Lukrative Prothesen: Kniefall vor dem Geschäft
Schmerzen im Knie? Wenn Ärzte ein künstliches Gelenk vorschlagen, ist das womöglich nicht nur im Interesse des Patienten, legt eine Analyse nahe. Ein Kommentar.
Liegt’s an den kniefreien Lederhosen? Oder der ausgeprägteren Wanderlust im Süden der Republik? Jedenfalls ist es im trachtentreuen und sportbewegten Bayern um rund 70 Prozent wahrscheinlicher als in Berlin, im Laufe seines Lebens ein künstliches Kniegelenk eingeschraubt zu bekommen.
Nicht nur selbstlose Motive
Das hat eine Analyse des Science Media Centers (SMC) von Daten des Statistischen Bundesamtes ergeben. Demnach gab es 2016 im Freistaat 260 Knie-OPs pro 100 000 Einwohner, während es in der Bundeshauptstadt nur 153 waren. Auch in den anderen Bundesländern variierte die Zahl der Eingriffe teils erheblich. Eines aber galt für die gesamte Republik: Seit 2013 haben Knie-OPs um 18,5 Prozent zugenommen.
Die Erklärung dafür ist leider nicht allein, dass Ärzte eine wirksame Therapie nun selbstlos häufiger einsetzen und Patienten mit Schmerzen helfen. Seit 2013 bekommen Kliniken für diese Art der Operation schlicht mehr Geld. So konnten für eine der häufigsten Fallpauschalen im Jahr 2013 rund 7200 Euro geltend gemacht werden, 2016 waren es rund 7900 Euro, rechnet das SMC vor.
Auch wenn es meist viele Gründe für den Anstieg von Eingriffen oder Therapien gebe, lasse sich belegen, dass „Fallzahlen steigen, wenn eine Fallpauschale aufgewertet wird“, sagt Reinhard Busse von der Technischen Universität Berlin, einer der Autoren der Studie, die von der Bertelsmann-Stiftung am Dienstag vorgestellt wurde. Demnach wird es auch in Zukunft mehr Knie-OPs geben: 2018 wurden die Pauschalen erneut angehoben.
Immer mehr jüngeren Patienten wird zur OP geraten
Kann man sich als Patient also darüber freuen, dass die Kliniken nun endlich mehr Geld bekommen und Ärzte nicht mehr zögern, eine teure, aber wirksame und nötige Operation einzusetzen?
Leider nein. Die Zahlen zeigen nämlich, dass nicht etwa nur jene Patienten – wie medizinisch gefordert – behandelt werden, deren letzte Option eine Prothese ist. Die OP wird auch immer mehr jüngeren Patienten unter 60 Jahren aufgeschwatzt: 2016 waren es rund 31 Prozent mehr als noch 2009. Das Problem dabei ist: Die Prothese bleibt so lange im Körper, dass sie aufgrund der Beanspruchung ausgetauscht werden muss – womöglich sogar mehrfach.
Allerdings hat schon eine einzige Knieersatzoperation eine vergleichsweise hohe Komplikationsrate. Nur 43 Prozent der Versicherten der Barmer GEK sind einer Studie zufolge mit der Prothese zufrieden. Und rund 30 Prozent waren auch sechs Jahre nach der Operation noch auf Schmerzmittel angewiesen. Eigentlich sollte der Einbau eines künstlichen Gelenks also für die behandelnden Ärzte das allerletzte Mittel sein, um dem Patienten zu helfen. Stattdessen schließen Kliniken sogar Verträge mit niedergelassenen Orthopäden, in denen lukrative Prämien für die Überweisung von Knie-OP-Patienten vereinbart werden, so das SMC.
Der Fall zeigt einmal mehr, wie schmal der Grat zwischen einer fairen Entlohnung für eine wirksame Therapie und dem Missbrauch der Gesundheit des Patienten für die Sanierung der Klinikbilanz ist. Für die Patienten bedeutet es, sich besser genau zu informieren, ob eine Operation wirklich ihnen selbst nützt – oder eher anderen im Gesundheitssystem.
Sascha Karberg