Berliner Wissenschaftspreis: Mathematik populär machen und Fachgrenzen überwinden
Der diesjährige Berliner Wissenschaftspreis geht in die Mathematik - an Günter M. Ziegler von der FU und Nachwuchsforscherin Myfanwy Evans von der TU.
Als Günter M. Ziegler 1992 in Berlin ankommt – „aus der Isolation in Stockholm und der Provinz in Augsburg“ –, ist der junge Mathematiker überaus neugierig auf die Stadt. Die aus West und Ost zusammenwachsende Metropole, die wiedervereinigte Mathematik – da muss doch Aufbruchstimmung herrschen! „Doch vieles wirkte noch sehr statisch“, erinnert sich Ziegler, der zuvor in München studiert, in den USA am MIT promoviert, in Bayern gelehrt und Schweden geforscht hat.
Aber dann bewegt sich doch etwas, Berlin macht sich auf den Weg zur Wissenschaftsstadt und die Mathematik spielt dabei eine wichtige Rolle. Ziegler, Mitarbeiter am Zuse-Institut, Habilitand an der Technischen Universität und dort bald Professor, wird ein Motor dieser Bewegung. Dafür erhält er jetzt den im Rahmen der Berlin Science Week verliehenen Wissenschaftspreis des Regierenden Bürgermeisters.
Berlin, ein wunderbarer Ort um Grenzen aufzubrechen
Michael Müller (SPD), der auch Wissenschaftssenator ist, würdigt Ziegler als „exzellenten Mathematiker und beeindruckenden Kommunikator“. Überreicht wurde Ziegler der mit 40 000 Euro dotierte Preis am Dienstagabend im Roten Rathaus. Den mit 10 000 Euro dotierten Nachwuchspreis erhält Myfanwy Evans, Leiterin einer Emmy Noether-Nachwuchsgruppe an der TU . Die Australierin forscht an der Schnittstelle von Mathematik, Physik und Materialwissenschaften. Ziegler kennt sie aus dem Sonderforschungsbereich „Diskretisierung in Geometrie und Dynamik“. Berlin sei „ein wunderbarer Ort“, um die Grenzen zwischen naturwissenschaftlichen Disziplinen aufzubrechen, sagt Evans.
Die Doppel-Ehrung für die Mathematik steht auch für die Bedeutung, die das Fach heute in Berlin hat. Ziegler gehört 1998 zu einem Team um den damaligen Zuse-Vize und TU-Professor Martin Grötschel und den FU-Mathematiker Martin Aigner, das erstmals den Internationalen Mathematikerkongress in die Stadt holt. „Das war ein Signal für die Welt: Die Berliner Mathematik ist wieder da!“ Im selben Jahr veröffentlicht er mit Aigner „Das BUCH der Beweise“. Es rangiert bis heute in der fünften deutschen und der sechsten englischsprachigen Ausgabe in den Bestsellerlisten des Fachs und wird demnächst in den USA mit einem renommierten Preis ausgezeichnet. Mit diesem Werk begründet Ziegler seinen Ruf als Mathe-Kommunikator, es folgen „Darf ich Zahlen?“ und „Mathematik – Das ist doch keine Kunst!“.
Gemeinsame Sache: Ein Mathe-Cluster für FU, TU und HU
Für seine Forschungsarbeiten auf den Gebieten der Diskreten Mathematik, der Geometrie, Topologie, Optimierung und Numerik erhält Ziegler 2001 den Leibniz-Preis und 2010 einen ebenfalls millionenschweren Advanced Grant des Europäischen Forschungsrats. Letzteren setzt er schon als Nachfolger Aigners an der Freien Universität ein.
Maßgeblich beteiligt ist Ziegler am Aufbau des vom Bund finanzierten und 2002 eröffneten Forschungszentrums Matheon, das 2014 ins Berliner Einstein-Zentrum EC Math übergeht, sowie an der internationalen Nachwuchsschmiede Berlin Mathematical School. Der Wissenschaftspreis an Ziegler und Evans kann auch als Rückenwind für das neue große Projekt „Math+“ verstanden werden, hinter dem der Geehrte als einer von drei designierten Sprechern steht. Mit seinen Kollegen von HU und TU feilt er derzeit am Vollantrag für ein neues mathematisches Forschungscluster in der Exzellenzstrategie von Bund und Ländern.
Neu für Mathe-Erstsemester - die Erzählvorlesung
Forschung, Wissenschaftsmanagement, Mathematik-Vermittlung – all dies treibt Günter M. Ziegler auch als Hochschullehrer um. An der FU machte er sich für eine Professur „Mathematik für das Lehramt“ stark, entwickelte gemeinsam mit seinem ehemaligen Schüler und neu berufenen Kollegen Christian Haase ein reformiertes Curriculum für die Einstiegssemester im Mathematik-Lehramt.
Soeben sind zwei Vorlesungen gestartet, die den Studienanfängern neue Zugänge zum Fach vermitteln. In „Mathematik entdecken“ geht es um Strukturen, Beweise und Problemlösungen, darum, „Mathematik zu machen“, wie Ziegler sagt. Das „Mathematische Panorama“ sei eine „Erzählvorlesung“ zu mathematischen Anwendungen und Gebieten, aber auch zu historischen Streitfällen wie den in der Berliner Analysis des 19. Jahrhunderts. Sein neues Buch dazu müsse auch „endlich mal fertig werden“, sagt Ziegler. Berlin bleibt aufregend.