Nikotinsucht: Mit E-Zigaretten weg vom Rauch
Einer britischen Studie zufolge hilft Dampfen deutlich besser beim Aufhören als Pflaster und Kaugummi. Aber zu welchem Preis?
Jeder Raucher weiß es: Rauchen erhöht das Risiko für Lungenkrebs, COPD, Herzinfarkt, Schlaganfall und viele weitere Krankheiten. Deshalb versuchen jedes Jahr viele Menschen, vom Tabak loszukommen. Dabei könnte ihnen just eine andere Zigarette besser helfen, als bisher angenommen. E-Zigaretten waren in einer großen britischen Studie deutlich effektiver bei der Rauchentwöhnung als herkömmliche Nikotinersatzprodukte. Das berichten Peter Hajek von der Queen Mary University in London und seine Kollegen im renommierten "New England Journal of Medicine".
Für die Studie ordneten die Forscher 886 Raucher, die bereit waren aufzuhören und in den Rauchstoppzentren des nationalen Gesundheitsdienstes vorstellig wurden, einer von zwei Gruppen zu. Eine Gruppe erhielt herkömmliche Produkte zur Rauchentwöhnung wie Nikotinpflaster, -kaugummi, oder Lutschtabletten.
Die andere Gruppe bekam ein Starter-Set für E-Zigaretten inklusive einer Flasche nikotinhaltigen E-Liquids. Das ist die Flüssigkeit, die beim Rauchen von E-Zigaretten verdampft und eingeatmet wird. Wenn diese verbraucht war, sollten sich die Teilnehmer je nach eigener Geschmacksrichtung selbst weiter versorgen. Alle Teilnehmer erhielten während der ersten vier Wochen einmal wöchentlich Verhaltensunterstützung in Form eines persönlichen Arztkontakts.
Fast doppelt so viele hörten mit dem Rauchen auf
Nach einem Jahr wurde beurteilt, ob die Patienten mit dem Rauchen aufgehört hatten. Als abstinent wurden sie gezählt, wenn sie innerhalb eines Jahres ab der zweiten Woche nach Beginn der Studie nicht mehr als fünf Zigaretten geraucht hatten. Zusätzlich wurden sie zu diesem Termin biochemisch untersucht. Wer diese Untersuchung verweigerte oder nicht erschien, wurde als nicht abstinent gewertet.
Es stellte sich heraus, dass es in der E-Zigarettengruppe 18 Prozent geschafft hatten, mit dem Rauchen aufzuhören, in der Gruppe mit den Nikotinersatzprodukten waren es nur 9,9 Prozent. Zwar berichteten etwas mehr Teilnehmer aus der Dampfer-Gruppe über Irritationen im Mund- und Rachenbereich (65 Prozent vs. 51 Prozent), dafür bemerkten sie, dass sie deutlich weniger Husten und Auswurf hatten als zuvor und ebenfalls weniger als die Patienten der Nikotinersatzgruppe. Zudem beschrieben sich die Dampfer schon nach einer Woche Abstinenz als weniger reizbar und konnten sich besser konzentrieren als die andere Gruppe.
Bisher gab es nur sehr wenige Studien, die die Wirksamkeit von E-Zigaretten bei der Rauchentwöhnung untersucht haben. In einer davon war eine frühe Generation von E-Zigaretten eingesetzt worden, die weniger Nikotin abgab als heutige Modelle. Außerdem hatte es keinen direkten Arztkontakt gegeben. Obwohl immer wieder Menschen berichten, dass sie es durch E-Zigaretten geschafft hätten, mit dem Rauchen aufzuhören, werden sie in Deutschland und den meisten anderen europäischen Ländern im Moment nicht zur Entwöhnung empfohlen. Mit dieser Studie werde sich die Einstellung vieler Ärzte ändern, die bisher E-Zigaretten aufgrund mangelnder Evidenz nicht zum Rauchstopp empfohlen hatten, glaubt der Hauptautor der Studie, Peter Hajek.
"Deutschland noch extrem rückständig"
"Die Studie ist qualitativ sehr hochwertig. Die Ergebnisse sprechen deutlich dafür, dass E-Zigaretten eine erfolgversprechende Möglichkeit sind, wenn man mit dem Tabakrauchen aufhören will", sagte Derik Hermann, Leitender Oberarzt an der Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim, dem Tagesspiegel. Deutschland sei, vor allem im Vergleich zu Großbritannien und den USA, in dieser Hinsicht noch extrem "rückständig". In diesen Staaten wird Rauchentwöhnung auch finanziell gefördert, hierzulande müssen die Patienten meist selbst dafür aufkommen. Als "Goldstandard" gilt in Deutschland eine Kombination aus Verhaltenstherapie und einer klassischen Nikotinersatztherapie, zum Beispiel mit Pflastern.
