Privates in der Politik: Merkel zeigt, dass sie auch Gänsebraten kann
In der Politik wird Privates immer wichtiger, um Glaubwürdigkeit herzustellen. Für Frauen ist das besonders riskant.
Ein Interview soll den ehemaligen Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein am 7. Mai den Wahlsieg gekostet haben. Torsten Albig (SPD) hatte in der Illustrierten „Bunte“ über eine Heilfastenkur mit seiner neuen Lebensgefährtin und über die Gründe für das Scheitern seiner Ehe geplaudert. Er sei beruflich eingespannt und sie in der Rolle der Hausfrau und Mutter gefangen gewesen.
Der Mann macht Karriere, die Frau hält ihm den Rücken frei und verzichtet auf eigene Ambitionen. Gedankt wird es ihr nicht: Er lässt sie mit einer anderen sitzen. So weit, so banal. Und das soll den Ausgang einer Landtagswahl umgedreht haben? Wirksam im politischen Diskurs wurde diese These vor allem dadurch, dass sich die Medien nach der SPD-Niederlage unisono darauf einschossen. Andere, im eigentlichen Sinne politische Gründe für das Debakel gerieten demgegenüber in den Hintergrund.
Warum war Heide Simonis bereit, sich in einer TV-Show zu blamieren?
Gefragt wurde, warum Albig so etwas nötig habe. Doch er war nicht der Einzige. Warum ließ sich Kanzler Gerhard Schröder im Brioni-Anzug und mit Cohiba-Zigarre ablichten, warum Klaus Wowereit beim vermeintlichen Schlürfen von Champagner aus einem Damen-Pumps? Warum war Heide Simonis bereit, sich in einer TV-Tanzshow zu blamieren? Und so weiter ...
Mal abgesehen von persönlicher Eitelkeit gibt eine Begebenheit im NRW-Wahlkampf 2012 einen Hinweis. Der „Spiegel“ wollte nicht akzeptieren, dass Ministerpräsidentin Hannelore Kraft ihr Privatleben abschirmte und argumentierte, Journalistinnen und Journalisten recherchierten private Details, um sich ein Bild von der Politikerin machen zu können. Das Private als Referenzrahmen für die politische Persönlichkeit: Für Männer ist das eine eher neue Entwicklung – für Frauen in der Politik hingegen nicht.
Die Privatsphäre männlicher Politiker war in der Bonner Republik tabu. Man wusste um Willy Brandts Affären, aber man berichtete nicht darüber. Inszeniert wurde indes das (verlogene) Heile-Familie-Idyll der Kanzler-Familie Kohl. In den Medien der alten Bundesrepublik blieb der Gegensatz zwischen der politischen Öffentlichkeit als dem „Reich der Freiheit“ und dem privaten Haushalt als dem „Reich der Notwendigkeit“ (Hannah Arendt) intakt. Es sei denn, Frauen wagten es, die ihnen zugewiesene heimische Sphäre zu verlassen und ihre Stimme in der Politik zu erheben.
Kein Klischee zu platt, um Politikerinnen zu trivialisieren
Dann war kein Klischee zu platt, um die Politikerin zu trivialisieren: Wer Marmelade kocht und Flöte spielt, kann keine kompetente Kultursenatorin sein („Der Spiegel“ über Anke Martiny 1989/1990 in Berlin). Frauen können keine Witze erzählen (die „FAZ“ über Renate Schmidt 1998 in Bayern) und nicht einparken (die „Bild“ über Heide Simonis nach ihrer Abwahl 2005). Das Privatleben von Politikerinnen stand schon immer unter medialer Beobachtung. Richtig machen konnten die Betroffenen dabei nicht viel. Bei ihnen schlossen sich private und politische Kompetenzen geradezu aus.
Mit der Medialisierung von Politik und der Amerikanisierung von Wahlkämpfen änderte sich das grundlegend. Politische Prozesse ordnen sich heute den Logiken des Mediensystems unter. Im Zentrum steht dabei die Personalisierung. Politik wird immer weniger über Inhalte, Positionen und Diskurse vermittelt und immer mehr über Persönlichkeiten und die Inszenierung personalisierter Machtkämpfe. Damit rückt die Person des Politikers oder der Politikerin, ihre Glaubwürdigkeit und Authentizität, in den Fokus, verhandelt anhand privater Erzählungen und persönlicher Charakteristika.
Inszenierung könnte helfen, mehr Menschen für Politik zu interessieren
Wirkt diese Entwicklung entpolitisierend oder hilft sie, breitere soziale Schichten zu „politisieren“? Um diese Frage dreht sich ein wissenschaftlicher Disput. Die einen sprechen von der Krise politischer Öffentlichkeit, deren Kennzeichen unter anderem die Personalisierung sei. Der verstorbene Mediensoziologe Kurt Imhof kritisierte, Medienkommunikation verschiebe sich von der kognitiven und normativen Dimension in eine moralisch-affektive Dimension, die emotionalisiert, kognitiv defizitär und unterhaltungsorientiert sei.
Hingegen kritisiert die Kommunikationswissenschaftlerin Margreth Lünenborg, Medien als Arenen der politischen Öffentlichkeit bedienten mit ihrem Ideal des rationalen Diskurses überwiegend die Gewohnheiten männlicher, deutscher Bildungsbürger und schlössen andere Bevölkerungskreise aus. In Anlehnung an Andreas Dörners „Politainment“ spricht sie unterhaltungsorientierten Medienformaten eine inklusive Wirkung zu.
