Medizin: Magenkrebs genetisch durchleuchtet
Bislang verläuft die Behandlung des Tumors wenig gezielt. Eine neue Einteilung könnte das ändern und eine maßgeschneiderte Therapie ermöglichen.
Magenkrebs gehört zu den besonders gefährlichen und aggressiven Tumoren. Unter den Krebs-Todesursachen steht die Geschwulst weltweit an dritter Stelle; jedes Jahr werden mehr als 700 000 Todesfälle verzeichnet. Ein Problem ist, dass der Magenkrebs zwar in ganz verschiedenen Formen auftritt, die Behandlung aber ziemlich einheitlich ist. „Es ist eine sehr vielfältige Krankheit. Doch in den meisten klinischen Studien wird ein pauschaler Ansatz verfolgt. Es wird versucht, die eine optimale Therapie auf alle Formen von Magenkrebs anzuwenden“, sagt Adam Bass vom Dana-Farber-Krebsinstitut in Boston. „Dieser traditionelle Ansatz ist vermutlich eine Ursache dafür, dass wir bei diesem Krebs kaum Fortschritte gemacht haben.“
Bass gehört zu einer Gruppe von Wissenschaftlern, die sich der Erforschung des Erbguts der Krebszelle verschrieben haben, dem Cancer Genome Atlas Research Network. Im Fachblatt „Nature“ haben sie nun eine neue Einteilung des Magenkrebses vorgelegt, die auf genetischen Eigenschaften gründet. Vier Haupttypen haben Bass & Co. ausgemacht.
Es gibt bereits mehrere Klassifikationen. Sie basieren meist auf dem äußerlichen Erscheinungsbild und Wuchsverhalten des Tumors, der zu 90 Prozent aus Drüsenzellen der Magenschleimhaut entsteht. Noch immer gebräuchlich ist die 1965 von dem finnischen Pathologen Pekka Laurén aufgestellte Einteilung des Magenkrebses in die zwei Hauptgruppen des intestinalen (etwa: darmartigen) und des diffusen Typs. Ebenfalls verbreitet ist die von der Weltgesundheitsorganisation eingeführte Gliederung, die fünf Wuchsformen des Tumors unterscheidet. Bass und sein Team dagegen gehen den genetischen Ursachen des Krebses auf den Grund.
Genetische Veränderungen ebnen Krebs den Weg
Dahinter steht die Hypothese, dass Tumoren das Ergebnis von schwerwiegenden Veränderungen im Erbgut sind, von Mutationen, die das zerstörerische und ungehemmte Wuchern der Krebszellen hervorbringen. Die Wissenschaftler untersuchten Gewebeproben von 295 bösartigen Magentumoren mit Hilfe von sechs molekulargenetischen Verfahren. So wurde das Exom entziffert, also jene Abschnitte des Erbguts, die in Eiweißbausteine übersetzt werden, oder es wurde das komplette Genom einer Tumorzelle sequenziert. Aufgrund eines gemeinsamen Mutationsmusters oder anderer molekularer Auffälligkeiten sortierten die Wissenschaftler die Geschwülste mit Hilfe des Computers in vier Gruppen ein.
In der ersten Gruppe (zehn Prozent) finden sich Tumoren, die Erbmaterial des Epstein-Barr-Virus und eine Reihe spezieller Mutationen besitzen. Eine zweite Gruppe (20 Prozent) enthält jene Geschwülste, in denen Defekte im Erbgut-Reparatursystem zu einer Lawine von Mutationen geführt hat.
Die mit 50 Prozent größte Kategorie enthält Tumore mit besonders brüchigem Erbgut. Das kann zu vervielfachten Genen oder Chromosomen oder umgekehrt dem Verlust genetischen Materials führen. Häufig findet sich diese Spielart am Übergang der Speiseröhre zum Magen. Die vierte Variante (20 Prozent) bezeichnen die Forscher als genetisch weitgehend stabil.
Die molekulare Analyse eröffnet aus Sicht der Wissenschaftler Ansätze für präzisere Behandlung. Bestimmte genetische Veränderungen können die Krebszellen angreifbar durch maßgeschneiderte Medikamente machen. Die Einteilung sei daher ein Leitfaden für den Einsatz zielgenauer Medikamente, die nun bei den verschiedenen Patientengruppen erprobt werden könnten. "Das ist eine sehr sorgfältige Analyse", urteilt Peter Lichter, Genom-Spezialist am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg. "Forscher aus aller Welt werden nun ebenfalls Magenkarzinome untersuchen und prüfen, ob sie auch die Unterteilung in diese vier Untergruppen finden." Wie auch immer: Am Ende können bessere Überlebenschancen für Magenkrebspatienten stehen. Hoffentlich.