Die Leistungen deutscher Schüler sinken: Generation Smartphone und die Pisa-Studie
Die Pisa-Studie attestiert deutschen Schülern sinkende Leistungen. Warum ist das so und wie kann Unterricht besser werden? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Die Leistungen der 15-Jährigen in Deutschland in den Fächern Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften lassen nach – und bekannte Problemzonen des deutschen Bildungssystem weiten sich sogar aus. Das sind zentrale Ergebnisse der aktuellen Ausgabe der Pisa-Studie.
Wo steht Deutschland in der aktuellen Pisa-Studie?
Die Leistungen der Jugendlichen sind teilweise wieder auf dem niedrigeren Niveau angelangt, das sie vor einem Jahrzehnt hatten. Im Lesen erreichen die Schülerinnen und Schüler 498 Punkte, das sind elf Punkte weniger als bei der vorangegangen Pisa-Studie von 2015. Besonders deutlich ist der Rückgang in den Naturwissenschaften: Deutschland lag bereits bei 524 Punkten, jetzt sind es 503. In Mathematik liegt der Wert bei 500, der Höchstwert war hier 514 im Jahr 2012.
Im internationalen Vergleich bleibt Deutschland dennoch in allen Bereichen über dem OECD-Schnitt und damit im oberen Mittelfeld, was die deutsche Pisa-Chefin Kristina Reiss als „positiv“ wertete. Das liegt daran, dass sich viele andere Staaten ebenfalls nicht verbessern. Durchgehend besser als Deutschland schneiden nicht nur die Spitzenreiter aus Asien ab, sondern auch Kanada, Estland, Finnland und Polen, mit Vorsprüngen von teils 30 Punkten. 25 Pisa-Punkte entsprechen einem Lernjahr.
Besonders besorgniserregend für Deutschland: Der Anteil der „Risikoschüler“ nimmt wieder zu. Das sind diejenigen, denen grundlegende Kompetenzen fehlen. So haben 20,7 Prozent nur Lesefertigkeiten auf Grundschulniveau. Dieser Wert lag 2012 bei 14 Prozent, ist jetzt aber praktisch wieder auf dem Stand von 2001, als die Ergebnisse der ersten Pisa- Studie Deutschland schockten. Gleichzeitig sinkt der Anteil der Leistungsstarken.
Die Pisa-Teilnehmer sind mit dem Smartphone aufgewachsen. Wie wirkt sich das auf die Ergebnisse aus?
Ob die jetzige Pisa-Generation besser lesen und rechnen könnte ohne die Digitalisierung, die ihnen vor allem über das Smartphone begegnet, wissen die Forscher nicht. Sie wissen aber, dass viele Jugendliche durch das Smartphone mehr lesen als früher, um sich zu informieren. Was positiv klingt, hat einen Haken: Denn es geht dabei in erster Linie um die kleinteiligen Neuigkeiten aus den sozialen Medien – etwa bei Instagram, also Häppchen-Informationen. Mit „Leselust“ habe das nichts zu tun, sagt der Direktor des Mercator-Instituts für Sprachförderung, Michael Becker-Mrotzek.
Die Geduld mit langen Texten nimmt jedenfalls ab – eben weil die Smartphonenutzung zur konzentrationstechnischen Kurzatmigkeit führt. Lehrer stellen fest, dass ihre Schüler die ihnen aufgegeben Bücher nicht mehr von vorn bis hinten durchlesen, sondern sich mit der Inhaltsangabe begnügen, die sie irgendwo im Netz finden. Klar ist: Die Lesefreude der Schüler in Deutschland ist wenig ausgeprägt. Jeder Zweite sagt: „Ich lese nur, wenn ich muss.“ Für nur ein Viertel gehört Lesen zu den liebsten Hobbys. Der OECD-Schnitt liegt jeweils höher.
Was sind insgesamt die Ursachen für die schwächeren Ergebnisse?
Die abnehmende Lesemotivation ist für die Forscher ein Grund. Zudem gibt es eine Zunahme mehrsprachiger Schüler, die sich sowohl mit dem Lesen deutscher Langtexte schwerer tun als auch mit dem Verstehen kompliziert formulierter Aufgabenstellungen. Die Erfahrung zeigt, dass selbst Schüler, die gut rechnen können, mitunter in Mathematik und in den Naturwissenschaften schlecht abschneiden, weil ihnen Vokabeln für das Verstehen der Aufgabenstellung fehlen.
