Experten-Umfrage zur TIMS-Studie: Macht Schulen zu Forscherwerkstätten!
Was leisten deutsche Viertklässler in Mathematik und Naturwissenschaften? Vor der neuen TIMS-Studie, die am Dienstag veröffentlicht wird, sagen Experten, wie guter Fachunterricht gelingt.
Rixa Borns, Schulleiterin der Matthias-Claudius-Schule in Münster
Als Grundschullehrerin habe ich Mathematik und Naturwissenschaften (Physik/Technik) studiert, eine nicht sehr häufige Kombination. In Nordrhein-Westfalen ist Mathematik für alle angehenden Grundschullehrkräfte ein Pflichtfach, an dem aber auch viele scheitern, denn im Studium müssen sie oft dieselben Seminare und Klausuren absolvieren wie angehende Mathematiker.
Sachunterricht gehört im Studium zu den Drittfächern, bevorzugt gewählt eher mit gesellschaftswissenschaftlichem als mit naturwissenschaftlichem Schwerpunkt. Im Schulalltag fühlen sich dann viele Lehrkräfte nicht genug vorbereitet auf einen naturwissenschaftlichen Unterricht, der die Themen experimentell, entdeckend, forschend aufgreift. Auch im Matheunterricht wird heute nicht nur „gerechnet“, sondern es werden Zusammenhänge entdeckt, es wird geknobelt, geforscht.
Die Empathie der Lehrerin für ein Fach überträgt sich auf die SchülerInnen. Die SchülerInnen merken dies sehr genau. So hatte ich immer Klassen, denen Mathe Spaß gemacht hat. Als junge Lehrerin hat mir eine Klasse mal ein Zeugnis ausgestellt: in Mathe und Sachunterricht bekam ich eine Eins. Die Schüler haben gemerkt, das sind einfach meine Fächer. Bei den Fächern, die ich fachfremd unterrichten musste, waren die Noten gut und befriedigend, obwohl ich mich gerade auf diesen Unterricht immer besonders gut vorbereitet habe.
Die Lehrkräfte brauchen Fortbildung und praktische Hilfen im Sachunterricht, damit sie merken: „Das kann ich auch!“ Oft scheitert es aber auch an dem fehlenden Material oder der mühsamen Suche danach. Eine gut ausgestattete „Forscherwerkstatt“ sollte es eigentlich an jeder Grundschule geben. Guter handlungsorientierter Unterricht braucht leistungsdifferente kleinere Lerngruppen. So können gerade im naturwissenschaftlichen Unterricht auch schwächere Schüler und Kinder mit fehlenden Deutschkenntnissen erfolgreich mitarbeiten.
Die starke Fokussierung auf Deutsch und Mathe durch die Vergleichsarbeiten „Vera 3“ lässt leider oft zu wenig Zeit und Raum für freies Forschen und entdeckendes Lernen. Da wünsche ich mir ein Umdenken, denn im naturwissenschaftlichen Unterricht lernen Kinder so viel mehr als nur warum Eis schmilzt oder wie ein Magnet funktioniert.
Petra Tischler, Konrektorin der 36. Grundschule Berlin-Friedrichshain
Mathematik habe ich im Studium nicht schwerpunktmäßig studiert. Nach dreißig Jahren Schuldienst kann ich das Fach aber gut fachfremd unterrichten – die jahrelange Praxis macht’s, und ich habe immer wieder Fortbildungen. Den Inhalten ist man in der Grundschule ja auch gut gewachsen, das ist nicht das Problem.
Die Herausforderungen liegen in der Methodik: Wie bringe ich die Inhalte an die Kinder – und zwar so, dass alle es verstehen, auch die schwächsten. Das ist im Laufe der Jahre immer komplizierter geworden. Die Klassen werden schließlich immer heterogener, die Sprachbarrieren sind bei vielen Kindern heute hoch. Manche verstehen schon gar nicht, was es bedeuten soll, wenn sie Zahlen „untereinander schreiben“ sollen. Vieles läuft da über sinnliche Wahrnehmung. Wenn es um Bruchrechnung geht, setze ich schon mal Schokolade ein, die die Schüler dann aufteilen müssen.
Im Unterricht hat sich verändert, dass man sich viel mehr fragt, welche Voraussetzungen die Schülerinnen und Schüler mitbringen. Das hat man sich früher gar nicht so klargemacht. Die größte Herausforderung ist definitiv die Klassengröße. 25 oder noch mehr Kinder in einer Klasse sind einfach zu viel. Wenn darunter einige Lernbehinderte sind, einige Flüchtlingskinder und dann auch noch eine Hochbegabte, muss man vier, fünf oder sechs Begabungsstufen auf einmal gerecht werden. Das geht nur mit kleineren Klassen: Erst dann kann sich um jedes einzelne Kind sehr viel intensiver kümmern.
"Im Zuge von Pisa und Co wurde einiges hinter Deutsch und Mathe zurückgestellt"
Danilo Zech, Lehrer an der Bürgermeister-von-Soosten Grundschule in Wehdel (Niedersachsen)
Unterrichten tue ich seit vier Jahren, Mathematik in den Jahrgängen eins bis vier und andere Fächer. Durch das Studium – ich musste zu gleichen Teilen Deutsch, Mathematik und Sachkunde belegen – bin ich ziemlich gut vorbereitet worden, gerade weil das Fachdidaktische in der Grundschulpädagogik eine große Rolle spielt: etwa, wie man Kindern bestimmte Rechenwege vermittelt.
Ziemlich gut klappen im Matheunterricht Übungs- und Vertiefungseinheiten. Wenn man den Kindern zum Beispiel erklärt hat, wie sie Diagramme zeichnen und das dann selbstständig vertiefen sollen. Eine Herausforderung sind dagegen Aufgaben, bei denen Kinder mit längeren Texten arbeiten müssen, wo es um Alltagsanwendungen geht.
