Studie aus Baden-Württemberg: Kinder infizieren sich deutlich seltener mit dem Coronavirus als ihre Eltern
Eine Studie aus Baden-Württemberg zeigt, dass Kinder wohl doch keine „Superspreader“ sind. Das könnte die Öffnung von Schulen und Kitas beschleunigen.
In Stuttgart hat am Dienstag die grün-schwarze Landesregierung unter Ministerpräsident Winfried Kretschmann auf einer Pressekonferenz das vorläufige Ergebnis einer Studie vorgestellt, die von den Universitätskliniken Ulm und Heidelberg im Auftrag der Landesregierung durchgeführt worden war. Das Ergebnis: Kinder stecken sich nicht häufiger, sondern tendenziell seltener mit dem Coronavirus an als Erwachsene.
Im Gegensatz zu anderen Infektionskrankheiten seien Kinder im Zusammenhang mit dem neuartigen Coronavirus keine Infektionstreiber, sagte Klaus-Michael Debatin, Ärtzlicher Direktor für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Ulm. Insgesamt hätten sie sich seltener angesteckt als ihre Eltern. Zu diesem Ergebnis war auch der am 27. Mai veröffentlichte Zwischenbericht gekommen. Ein abschließendes Ergebnis werde in drei bis vier Wochen erwartet.
Die Studie war vor acht Wochen von der Landesregierung in Auftrag gegeben worden. Beteiligt hatten sich die Universitätskliniken Freiburg, Heidelberg, Tübingen und Ulm. Die Studie sollte Gewissheit schaffen, ob Kinder zu einem höheren Infektionsgeschehen beitragen oder nicht. Zu Beginn der Coronakrise waren viele davon ausgegangen, dass Kinder sogenannte „Superspreader“ sein könnten. Mit diesem Begriff bezeichnet man in der Epidemiologie Personen, die ungewöhnlich viele Virenübertragungen verursachen. Man hatte befürchtet, dass Kinder so unbeabsichtigt ihre Eltern oder Großeltern anstecken könnten.
Lediglich 1,3 Prozent der Untersuchten bildeten Antikörper
Bei der durchgeführten Studie wurden insgesamt 2.466 Kinder und jeweils ein Elternteil untersucht, davon 1.855 Mütter und 611 Väter. Die Grundgesamtheit lag damit bei 4.932 zu untersuchenden Personen. Untersucht werden sollte insbesondere, ob sich bei den Probanden mögliche Antikörper aufgrund einer unbemerkten Infektion mit dem Coronavirus gebildet hatten. Bei einem Eltern-Kind-Paar soll im Untersuchungszeitraum zwischen dem 22. April und 15. Mai 2020 eine Infektion mit SARS-CoV-2 festgestellt worden sein.
Insgesamt wurden 64 Personen positiv auf Antikörper getestet – ein Anteil von überschaubaren 1,3 Prozent. Unter den 64 positiv Getesteten waren 45 Elternteile und 19 Kinder. In diesem Fall spricht man statistisch von einer hohen Signifikanz. Kinder zwischen einem und fünf Jahren waren demnach sogar noch weniger von SARS-CoV-2 betroffen. Insgesamt konnten die Forscher lediglich sieben Fälle bei einer Gesamtmenge von 1.122 beobachten. Bei Kindern im Alter von sechs bis zehn Jahren gab es insgesamt zwölf Fälle von Antikörperbildung bei insgesamt 1.385 Untersuchten.
Laut Klaus-Michael Debatin hätten Kinder weniger Rezeptoren, an die das Virus andocken könnte. Somit wäre zu erklären, wieso Kinder keine überschießenden Entzündungsreaktionen wie Erwachsene mit einem schwereren Krankheitsverlauf entwickele. „Womöglich können wir von Kindern etwas lernen, das bei der Behandlung helfen kann“, sagte er.
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Somit dürfte erneut über die Frage debattiert werden, ob und inwieweit eine Schließung von Schulen und Kitas noch zu rechtfertigen ist. Diese Frage sei von „hoher gesellschaftlicher Relevanz und Dringlichkeit“, sagte Prof. Dr. Hans-Georg Kräusslich, Abteilungsleiter Virologie am Zeentrum für Infektiologie des Uniklinikums Heidelberg. Die grün-schwarze Landesregierung hatte bereits angekündigt, ab dem 29. Juni Schulen und Kitas wieder zu öffnen.
Ministerpräsident Kretschmann sagte, die derzeitige Situation sei für viele Kinder und ihre Eltern eine erhebliche Belastung. „Besonders wichtig war und ist mir, dass wir mit den Ergebnissen der Studie unsere politischen Entscheidungen auf die aktuellste wissenschaftliche Expertise stützen können“, sagte er am Dienstag im Anschluss an die Sitzung des Ministerrats.
Schnelligkeit sei für „wissenschaftliche Forschung ungewöhnlich“
Wissenschaftsministerin Theresia Bauer lobte ausdrücklich die Leistung der vier Universitätskliniken. „Dass die Ergebnisse bereits jetzt, nach wenigen Wochen, vorliegen, ist eine großartige Leistung“, sagte die Grünen-Politikerin. Die Studie sei somit ein gutes Beispiel dafür, wie eng Politik und Wissenschaft im Kampf gegen das Corona-Virus zusammenarbeiten würden. Auch Kretschmann dankte den Wissenschaftlern für ihre Arbeit, auch wenn „dieser Takt für wissenschaftliche Forschung ungewöhnlich sei.“
Jetzt habe man die Möglichkeit, den neuen Regelbetrieb unter Pandemiebedingungen bis zu den Sommerferien noch einen Monat lang genau zu beobachten. „Die fürsorgliche Betreuung und der Unterricht im direkten Miteinander sind uns ebenso wichtig wie die Gesundheit der Kinder und der Betreuungs- und Lehrkräfte.“
Die Studie war im April diesen Jahres in Auftrag gegeben worden und kostete 1,2 Millionen Euro. Die über 5.000 Studienteilnehmer hatten sich freiwillig gemeldet, an der Studie mitzuwirken. Dadurch war auch die höhere Zahl der weiblichen erwachsenen Testpersonen zustande gekommen, wie eine Sprecherin des Wissenschaftministeriums auf Tagesspiegel-Anfrage mitteilte. Ob die Forschungslage dadurch beeinflusst worden sei, konnte sie nicht bestätigen. Die Ergebnisse der Studie können hier auf Englisch nachgelesen werden.
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