Extrem viele Neuinfektionen: Kliniken in Portugal droht wegen Corona-Mutation der Kollaps
Portugal meldet die weltweit höchste Sieben-Tage-Inzidenz. Die britische Virus-Variante macht 20 Prozent aller Fälle aus – und es könnte noch schlimmer werden.
Dramatische Entwicklung in Portugal: Die Infektionszahlen schießen in dem südeuropäischen Land durch die Decke. Pro Million Einwohner meldet das Land, in dem rund zehn Millionen Menschen leben, aktuell weltweit die höchste Sieben-Tage-Inzidenz. Das geht aus Daten der Johns-Hopkins-Universität und des Portals „Our World in Data“ hervor.
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Äußert beunruhigend dabei ist, dass sich in dem Land die ansteckendere britische Variante des Coronavirus rasch ausbreitet. Etwa 20 Prozent aller neuen Infektionsfälle gingen auf diese Variante zurück, sagte Gesundheitsministerin Marta Temido dem Sender RTP am späten Mittwochabend. Der Anteil könne bereits nächste Woche auf 60 Prozent steigen. „Das Gesundheitssystem kann dieses Ausmaß an Infektionen nicht handhaben“, sagte Temido.
Das Gesundheitssystem ist in dem Land mit seinen rund zehn Millionen Einwohnern bereits jetzt am Rande des Zusammenbruchs. Es mangelt an Betten für die Intensivpflege und an Pflegepersonal, um die Covid-19-Patienten zu versorgen.
In Portugal gibt es den Gesundheitsbehörden zufolge 672 Intensivbetten für Covid-19-Patienten. Davon seien 638 belegt.
Wie Euronews online berichtet, findet Ärzten zufolge in den Krankenhäusern bereits die sogenannte Triage statt. Das ist die Auswahl von Patienten nach bestimmten Kriterien, etwa dem Schweregrad der Infektion.
Am Mittwoch hatten sowohl die täglich gemeldeten Neuinfektionen als auch die Zahl der Todesfälle einen Höchststand erreicht. Fast 14.700 Ansteckungsfälle wurden binnen 24 Stunden gemeldet, das ist ein Anstieg gegenüber dem Vortag um 40 Prozent. Bisher wurden in dem EU-Land mehr als 581.600 Coronavirus-Fälle bestätigt.
Die Dunkelziffer könnte sogar noch weitaus höher sein, befürchten einige Experten. Portugal verfügt Medienberichten zufolge nach wie vor nur über eine begrenzte Testkapazität. Es gibt täglich rund 50.000 Tests – in Deutschland sind es mehr als dreimal so viele. Angesichts der Lage reichen die Ressourcen in Portugal nicht aus, um flächendeckend auch asymptomatische Infektionen zu identifizieren.
Manuel Carmo Gomes, Epidemiologe an der Fakultät für Naturwissenschaften der Universität von Lissabon, hatte bereits vor sieben Tagen prognostiziert, dass das Land in den nächsten zwei Wochen 14.000 tägliche Neuinfektionen erreichen wird. „Wir stehen vor den schwierigsten Wochen der Pandemie“, zitierte der österreichische „Standard“ den Experten.
Am Donnerstag wurden zudem 221 weitere Todesfälle binnen 24 Stunden im Zusammenhang mit dem Virus registriert, auch das ein Höchstwert. Insgesamt verzeichnet das Land mit seinen rund zehn Millionen Einwohnern bisher 9465 Covid-19-Tote. Das sind mit 921 Verstorbenen pro Million Einwohner mehr als beispielsweise in den Niederlanden (775) oder auch Deutschland (603).
Regierung in Portugal sträubte sich gegen Lockdown
Die Regierung von Ministerpräsident Antonio Costa hatte sich lange gegen einen zweiten harten Lockdown gesträubt. Stattdessen versuchte die Verantwortlichen in Lissabon bis zuletzt, möglichst viele Wirtschaftsbereiche und weniger betroffene Landkreise zumindest in Teilen offen zu halten.
Schärfere Maßnahmen wurden unter Berücksichtigung der Inzidenzen anhand eines Vier-Stufen-Konzepts umgesetzt. Doch schnell zeigte sich, dass nur noch ganz wenige Landkreise unter den Zielwerten blieben und die Neuinfektionszahlen überall im Land explodierten – besonders seit den Weihnachtsfeiertagen.
Erst vergangenen Freitag verhängte die Costa-Regierung nach einer Lockerung der Maßnahmen über Weihnachten einen 15-tägigen Lockdown, um die Verbreitung des Virus einzudämmen. So sind alle nicht zwingend notwendigen Geschäfte und Einrichtungen geschlossen.
Schulen und Universitäten für 15 Tage geschlossen
Dabei sei die Arbeit zu Hause wo immer möglich Pflicht, sagt Premier Costa. „Die Regel ist ganz einfach: Wir sollten alle zu Hause bleiben.“ Die Pandemie habe ihre gefährlichste Phase erreicht.
Umstritten ist auch in Portugal die Frage der Schulen. Trotz harscher Kritik entschied die Regierung lange Zeit, diese offen zu lassen. Erst am Donnerstagnachmittag nun entschied die portugiesische Regierung, dass Schulen und Universitäten für mindestens 15 Tage geschlossen werden müssen. Unklar ist weiterhin, ob die Wahl eines neuen Präsidenten wie geplant am Sonntag stattfinden wird.
Die Sorge vor der britischen Virusvariante ist auch in Deutschland groß. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte am Donnerstag vor der Bundespressekonferenz, die Zahl der Neuinfektionen und auch die der Intensivpatienten gehe zurück, „das ist eine gute Nachricht“. Die harten Einschnitte der vergangenen Monate zeigten Wirkung. Aber die Gefahr der mutierten Viren müsse man „sehr ernst nehmen“, sagt Merkel. Es gehe jetzt um Vorbeugung.
Krankenhausärzte schließen nicht aus, dass wegen der Mutation noch härtere Einschränkungen in Deutschland nötig werden. Der Präsident des Verbandes der Leitenden Krankenhausärzte Deutschlands, Michael Weber, sagte der „Neuen Osnabrücker Zeitung“: „Wenn die Mutation so schlimm ist, wie Angaben aus England es vermuten lassen, dann Gnade uns Gott. Dann könnte es sein, dass wir alles noch mal neu bedenken müssen.“