Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks: Mehr jobben - weniger Zeit an der Uni
Studierende haben im Schnitt 918 Euro zur Verfügung, dafür jobben sie mehr. An der Uni verbringen sie weniger Zeit. Einblicke in die Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks.
Studierende brauchen heute mehr Geld als vor vier Jahren, vor allem weil die Mieten gestiegen sind. Der größte Teil des studentischen Einkommens stammt weiterhin von den Eltern, aber es wird auch mehr gejobbt, um finanziell über die Runden zu kommen. Das geht aus der 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks (DSW) hervor, die am Dienstag im Bundesbildungsministerium in Berlin präsentiert wurde (zur Gesamtdarstellung geht es hier).
Die Sozialerhebung liefert seit 1951 alle drei bis vier Jahre Informationen zur wirtschaftlichen und sozialen Lage der Studierenden – und zu ihrer Herkunft nach den Bildungsabschlüssen der Eltern. Um den Wegfall des „Bildungstrichters“ in der aktuellen Untersuchung, mit dem das soziale Gefälle an den Hochschulen traditionell dargestellt wurde, gibt es Streit.
67.000 Studierende von 248 Hochschulen befragt
An der diesjährigen Befragung haben sich im Sommersemester 2016 rund 67.000 Studierende von 248 Hochschulen beteiligt. Erstmals wurden sie online befragt. Die Sozialerhebung wurde vom Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) mit Hauptsitz in Hannover durchgeführt. Finanziert wird die Befragung vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Bundesministerin Johanna Wanka (CDU) hob die hohe Beteiligung von Studierenden hervor; 2012 waren es nur 16 000. Doch die Netto-Rücklaufquote auf die 400 000 Einladungen zur Teilnahme war mit 16,2 Prozent eher gering.
Finanzen
Das monatliche Budget der Studierenden, die nicht bei ihren Eltern wohnen, beträgt im Schnitt 918 Euro – 76 Euro mehr als 2012. Doch fast ein Drittel muss monatlich mit weniger als 700 Euro auskommen. Bei den Einnahmen gibt es auch große regionale Unterschiede: Berlin mit 1015 Euro monatlich (2012: 896 Euro) und Hamburg mit 1023 Euro (2012: 941 Euro) bilden das Spitzenduo, dicht gefolgt von Nordrhein-Westfalen und Bayern.
Berlin zählt dabei zu den Ländern mit den größten Steigerungsraten, was auf die hier besonders gestiegenen Mieten zurückzuführen ist: Liegt die Durchschnittsmiete heute bei 362 Euro monatlich, waren es 2012 noch 317 Euro. Mit 14 Prozent Zuwachs sind Studierende in Berlin mit am stärksten betroffen.
Die Unterstützung durch die Eltern ist deutlich gestiegen – von im Schnitt 481 Euro auf 541 Euro. Das gilt vor allem für die unbaren Leistungen, wenn Eltern die Miete, Kosten für Versicherungen direkt zahlen oder Kleidung kaufen; sie stiegen von 251 auf 309 Euro.
Bafög
Nach der Unterstützung durch die Eltern und dem eigenen Verdienst ist Bafög die drittwichtigste Einkommensquelle. Das Studentenwerk kritisiert den Abstand der durchschnittlichen Einnahmen der Studierenden zum Bafög-Höchstsatz von 735 Euro. Zum Zeitpunkt der Befragung lag die Quote derjenigen, die Bafög erhalten, zudem mit 18 Prozent so niedrig wie zu Beginn der 1990er Jahre. Zwar sei zu hoffen, dass die zum Wintersemester 2016/17 erfolgte Erhöhung der Elternfreibeträge um sieben Prozent zu deutlich mehr Geförderten führt, erklärt das DSW. Doch beim Anstieg der Bafög-Sätze dürfe es nicht wie bisher jahrelange Stagnation geben. Es müsse vielmehr automatisch und regelmäßig angepasst werden, forderte DSW-Präsident Dieter Timmermann – etwa auf der Basis der Sozialerhebung.
Allerdings gibt es Vorbehalte, überhaupt Bafög zu beantragen: Aus der untersten Einkommensgruppe geben das 37 Prozent an, als Hauptgrund nennen sie, keine Schulden machen zu wollen.
Jobben
Was tun, wenn das Bafög nicht reicht und gleichzeitig die Mieten steigen? 68 Prozent jobben neben dem Studium, sechs Prozent mehr als 2012. Neun Stunden wenden die Studierenden im Schnitt für die Erwerbsarbeit auf, 33 Stunden für das Studium – mit 42 Stunden haben sie also eine volle Arbeitswoche. Nach der Motivation zum Jobben gefragt, sagen gut zwei Drittel, sie würden dazuverdienen, „um sich mehr leisten zu können“. Jeweils über die Hälfte sagen aber auch, sie müssten jobben, um sich ihr Studium zu finanzieren oder um von ihren Eltern finanziell unabhängiger zu sein.
