsführers. Ihm trauen die Amtschefs und Staatssekretäre nicht mehr zu, eine Lösung für die Neuprogrammierung des Zulassungsverfahrens zu finden. Insgesamt soll die Stiftung, in der die Länder und die Hochschulen vertreten sind, neu strukturiert werden. Entscheidungsprozesse glichen bisher denen beim BER: „Jeder reicht die heiße Kartoffel weiter“, ist aus KMK-Kreisen zu hören, die Rede ist von „Chaos ohne Ende“.

Was könnte also auf Medizin-Bewerber zukommen? Ein Überblick.

Aus fürs Warten

Diese Quote will die Politik auf jeden Fall ab 2020 für die Medizin streichen. Die Politik geht damit über das hinaus, was Karlsruhe gefordert hatte. Die Richter hatten lediglich die überlangen Wartezeiten moniert (aktuell 14 Semester) und deren Begrenzung angemahnt.

Was wird dann mit den vielen Bewerbern, die seit Jahren auf einen Studienplatz warten? Müssen sie alle Hoffnungen begraben? Oder werden sie im Gegenteil alle noch zugelassen? Heikle Fragen, die die Lebensplanung von Tausenden betreffen – und völlig offen sind. Die KMK lässt gerade juristisch prüfen, ob den aktuell Wartenden eine Art Vertrauensschutz zusteht. Aus Sicht der Hochschulen ist das nicht zwingend nötig. Warten per se ergebe als Zulassungskriterium ohnehin keinen Sinn, sagt Horst Hippler, der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz. Und wenn auch Bewerberinnen und Bewerber mit „schlechteren“ Abiturnoten eine Chance auf sofortige Zulassung zum Studium haben – etwa indem Ergebnisse eines Medizinertestes berücksichtigt werden –, sei keine Übergangsfrist für die derzeit Wartenden erforderlich.

Für Ulrich Steinbach, Amtschef des Wissenschaftsministeriums in Baden-Württemberg, gibt es in der Frage eines möglichen Vertrauensschutzes „noch keine perfekte Antwort“. Man könne kaum alle Wartenden in kurzer Zeit zulassen, schon wegen mangelnder Kapazitäten nicht. Mitbedenken müsse man aber, dass man dann das Vertrauen der Studienbewerber, irgendwann einen Platz zu erhalten, enttäusche. Ein Verzicht könnte auch zu Folgeklagen führen. Daher seien die Länder durchaus aufgeschlossen für eine Vertrauensschutzlösung.

Tatsächlich ist es für den FU-Juristen Christian Pestalozza kaum vorstellbar, die Wartezeitquote ersatzlos zu streichen: „Wenn ich in der Warteschlange stehe, kann ich davon ausgehen, irgendwann ranzukommen.“ Dadurch, dass das Warten bisher im Verfahren ausdrücklich vorgesehen war, hätten „sich die Wartenden eine Studienchance erworben, die als Anwartschaft juristisch durch schonende Übergänge geschützt bleiben muss – jedenfalls dann, wenn sie im Hinblick auf das kommende Medizinstudium Lebens-Dispositionen getroffen haben.“

Talentquote

Neu einführen wollen die Kultusminister eine „Talentquote“. Der Name soll suggerieren, dass eben nicht nur Schul- und Testleistungen eine Rolle spielen. Wie könnte dieser Anspruch umgesetzt werden? Diskutiert werden zahlreiche Varianten. Gut möglich ist, dass die Abiturnote hier überhaupt nicht zählen wird. Stattdessen könnte die berufliche Vorerfahrung eine Rolle spielen. Ebenso Tests, die die medizinische Begabung abprüfen. Als Vorbild wird die Uni Hamburg genannt. Die testet nicht nur in einem Multiple-Choice-Test Mathe, Bio, Chemie und Physik ab – sondern in einem Mix aus mündlichen und schriftlichen Aufgaben auch die empathischen Fähigkeiten der Bewerber. Das bundesweit zu organisieren, dürfte indes aufwendig werden.

Abinotenvergleich

Angemahnt hatte Karlsruhe, die Schwankungen bei den Länderabituren besser zu verrechnen. Die Schulseite in der KMK sieht das Problem bereits dadurch gelöst, dass es demnächst einen Pool für gemeinsame Abituraufgaben geben wird. Spätestens 2021 seien die Noten dadurch ohnehin vergleichbar. Die Hochschulseite ist da skeptisch – und will sich nicht darauf verlassen, dass das gerichtsfest ist. Zunächst dürften daher ab 2020 alle Plätze nach Länderquoten vergeben werden. Im Prinzip werden dann nur die Abiturienten eines Landes untereinander verglichen: die Berliner mit den Berlinern, die Hessen mit den Hessen und so weiter.

Übergangsverfahren

Was ist bis Anfang 2020 in der Bewerbungssoftware überhaupt technisch umsetzbar? Hinauslaufen könnte es darauf, dass ab 2020 in einer Übergangszeit nur Abiturnote und Medizinertests zählen. Stärker denn je würde das dann die Prüfungsbesten bei der Vergabe der Studienplätze bevorteilen.

Zur Startseite