Allerdings könne man sich die Frage stellen, wie realitätsnah die Studie gewesen sei, sagte Sven Schneider vom Mannheimer Institut für Public Health, Sozial- und Präventivmedizin dem Science Media Center. Schließlich hätten die Patienten eine ungewöhnlich intensive Betreuung erfahren. Außerdem sei ein Liquid mit vergleichsweise hohem Nikotinanteil verwendet worden und einige der zentralen Aussagen basierten auf äußerst geringen Fallzahlen.
80 Prozent dampften nach einem Jahr immer noch
Ein weiterer Aspekt scheint sogar noch wichtiger. Nach einem Jahr Abstinenz dampften 80 Prozent aus der E-Zigarettenraucher-Gruppe weiterhin, wohingegen nur neun Prozent aus der anderen Gruppe noch Nikotinpflaster klebten oder Kaugummi benutzten. Es stellt sich die Frage, ob die E-Zigarettenraucher irgendwann aufhören zu dampfen oder ob sie das Tabakrauchen einfach langfristig durch Dampfen ersetzen. Und wenn dem so wäre: Wie schädlich wäre es?
"Noch gibt es wenige Daten darüber, welche Auswirkungen der langfristige Konsum von E-Zigaretten hat", sagte Stefan Gutwinski von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité dem Tagesspiegel.
Bisher deuten sie allerdings darauf hin, dass das Dampfen weit weniger schädlich ist als das Rauchen echter Zigaretten. Diese enthalten neben Nikotin noch viele weitere, teils krebserregende Inhaltsstoffe wie Teer, Schwermetalle und Benzol.
In Deutschland rauchen 32,3 Prozent der Männer und 24,5 Prozent der Frauen aktuell Tabak. Dieser Anteil ist verglichen mit west- und nordeuropäischen Ländern sehr hoch. Und auch weltweit liegt Deutschland mit neun Millionen rauchenden Männern und sieben Millionen rauchenden Frauen auf Platz 9 von 195 untersuchten Ländern. "Vor dem Hintergrund, dass wir 90 Prozent Rückfallquoten nach Rauchentwöhnung haben, ist man über jede fünf Prozent froh", sagte Gutwinski.
Dient die E-Zigarette als Einstieg ins Nikotin?
Die Frage ist nun, ob mit neuer Evidenz nun auch in Deutschland diskutiert wird, ob E-Zigaretten zur Entwöhnung empfohlen werden sollen. Gutwinski ist da skeptisch. "In Deutschland steht Abstinenz an erster Stelle, nicht Schadensreduktion." Es zeige sich aber, dass rein auf Abstinenz orientierte Behandlungsformen nicht so gute Ergebnisse erreichten wie solche mit einem ähnlichen Stoff, allerdings ohne die schädlichen Zusätze. Ein Beispiel dafür sei das Methadon-Programm zum Entzug von Heroin.
Und auch die E-Zigarette könnte, sollten sich die Studienergebnisse replizieren lassen, in diese Kategorie fallen. Dann bräuchte es vielleicht künftig eine Debatte darüber, wie man in Zukunft mit den E-Zigaretten umgeht. Noch stehen ihnen hierzulande viele Experten kritisch gegenüber. Es wird befürchtet, dass sie vor allem Jugendliche zum Nikotinkonsum verleiten könnten und dass sie dann später zum Tabak wechseln. Tatsächlich probieren vor allem jüngere Menschen im Alter von 16 bis 29 Jahren E-Zigaretten aus, danach nimmt der Anteil aber kontinuierlich ab. Wie viele davon zum Tabak wechseln, darüber gibt es bislang nur wenige Erkenntnisse.
Warum die E-Zigaretten besser wirken als Nikotinersatzprodukte, darüber können die Autoren der Studie nur spekulieren. Es könne daran liegen, dass man die Nikotin-Dosis besser an die eigenen Bedürfnisse anpassen kann als bei den Ersatzprodukten. Und auch ein weiterer Grund dürfte entscheidend sein: Das Dampfen kommt dem echten Zigarettenrauchen mit all seinen begleitenden Ritualen deutlich näher als etwa ein Pflaster aufzukleben.