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Ein Blick in die Ausstellung "The Dead, as far as [ ] can remember"
© Promo

Aufarbeitung des Kolonialismus: Isaria Anael Melis Suche nach dem Schädel seines Großvaters

Eine Ausstellung im Tieranatomischen Theater der HU befasst sich mit der wenig rezipierten deutschen Kolonialgeschichte.

Seit 50 Jahren ist Isaria Anael Meli auf der Suche nach dem Schädel seines Großvaters. Chief Mangi Meli, Held des tansanischen Widerstands gegen die koloniale Gewaltherrschaft im einstigen Deutsch-Ostafrika, wurde erhängt und enthauptet, sein Kopf vermutlich nach Deutschland verschifft.

Melis Name steht stellvertretend für die unzähligen Personen, die in den früheren deutschen Kolonialgebieten – vor allem im heutigen Namibia – von Mitgliedern der Schutztruppen umgebracht wurden. Deren Gebeine missbrauchte die anthropologische Forschung im Kaiserreich zur Produktion rassistischer Diskurse. Das biologistische „Wissen“ – auch an deutschen Unis erfunden – sollte die Unterdrückung und Ausbeutung der als minderwertig konzipierten „Anderen“ gleichsam legitimieren. Heute wird der Kopf von Mangi Meli in einer jener Schädelsammlungen vermutet, die noch immer in deutschen Archiven lagern.

Mangi Meli, Held des tansanischen Widerstands

Dem grausamen und hierzulande sträflich vernachlässigten Kapitel deutsch-afrikanischer Geschichte und der Frage des heutigen Umgangs damit widmet sich nun die engagierte Ausstellung „The dead, as far as [ ] can remember“ im Tieranatomischen Theater der HU.

Kurator Felix Sattler erklärt, die in vier Abschnitte gegliederte Schau sei weniger als Objekt- denn als Diskursausstellung konzipiert. Im Sinne eines Perspektivwechsels wolle man auch jenen Stimmen eine Plattform bieten, die in den gängigen wissenschaftlichen, politischen und museologischen Debatten um menschliche Überreste und Objekte aus den ehemaligen Kolonien leider selten Gehör fänden. Nach Sattler sind dies vor allem zivilgesellschaftliche Akteure, insbesondere aber die Nachfahren der Kolonisierten selbst, die in Deutschland keine sprachmächtige Lobby haben. Die Klammer im Ausstellungstitel symbolisiere diese Leerstelle.

So wurde der Abschnitt „Mangi Meli Remains“, der die Geschichte jenes unbeugsamen Widerstandskämpfers und die Suche seines Enkels nach dessen Kopf dokumentiert, vom Theaterkollektiv Flinn Works in Zusammenarbeit mit tansanischen Künstlern gestaltet. Im Zentrum steht ein brüchiger Tonkrug, in dessen Inneres ein Animationsfilm über Leben und Sterben Mangi Melis projiziert wird.

40.000 Totenschädel aus der naturhistorischen Sammlung in Wien

Konträr zu diesem individuellen Ansatz, der auf eine konkrete Person fokussiert, stellt die vom israelischen Künstler Tal Adler und seinen Kolleginnen zu verantwortende Installation „Dead Images“ auf die schier ungeheure Zahl gestohlener Gebeine aus Afrika ab. Auf einer unscharf gestellten Fotografie, die eine ganze Wand einnimmt, werden 40.000 Totenschädel aus der anthropologischen Sammlung des Naturhistorischen Museums in Wien gezeigt. „Das Kapitel widmet sich vor allem der Kontroverse über den Umgang mit Human Remains“, sagt Sattler. Künstlerinnen und Wissenschaftler fragen auf Videobildschirmen nach den Grenzen des Zeigbaren und werfen die Frage auf, ob die nach wie vor in zahllosen Museen des globalen Nordens gehorteten menschlichen Überreste nicht vollends restituiert werden müssten.

Das Ausstellungskapitel „Breaking the Silence – der Zorn des Mdachi Bin Sharifu“ wurde vom Verein "Berlin Postkolonial" gestaltet, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, den in westlichen Gesellschaften und Stadtbildern tief verwurzelten Kolonialrassismus anzuprangern. Über Dias aus der Sammlung des deutschen Plantagenbesitzers Karl Vieweg kontrastiert der Raum den kolonialen Blick auf die rassifizierten Subjekte mit dem Protest der frühen afrodeutschen Community gegen das brutale Unterdrückungssystem. So wird hier auch die Legende von den treu ergebenen „Eingeborenen“ als Propaganda offenbar. Der letzte Raum „Just Listen“ stellt die Perspektiven von afrodeutschen Aktivisten und Expertinnen in den Vordergrund, die heute von Rassismus betroffen sind, und befasst sich mit den Kontinuitäten kolonialrassistischer Denkmuster. Nicht zuletzt weisen die Interviewten auf die in Deutschland allenfalls halbherzige Rezeption der Vergangenheit hin.

"Kurzer" Kolonialismus, verkürzte Erinnerung

Noch immer, so Felix Sattler, seien hierzulande viele Menschen der irrigen Meinung, der deutsche Kolonialismus sei ob seiner vergleichsweise kurzen Dauer erinnerungspolitisch zu vernachlässigen. Nicht einmal der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts, den die deutschen Kolonialverbrecher an den Herero und Nama in Namibia verübten, werde in Politik und Öffentlichkeit hinreichend rezipiert. Es steht zu hoffen, dass sich mit Ausstellungen wie dieser daran etwas ändert. Und dass Mangi Melis Enkel den Kopf seines Großvaters letztendlich nach Hause bringen kann.

Die Ausstellung läuft bis zum 19. Januar 2019, Dienstag bis Samstag 14 bis 18 Uhr, im Tieranatomischen Theater, Philippstr. 12/13 (Berlin-Mitte).

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