Hilfe für die Psyche muss nicht von Profis kommen: Laien als Therapeuten
Die Psychotherapiepraxen sind überfüllt. Doch Angehörige und Freunde können Menschen in der Krise oft genauso gut stützen wie „professionelle“ Helfer.
Hastig riss die junge Frau die Tür zum Frisiersalon auf, ein paar Minuten nach ihrem Termin. Sie entschuldigte sich mit häuslichem Chaos: Ihre Mutter hätte sich um die Kinder kümmern wollen, war aber krank geworden, und nun musste in aller Eile eine Lösung gefunden werden. Die Seniorchefin führte sie ruhig und freundlich zu ihrem Platz, und während sie sich mit ihren Haaren beschäftigte, hörte sie dem Redefluss der Stammkundin zu, die ihr Herz ausschüttete, warf nur kurze Bemerkungen ein: „Sie fühlen sich überfordert?, Ja, das glaub’ ich! – „Aber ganz toll, wie Sie das alles schaffen; find’ ich großartig!“ – „Ja, Sie haben recht, Sie kriegen viel zu wenig Schlaf. Aber Sie sehen gut aus, schauen Sie mal richtig in den Spiegel.“ Eine Kundin, eine Psychologin, hörte mit, erst ungewollt, dann zunehmend fasziniert. Das war mehr und mehr die klassische psychotherapeutische Gesprächstechnik nach Carl Rogers: Aktiv zuhören; das vom Klienten Gesagte mit etwas anderen Worten wiederholen und damit verstärken; mit emotionaler Wärme sprechen; Zeichen der Wertschätzung geben. In ihrer Ausbildung zur Psychotherapeutin war diese positive Gesprächsführung gerade Thema – und ihre Friseurin hatte das offenbar von selber drauf!
Social Support - der Freund als Stütze
Dass Menschen mit seelischen Belastungen und in Lebenskrisen auch bei Laien wirksame Unterstützung finden können, ist nicht nur Alltagserfahrung. Seit den 1970er Jahren hat die „Social Support“-Forschung nachgewiesen, wie wirksam die Unterstützung durch das soziale Netzwerk sein kann.
Aber die professionelle Psychotherapie hat bis vor Kurzem ausgeblendet, wie hilfreich auch Laien bedrängte Menschen unterstützen können. Von einem „Kokon der Psychotherapie und Beratung“ ist die Rede im Vorwort eines Schwerpunkthefts der Zeitschrift „Verhaltenstherapie und Psychosoziale Praxis“ über „Extratherapeutische Wirkfaktoren“. Diese positiven Effekte außerhalb der professionellen Hilfe findet man zwar auch im Frisiersalon oder bei nächtlichen Gesprächen mit dem Barkeeper. Die wichtigsten Unterstützer aus dem privaten Netzwerk der Hilfesuchenden aber sind nahe Familienangehörige und gute Freunde.
Hilfe von Laien und Therapeuten wird als gleich hilfreich empfunden
In welcher Form und wie gut sie im Vergleich mit den berufsmäßigen Beratern und Therapeuten helfen können, wurde in zwei Studien untersucht, die ähnlich angelegt waren und zu den gleichen Ergebnissen kamen. In einer strukturierten Befragung ermittelten Manuela Huber und Monika Röder (Fachbereich Psychologie der Uni Salzburg) bei den Hilfesuchenden selbst, welche Erfahrungen sie mit informeller und welche mit professioneller Unterstützung gemacht hatten. Laien wie berufsmäßige Therapeuten hatten sie aus ganz ähnlichen Gründen zu Rate gezogen: Partnerschafts- oder Familienprobleme, Verluste (Tod, Trennung, Scheidung), Alltagsbelastungen, emotionale Probleme, Gesundheitssorgen. Nur bei psychischen oder psychosomatischen Störungen wurden eher Psychotherapeuten aufgesucht.
Beide Studien ergaben: Die psychologische Unterstützung durch Laien und die durch professionelle Helfer wurde als sehr ähnlich empfunden. Vor allem hatten die Helfenden beider Bereiche offenbar eine vergleichbare Grundhaltung. Auch die Qualität der Hilfe wurde gleich beurteilt, ebenso der Effekt. „Kein Unterschied konnte in der Bewertung der Behandlungen beobachtet werden. Beide Gruppen erlebten diese als vergleichbar effektiv und zufriedenstellend“, heißt es in dem Bericht.
Es fällt auf, welcher Rang der Grundhaltung von beruflichen wie Laien-Unterstützern beigemessen wird. Im Zentrum der Psychotherapieforschung und -praxis standen lange Zeit die Methoden. Die einzelnen „Schulen“ schotteten sich gegeneinander ab und bekämpften sich. Inzwischen entdeckte und erforschte man aber die bis dahin völlig unterschätzte Bedeutung allgemeiner Faktoren wie der helfenden Grundhaltung der Therapeutin und der guten Beziehung zur Patientin oder Klientin. (Meist sind Helfende wie Hilfesuchende Frauen.)
80 Prozent bauen auf nichtprofessionelle Hilfen
Idealerweise arbeiten Therapeuten heute methodenübergreifend. Sie wählen nach Möglichkeit das Verfahren aus, das dem jeweiligen Patienten oder Klienten am wahrscheinlichsten helfen kann. Man schottet sich also nicht mehr voneinander ab. Aber eine Abschottung ist geblieben: die gegen die Alltagswelt mit ihren nichtprofessionellen Hilfen (die 80 Prozent der psychosozial Belasteten ausschließlich in Anspruch nehmen).
Psychotherapie und professionelle Beratung bleiben, wie es in dem Sonderheft heißt, „weithin seltsam kontextentrückt“ und alltagsfern. Als hätten die Patienten oder Klienten gar keine hilfreichen Beziehungen außerhalb der Therapiestunden. So wissen die Therapeuten oft nicht, ob das soziale Umfeld der Behandelten die Therapie stört oder fördert. Also können sie die Möglichkeiten der Verstärkung von Therapieeffekten durch positive Einflüsse aus dem privaten Netzwerk ihrer Patienten nicht nutzen. Mehrfach fordern die Autoren, die Selbstzufriedenheit professioneller Hilfe zu überwinden und die nichtprofessionelle soziale Unterstützung in Forschung und Praxis zu integrieren. Beide Bereiche könnten viel lernen.
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