Zumindest bietet sich für Politikerinnen eine Chance. Nach einer Kanzlerin, sechs Ministerpräsidentinnen und einer großen Zahl Ministerinnen in männlich kodierten Kernressorts wie Finanzen, Inneres, Justiz, zuletzt auch Verteidigung mussten Medienmacher und Medienmacherinnen akzeptieren, dass Frauen kompetent an der politischen Spitze mitmischen. Dennoch bleiben geschlechtsspezifische Unterschiede.
Frauen wird die "große sozialdemokratische Erzählung" nicht abgenommen
Da gibt es die „große sozialdemokratische Erzählung“ („FAZ“) vom Bildungsaufstieg aus einfachen Verhältnissen, der durch das Bafög und die Bildungsreformen der siebziger Jahre überhaupt erst möglich gemacht worden sei. Von Gerhard Schröder über Hannelore Kraft und Andrea Ypsilanti bis Sigmar Gabriel reklamieren viele SPD-Politikerinnen und Politiker für sich einen solchen Lebensweg.
Doch bei den Frauen geht die Geschichte immer noch ein wenig anders. Hannelore Kraft hat zwar als Erste in der Familie Abitur gemacht. Dennoch wurde ihr Weg als Pendeln zwischen „ich will“ und „ich trau’ mich nicht“ inszeniert („Spiegel“). Bei Andrea Ypsilanti, der hessischen SPD-Spitzenkandidatin 2008, hieß es, sie sei dem Arbeitermilieu längst entstiegen. Dies wurde mit dem Vorwurf des Salonsozialismus („Süddeutsche Zeitung“) verknüpft, weil ihr Sohn mangels öffentlicher Ganztagsschule in der Nähe auf eine Privatschule ging.
Leyen, Hohlmeier: Das konservative Sprktrum präsentiert Väter-Töchter
Persönlichkeiten von Politikerinnen und Politikern werden immer im Wechselspiel zwischen der parteipolitischen Kommunikation und Medien inszeniert. Das konservative Spektrum präsentierte etwa Vater-Töchter, die – je nach Lesart – vom Vater an die Politik herangeführt oder auf Karrierepositionen durchgeboxt wurden. Ursula von der Leyen etwa, die Tochter des ehemaligen Ministerpräsidenten von Niedersachsen Ernst Albrecht, oder auch Monika Hohlmeier, von der es hieß, sie habe vor ihrer eigenen politischen Karriere ihrem Vater Franz Josef Strauß die verstorbene „First Lady“ ersetzt. Auch der hessische Ex-Regierungschef Roland Koch hatte einen Landesminister zum Vater. Doch hier blieb es in den Medien bei der biografischen Notiz. Der Vater schien bei Koch entbehrlich für den Nachweis politischer Kompetenz.
Der Wandel im Verhältnis von medialer politischer Öffentlichkeit und Privatsphäre hat gravierende persönliche Folgen. Politiker und Politikerinnen geraten auch im Privaten unter mediale Dauerbeobachtung. Politisches Profil und Privatleben müssen in Harmonie präsentiert werden. Politische Positionen und private Praktiken dürfen nicht auseinanderklaffen. Dies erweist sich jedoch als ausnehmend geschlechtsspezifisch.
Männer können Privatleben zur Profilierung nutzen, müssen aber nicht
In der Vergangenheit wurden Politikerinnen mittels privater Nebensächlichkeiten trivialisiert. Heute müssen sie in der Öffentlichkeit eine private Erzählung anbieten, die zur politischen Persönlichkeit passt. Zwar können auch männliche Politiker die Deutungshoheit verlieren, wenn sie Privates preisgeben. Doch gibt es einen gravierenden Unterschied. Politiker können ihr Privatleben zur Profilierung nutzen – sie müssen aber nicht, weil sie schon immer als öffentliche Personen akzeptiert sind, wie die Mediensoziologin Liesbet van Zoonen betont. Politikerinnen hingegen haben diese Wahl nicht. Selbst Bundeskanzlerin Merkel muss immer mal wieder kundtun, dass sie auch Gänsebraten und Pflaumenkuchen kann.
Dabei leben Politikerinnen besonders riskant. So wurde der als „Wortbruch“ inszenierte Versuch der hessischen SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti, 2008 eine von der Linken tolerierte rot-grüne Minderheitsregierung zu bilden, von den Medien weniger mit inhaltlicher Kritik als mit persönlich diffamierenden und sexistischen Angriffen begleitet. „Spiegel online“ suggerierte gar, die Politikerin werde sich demnächst öffentlich ausziehen. Und als die beiden Bundesministerinnen Andrea Nahles und Manuela Schwesig nach der Geburt ihrer Kinder rasch ins Amt zurückkehrten, wurden sie in manchen medialen Öffentlichkeiten als Rabenmütter diffamiert.
Das Private ist nicht mehr (nur) das Nicht-Politische
Das Private ist politisch, reklamierte die zweite Frauenbewegung. Das ist in der Tat so, aber ganz anders als in den siebziger Jahren gedacht. Damals sollten private Macht- und Gewaltverhältnisse öffentlich gemacht werden. Heute werden mittels privater Erzählungen Aussagen über Personen in der Politik getroffen. Das Private ist für sie nicht mehr (nur) das Nicht-Politische, Nicht-Öffentliche. Vielmehr hat das Private eine illustrierende, konkretisierende und verifizierende Funktion für die politische Öffentlichkeit übernommen.
Die Autorin forscht an der Uni Marburg unter anderem zu politischer Öffentlichkeit und Geschlecht.
Eine aktuelle Datenrecherche und interaktive Grafiken zur Geschlechtergerechtigkeit in der deutschen Politik finden Sie hier.
Dorothee Beck