Studium
Mit durchschnittlich 33 Stunden pro Woche für das Studium haben die Studierenden einen historischen Tiefstand erreicht; 2012 waren es noch drei Stunden mehr. Dies geht vor allem darauf zurück, dass die Studierenden weniger Zeit in Seminaren und Vorlesungen an der Hochschule verbringen. Der Zeitaufwand für das Selbststudium zu Hause oder in Bibliotheken ist konstant. In Staatsexamensstudiengängen wie der Medizin wird indes mit 41 Stunden pro Woche sehr viel intensiver studiert.
Ist es das Jobben, das viele Studentinnen und Studenten aus der Uni fernhält? Jedenfalls nennt die Hälfe der Erwerbstätigen als Motiv, „praktische Erfahrungen sammeln zu wollen“. Und knapp jeder Fünfte, der sein Studium unterbrochen hat, gibt als Grund ein im Curriculum nicht verpflichtendes, zusätzliches Praktikum an. Weil zudem fast 30 Prozent aller Studierenden de facto in Teilzeit studieren, regte Ministerin Wanka „flexiblere Studienformate an, die es ermöglichen, neben und mit Arbeit zu studieren“.
Soziales
Unter dem finanziellen Druck leiden besonders Studierende aus Familien mit einem geringen Einkommen. Mit mehr staatlich gefördertem Wohnraum für Studierende will das Studentenwerk ihre Lage verbessern. Die traditionell günstigen Wohnheime der Studentenwerke, in denen mit 41 Prozent ein großer Teil der Einkommensschwachen wohnt, sollten mit einem Bund-Länder-Programm ausgebaut werden. Das DSW fordert dafür seit Längerem einen Hochschulsozialpakt von Bund und Ländern analog zu den Hochschulpakten für mehr Studienanfängerplätze.
Bildungsherkunft
Akademikerkinder dominieren weiterhin die Hochschulen – und bauen ihren Vorsprung aus. 52 Prozent stammen aus Haushalten, in denen mindestens ein Elternteil einen akademischen Abschluss hat, 2012 waren es 50 Prozent. Ein Viertel kommt aus einer Familie mit Berufsausbildung oder Facharbeiterbrief als höchstem Abschluss, 20 Prozent haben Meister, Techniker oder Fachschulabsolventen als Eltern. Und nur drei Prozent der Eltern von Studierenden haben keinen beruflichen Abschluss – immerhin ein Prozent mehr als 2012.
Bewegung gibt es auch bei den höchsten und mittleren Bildungsabschlüssen der Eltern: Der Anteil derer mit Universitätsabschluss ist am deutlichsten gestiegen – von 36 auf 40 Prozent. 66 Prozent der Eltern haben Abitur, sechs Prozent mehr als 2012. Das geht zulasten der Elternhäuser mit mittleren Berufsabschlüssen, hier ist der Anteil um zwei Prozent bei dual Ausgebildeten gesunken, um ein Prozent bei Meisterinnen und Meistern und ähnlichen Abschlüssen. Monika Jungbauer-Ganz vom DZHW führt das vor allem darauf zurück, dass in der Elterngeneration heutiger Studierender insgesamt höhere Bildungsabschlüsse verbreitet sind; eine genauere Analyse stehe aber noch aus.
Bildungstrichter
In der Darstellung der 21. Sozialerhebung weggefallen ist der „Bildungstrichter“, eine über viele Ausgaben enthaltene Grafik, die zeigt, wie viele Grundschüler aus einer Herkunftsgruppe studieren und welche Abschlüsse je nach sozialer Herkunft erreicht werden. Die Grünen im Bundestag haben dem Bundesbildungsministerium deshalb vorgeworfen, den Bildungstrichter „herausgekegelt“ zu haben, um im Wahljahr soziale Schieflagen an den Hochschulen zu verschleiern.
Das Ministerium berief sich auf Anfrage auf „Gründe der Datenerhebung“. Für den Bildungstrichter brauche man andere Daten als die für die Sozialerhebung generierten. „Aktuelle sozialgruppenspezifische Bildungsbeteiligungsquoten“ sollten im Nationalen Bildungsbericht 2018 abgebildet werden. Monika Jungbauer-Gans erklärte, am DZHW entstehe derzeit aus Daten der Bevölkerungsstatistik, des Mikrozensus und der Hochschulstatistik ein aktueller Bildungstrichter. Wann er veröffentlicht wird, stehe aber noch nicht fest. Jungbauer-Gans betonte zudem, die Darstellung sei auch aus Platzgründen nicht in die Studie aufgenommen worden. Zuvor hatte das Deutsche Studentenwerk politische Gründe verneint.
Reaktionen
Eine „regelrechte Verarmung vieler Studierender“ kritisiert Nicole Gohlke, hochschulpolitische Sprecherin der Linksfraktion. Angesichts steigender Miet- und Lebenshaltungskosten sei es unverantwortlich, dass die Bundesregierung eine echte Bafög-Reform verweigert habe. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft forderte für die Zeit direkt nach der Bundestagswahl eine Bafög-Erhöhung um mindestens zehn Prozent.