Dennoch könne die zunehmende Heterogenität der Schülerschaft nur einen Teil der Einbußen im Lesen erklären, sagte Ludger Schuknecht, Vize-Generalsekretär der OECD. Er nannte weitere Faktoren: Der Lehrermangel wurde von den bei Pisa befragten Schulleitern deutlich häufiger als Problem genannt als früher – und zwar in Deutschland überproportional oft. Zudem sei auffällig, dass die Leistungen der Jungen nachlassen.
Wie stehen Jugendliche mit Migrationshintergrund da?
Diese Jugendlichen sind „eine große Herausforderung fürs Bildungswesen“, sagt Pisa-Chefin Kristina Reiss. Die Resultate sind uneinheitlich: Migranten der ersten Generation – die im Ausland geboren wurden – haben sich im Lesen sehr verschlechtert. Die Jugendlichen aus Zuwanderungsfamilien, die in Deutschland geboren wurden, haben sich dagegen signifikant verbessert.
Die zweite Gruppe überwiegt dabei deutlich unter den inzwischen 35,6 Prozent Jugendlichen mit Migrationshintergrund (einen Fluchthintergrund haben zwei Prozent). Im Schnitt haben alle diese Jugendlichen einen Rückstand von 52 Punkten, also zwei Lernjahre. In vielen Ländern ist der Rückstand ähnlich hoch: etwa in Dänemark, Schweden, Österreich oder Belgien. Besser stehen angelsächsische Staaten da.
Gelingt es Deutschland, den Zusammenhang von Schulleistungen mit sozialer Herkunft zu entkoppeln?
Nicht gut. Der Schulerfolg hängt noch stärker als früher vom sozialen Status der Eltern ab. Bei den Lesekompetenzen hat das privilegierteste Viertel der Schülerschaft einen Vorsprung von 113 Punkten gegenüber dem sozioökonomisch am stärksten benachteiligten Viertel. Das sind noch einmal neun Punkte mehr als 2009. Zum Vergleich: Im OECD-Schnitt liegt dieser Abstand bei 89 Punkten.
Skandinavien bewältigt den Ausgleich traditionell besser. Kristina Reiss weist aber darauf hin, dass es kaum ein Land schaffe, den sozialen Gradienten nachhaltig positiv zu verändern. Da sich die Sozialstrukturen in den Ländern sehr unterscheiden, könne sie „nicht sofort mit guten Ratschlägen kommen, was man sich anderswo abgucken kann“. Ohnehin ist die Vergleichbarkeit nicht immer gegeben – etwa bei China, das nur ausgewählte reiche Regionen wie Peking oder Schanghai ins Pisa-Rennen schickt, wie eine US-Studie 2018 kritisierte.
Was können die Länder von Berlin lernen?
Mit großen Risikogruppen hat Berlin die meiste Erfahrung – das zeigt jede Länderstudie. Berlin hat deshalb in den vergangenen Jahren einen dreistelligen Millionenbetrag für die Unterstützung von Brennpunktschulen sowie für Sprachförderstunden ausgegeben und in den Brennpunkten den Ausbau der Ganztagsangebote forciert. Dennoch verbessern sich Berlins Ergebnisse nicht.
Der Bund könnte daraus lernen, dass das Geld gezielter in die Qualität investiert werden muss, anstatt es mit der Gießkanne zu verteilen, und dass Strukturveränderungen wie der Ganztagsbetrieb wenig bringen ohne flankierende gezielte Förderung der Schüler.
Was muss Deutschland jetzt tun?
Die Botschaft der Pisa-Forscher ist eindeutig: Schon in der Kita müsse mehr für die Sprachförderung getan werden, betont Michael Becker-Mrotzek vom Kölner Mercator-Institut. Insofern könnte das 5,5–Milliarden-Kita-Paket der Bundesregierung genau das Richtige sein. Allerdings nutzen viele Länder das Geld nicht für Qualitätsverbesserungen sondern dafür, den Eltern Beitragsfreiheit zu spendieren. Das wurde in 2019 so festgelegt und ist nur langfristig zu ändern.
Der weitere Fokus müsse dann auf die Sprach- und Lesekompetenz in den Grundschulen gerichtet werden, fordern übereinstimmend Becker-Mrotzek und Petra Stanat vom Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB). Hier komme es besonders auf die Alphabetiserung in Klasse 1 und 2 an – und somit auf gut ausgebildete Grundschullehrer. „Wenn bei den Grundlagen etwas schiefläuft, haben wir ein Problem“, mahnt Becker-Mrotzek im Hinblick auf den besonders Lehrermangel im Grundschulbereich: Das wäre ein weiterer Hinweis auf die Notwendigkeit, die besten Lehrer in den Schulbeginn zu lenken.
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