Viele haben große Mühe, aus diesen Texten herauszuarbeiten, welche mathematischen Operationen von ihnen verlangt werden. Oft fehlt es dabei schon am Leseverständnis, um den Text erfassen zu können. Das klappt oft erst, wenn man diese Aufgaben lange bespricht. Dafür bräuchten wir kleinere Gruppen. Dazu fehlen uns aber die räumlichen Voraussetzungen. Personell bräuchte man zumindest in den Kernfächern zwei Lehrkräfte im Unterricht – sowie zusätzlich einen Sozialarbeiter für die gesamte Schule, der sich auch mal um die Kinder kümmert, die sich nicht über die gesamten 45 Minuten konzentrieren können.
Seit diesem Jahr haben wir die Möglichkeit, in jeder Klasse Laptops einzusetzen. Als Ergänzung sind die hilfreich: Es gibt sehr schöne Programme um Geometrie zu üben. Der Aufbau der Geräte dauert allerdings schon zehn Minuten und das Einräumen erneut zehn Minuten. Die Hälfte der Stunde ist damit rum. Da überlegt man sich genau, ob man die Zeit im Unterricht verlieren will.
Detlef Pech, Professor für Grundschulpädagogik mit Schwerpunkt Sachunterricht an der Humboldt-Universität
Sachunterricht ist ein extrem großes und sperriges Fach: Hier werden alle Gesellschafts- als auch die Naturwissenschaften grundgelegt. Nach unseren Erfahrungen wird das Fach und damit auch die Naturwissenschaften in den Klassen eins und zwei aber stark vernachlässigt. Hinzu kommt, dass der Sachunterricht in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr Aufgaben übernehmen muss. Zentrale Aufgaben wie die Gesundheitsbildung oder das interkulturelle Lernen werden insbesondere vom Sachunterricht übernommen. Außerdem wurde im Zuge von Pisa und Co schulisch so einiges hinter Deutsch und Mathematik zurückgestellt.
Vor allem ist der Anteil von Lehrerinnen und Lehrern, die Sachunterricht fachfremd unterrichten, sehr groß. Diese Lehrkräfte greifen für den naturwissenschaftlichen Unterricht auf ihre Erinnerungen an ihre eigene Schulzeit zurück. Dort haben viele aber schlechte Erfahrungen gemacht; die geben sie weiter. Gemessen an der Breite ist das Fach an den Universitäten bundesweit mit gut 40 Professuren auch nicht stark vertreten.
Andererseits tut sich viel. Wir wissen durch die neuere Forschung viel mehr über guten Unterricht und über die Stärken und Schwächen von Lehrkräften. Dieses Wissen können wir nun in die Studiengänge integrieren, das gibt der Lehrerbildung einen richtigen Schub. Und im Berliner Lehrkräftebildungsgesetz ist der naturwissenschaftliche Anteil im Studium nun fest verankert. Auch gibt es in den vergangenen Jahren viele Initiativen für naturwissenschaftliche Bildung. Das „Haus der kleinen Forscher“ im Kita-Bereich oder das Kinderforscherzentrum Helleum leisten hervorragende Arbeit. Ich hoffe also, Deutschland kann seine guten Ergebnisse bei TIMSS halten und wird vielleicht noch ein bisschen besser.
Hilde Köster, Professorin für Grundschulpädagogik und Sachunterricht an der FU
Die naturwissenschaftliche Bildung im Studium hat sich in den letzten Jahren verändert. An der FU Berlin wurden durch das durch die Deutsche Telekom Stiftung geförderte Projekt ‚FU.MINT’ fachliche und fachdidaktische Anteile im Studium deutlich gestärkt. In Lehr-Lern-Laboren, die wir – ebenfalls gefördert durch die Deutsche Telekom Stiftung – im Projekt ‚Schülerlabore als Lehr-Lern-Labore’ sowie im Projekt ‚K2teach’ (gefördert durch das Bundesbildungsministerium) entwickeln und durchführen, stellen wir außerdem schon früh einen intensiven Theorie-Praxisbezug her: Die Studierenden forschen selbst an Phänomenen, entwickeln Ideen für die didaktische Umsetzung und erproben die entstandenen Lernumgebungen dann mit Kindergruppen. Das motiviert die Studierenden sehr. Uns geht es dabei darum, dass sie das forschende Lernen selbst erfahren, theoretisch durchdringen, Forschungsergebnisse kennen und zusätzlich die natürliche Neugier der Kinder erleben.
Auch die Umsetzung des Gelernten in Schulen können wir beobachten, da ehemalige Lehramtsstudierende und Studierende im Praxissemester schon viel bewirken. Sie machen Klassenräume zu Lernwerkstätten: Das ist sehr bedeutsam hinsichtlich einer positiven naturwissenschaftlichen Sozialisation der Kinder: Wenn sie zum Beispiel wissen, „wir haben in der Schule eine Lupe“, bringen sie auch etwas mit, das sie untersuchen wollen. Es kommt zu Erfolgserlebnissen, die auf Dauer zu vertieften Interessen und einem besseren Selbstbild bezüglich der Naturwissenschaften führen können.
Hilfreich wäre es dafür, wenn die Stundentafel für den Sachunterricht erweitert bzw. Fächergrenzen aufgelöst würden, so dass der Sachunterricht die anderen Fächer durchwirken kann.
Aufgezeichnet von Anja Kühne und Tilmann Warnecke.
Worum es bei TIMSS geht und wie Deutschland bislang abgeschnitten hat, lesen Sie hier.
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