Nikotinsucht: Wer höher gebildet ist, raucht weniger
Studien zeigen: In den Hauptschulen wird am meisten geraucht, in den Gymnasien am wenigsten. Nikotinkonsum wird zum Unterschichtmerkmal.
Zigarettenrauch tötet mehr Menschen „als Verkehrsunfälle, Aids, Alkohol, illegale Drogen, Morde und Selbstmorde zusammen. Damit gilt das Rauchen als die wichtigste vermeidbare Einzelursache für frühzeitiges Sterben“. Das hat die Weltgesundheitsorganisation errechnet. Jetzt liest man’s auch in einem Leitfaden für Pädagogen, verfasst von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.
Deren Mitarbeiter Boris Orth konnte jedoch auf dem Jahreskongress der Sozialmediziner und Epidemiologen in Berlin eine frohe Botschaft verkünden: Das krebs- und infarktträchtige, lebensverkürzende Rauchen geht zurück, besonders aber bei den Jugendlichen, die sich sonst kaum um ferne Risiken scheren. Noch im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts beobachtete man bei den Zwölf- bis 17-Jährigen einen deutlichen Anstieg des Rauchens. Dann kam die Trendwende.
Wie sechs repräsentative Studien zeigen, sank zwischen 2001 und 2008 der Anteil der Raucher in diesem für die Verhaltensprägung so wichtigen Alter von 27,5 auf 15,4 Prozent, bei Mädchen wie Jungen gleichermaßen. Dagegen fanden die Forscher klare Unterschiede im Rauchverhalten der Schüler unterschiedlicher Schulformen.
„In den Hauptschulen wird am meisten geraucht, in den Gymnasien am wenigsten, die Realschulen liegen dazwischen“, sagte Orth. Die Unterschiede sind überdeutlich: In den Gymnasien (Sekundarstufe 1) sank der Anteil rauchender Schülerinnen und Schüler von 18,8 auf 4,3 Prozent, in den Hauptschulen ganz unwesentlich, von 21,2 auf 18,3 Prozent.
Dass der Abwärtstrend vom sozioökonomischen Status abhängt und das Rauchen mehr und mehr zum Unterschichtmerkmal wird, zeigen auch andere Erhebungen. Die internationale Verbundstudie der Weltgesundheitsorganisation über das Gesundheitsverhalten elf- bis 15-jähriger Schulkinder in 40 Ländern erfasst neben der Schulform die schulischen Leistungen, den Beruf der Eltern und den Wohlstand, berichtete Matthias Richter von der Universität Bern.
„Sie probieren’s alle mal“, sagte Richter; ob sie beim Rauchen bleiben, ist eher bei den Mädchen als bei den Jungen schichtentypisch. Auf die gesetzlichen Maßnahmen zum Nichtraucherschutz und die öffentliche Diskussion führte er zurück, dass das Rauchen bei Jugendlichen zunehmend als „uncool“ gilt.
Die Rauchverbote im öffentlichen Raum haben anscheinend viel bewirkt. Die Prognose, durch die Rauchverbote am Arbeitsplatz und in Restaurants würde man zu Hause mehr rauchen und somit die Kinder vermehrt zum Passivrauchen zwingen, habe sich nicht erfüllt, sagte Ute Mons (Deutsches Krebsforschungszentrum Heidelberg). Im Gegenteil zogen die öffentlichen Rauchverbote private nach sich. Auch daheim darf vielfach nicht mehr geraucht werden, und so hören viele eben ganz auf.
Sind nun andere Drogen an die Stelle des Tabaks getreten? Keineswegs; wie beim Tabak beobachtete man auch beim Alkohol erst einen Anstieg und dann seit Beginn des neuen Jahrtausends einen deutlichen Rückgang. „Es gab einen Bewusstseinswandel“, meinte Richter.
Kaum ins Blickfeld der Präventionsforscher geriet allerdings die beliebter werdende Wasserpfeife. Angeblich nicht rauchende Jugendliche gaben auf Nachfrage zu, dass sie natürlich zur Wasserpfeife greifen. Bei einer Erhebung war das eine ganze Schulklasse.
Die Jugendlichen stehen im Fokus aller Präventionsbemühungen, weil sie noch keine verfestigten Gewohnheiten oder gar Abhängigkeit entwickelt haben. In der Tat ist seit 2002 mehr jüngeren als älteren Rauchern der Ausstieg gelungen, sagte Elena von der Lippe vom Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin; außerdem mehr Frauen als Männern und auch unter den Erwachsenen hauptsächlich den höher Gebildeten. Das ergab die neue, vom Tagesspiegel bereits vorgestellte RKI-Studie „Gesundheit in Deutschland aktuell 2009“. Hier wurden über 18-Jährige zum Gesundheitszustand und Gesundheitsverhalten befragt.
Von ihnen rauchen 34 Prozent der Männer und 26 Prozent der Frauen noch. Die Raucherquote Erwachsener ist seit 2003 nur um 2 Prozent gesunken. Genau wie bei der Jugend zeigen sich ausgeprägte Schichtunterschiede beim Tabakkonsum und seinem Niedergang. Die RKI-Wissenschaftler Lars Kroll und Thomas Lampert nutzten in ihrem Kongressvortrag den Bildungsgrad als Schichtmerkmal.
Vier RKI-Studien zwischen 1990 und 2009 zeigen: Je höher die Bildung, desto weniger wird geraucht. In der untersten Bildungsgruppe ist nicht nur die Quote der Raucher größer, sie rauchen auch mehr. Die tägliche Zigarettenzahl hat zwar in allen Gruppen abgenommen, aber bei höher Gebildeten am meisten.
Die Risikoschere zwischen den sozioökonomischen Schichten öffnet sich immer mehr. Die RKI-Wissenschaftler konstatierten daher einen „ausgeprägten Bedarf an zielgruppenspezifischen Präventionsmaßnahmen“. Hat denn die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung keine Programme für Hauptschüler?, wurde deren Mitarbeiter Boris Orth gefragt. Die zögerliche Antwort: „Ja, wir gehen auch in die Hauptschulen.“
Im eingangs zitierten Leitfaden für Pädagogen („Auf dem Weg zur rauchfreien Schule“) widmet die Bundeszentrale den Hauptschulen nur ein paar hilflos wirkende Zeilen. Und in ihrer dickleibigen Broschüre „Kriterien guter Praxis in der Gesundheitsförderung bei sozial Benachteiligten“ werden zwar Ernährung, Bewegung und Stressbewältigung thematisiert, nicht aber das Rauchen.
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