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Afrika-Forscherin Paola Ivanov, Museumsdirektor Achilles Bufure und Provenienzforscherin Kirsten Weber-Sinn.
© Anthea Schaap

Humboldt-Forum: „Rückgabe? Wichtiger ist die geteilte Geschichte“

Gemeinsam ausstellen im Humboldt-Forum: Ein Gespräch mit der Afrika-Kuratorin Paola Ivanov, der Provenienzforscherin Kristin Weber-Sinn und dem tansanischen Museumsdirektor Achilles Bufure.

Das künftige Humboldt-Forum sucht neue Wege der Kooperation mit Wissenschaftlern und Experten aus den Herkunftsländern. Beispielhaft steht dafür die geplante Tansania-Ausstellung. Paola Ivanov, Afrika-Kuratorin des Ethnologischen Museums, arbeitet dabei Hand in Hand mit der Provenienzforscherin Kristin Weber-Sinn und mit Achilles Bufure, Direktor des National Museum and House of Culture in Dar Es Salaam, der tansanischen Hauptstadt. Zu ihrer Arbeit erschien die dreisprachige Publikation „Humboldt Lab Tanzania. Objekte aus den Kolonialkriegen im Ethnologischen Museum, Berlin – Ein tansanisch-deutscher Dialog“ (Reimer Verlag, 59 Euro).

Wie kam es zur Kooperation mit dem National Museum von Tansania?

ACHILLES BUFURE: Wir wurden vom Ethnologischen Museum eingeladen, am Humboldt Lab Tanzania teilzunehmen, einer Forschung und einem Workshop vor Ort, das in eine Ausstellung in Dar Es Salaam mündete. Aus Forschung, Workshop, Ausstellung und den Diskussionen entstand schließlich ein Buch.

KRISTIN WEBER-SINN: Durch das Humboldt-Lab haben wir enge Beziehungen zum National Museum of Tanzania und zur Universität von Dar Es Salaam geknüpft. Unsere künftige Zusammenarbeit wurde jeweils mit einem „Memorandum of Understanding“ untermauert. Auch die Ergebnisse der Provenienzforschung fließen ins Ausstellungskonzept im Humboldt-Forum ein.

Was genau wollen Sie im Humboldt-Forum zeigen?

PAOLA IVANOV: Wir stellen die Geschichte des Landes ab etwa 1000 nach Christus dar. Kilwa im Süden Tansanias war schon eine große Handelsstadt, als Berlin noch aus Wasser und Sand bestand. In Europa ist kaum bekannt, dass es in Tansania einen transkontinentalen Handel gab mit Verbindungen im ganzen Indischen Ozean bis nach China und Südostasien, aber auch in die mediterrane Welt hinein. Es gibt nicht nur eine Opfergeschichte zu erzählen.

BUFURE: Die Deutschen sind vor allem an ihrer Kolonialzeit interessiert, aber Tansania hat eine sehr viel längere Geschichte – ohne die Deutschen. Wir wollen nicht darauf reduziert werden.

Im Austausch. Paola Ivanov, Achilles Bufure und Kirsten Weber-Sinn erforschen die Herkunft von Kriegstrophäen – etwa eines Beutels mit Medizinobjekten.
Im Austausch. Paola Ivanov, Achilles Bufure und Kirsten Weber-Sinn erforschen die Herkunft von Kriegstrophäen – etwa eines Beutels mit Medizinobjekten.
© Anthea Schaap; Martin Franken, SMB/SPK, 2017 (3)

Ihr erstes gemeinsames Projekt galt der Herkunftsgeschichte eines Medizinbeutels und anderen Objekte, deren Provenienz besonders brutal ist.

IVANOV: Weil die koloniale Eroberung des heutigen Tansania sehr brutal war. Der Beutel mit medizinischen Objekten, die Große Trommel, die Metallschale sind Trophäen. Der Beutel stammt aus dem Maji-Maji-Krieg zwischen 1905 bis 1907 im Süden des einstigen Deutsch-Ostafrika, bei dem die deutschen Truppen extrem gewaltsam vorgingen. Sie setzten ganze Landstriche in Brand, Menschen starben nicht nur im Krieg, sondern auch an Hunger und Krankheiten. Dieser Krieg war ein weitreichender Widerstandsakt gegen die Unterdrücker und spielte eine wichtige ideelle Rolle bei der Staatsgründung Tansanias. Der Raub von Trommeln war typisch für die koloniale Eroberung, denn sie sind oft Teil der politischen Macht. Ohne Trommel konnte ein Herrscher nicht inthronisiert werden.

Und welchen Wert hat die Metallschale?

WEBER-SINN: Sie gehörte ursprünglich Hassan bin Omari, einem mächtigen Händler, der sich gegen den Vormarsch der Deutschen wehrte, die den Handel in der südlichen Küstenregion in ihre Hände bekommen wollten. Seine Residenz wurde zerstört, er selbst später gehenkt. Die Schale war ursprünglich ein Talisman. Er diente bin Omari zum Schutz. Darauf steht, dass man die Feinde besiegen werde.

IVANOV: Mit Hilfe dieser Objekte lässt sich die deutsche Eroberung darstellen: die Bombardierungen und sogenannte Strategie der verbrannten Erde, die Verdrängung der Händler, am Ende die wirtschaftliche Ausbeutung und der Aufbau einer eigenen Administration.

Ist die Kooperation mit dem Ethnologischen Museum Berlins eine Premiere?

BUFURE: Nein, wir haben bereits als Leihgeber mit einem spanischen Museum für eine paläontologische Ausstellung zu Afrika als „Wiege der Menschheit“ zusammengearbeitet. Aber das war es dann. Ich hoffe, die Zusammenarbeit ist diesmal dauerhafter. Für uns ist bei diesem Prozess vor allem die öffentliche Bewusstmachung wichtig. Die Menschen sollen erfahren, was damals passiert ist. Bevor die Berliner Ethnologen mit den Objekten zu uns kamen, wussten wir nicht einmal mehr, dass sie existieren.

IVANOV: Mit Hilfe einer offenen Internet-Plattform wollen wir im Sinne eines „Shared Knowledge“ auch die zivile Gesellschaft und eine breitere Öffentlichkeit ansprechen. Die Ausstellung im Humboldt-Forum soll später in Dar Es Salaam zu sehen sein.

Und wie reagiert die Öffentlichkeit in Tansania auf diese Kooperation?

BUFURE: Bislang wird sie vor allem von Spezialisten wahrgenommen. Die Ausstellung in Dar Es Salaam hat eher ein kleinerer Kreis besucht.

Ist Restitution denn kein Thema?

BUFURE: Nein, es ist noch nicht in der großen Öffentlichkeit angekommen. In den Dahlemer Depots gibt es eine unglaubliche Fülle an Objekten aus Tansania. Es wäre schön, sie auch bei uns zu präsentieren. Das kann durchaus auch Forderungen nach Rückgabe auslösen.

Herrmann Parzinger, der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, hat Bereitschaft signalisiert, die Maji-Maji-Objekte zu restituieren. Wie stehen Sie dazu?

BUFURE: Warum werde ich nur immer wieder danach gefragt? Wir befinden uns am Anfang. Wir arbeiten gerade beispielhaft an einer Ausstellung, die zunächst im Humboldt-Forum und dann bei uns gezeigt wird. Das ist auch Diplomatie. Erst am Ende wird entschieden. Beide Seiten sollten „Ja“ oder „Nein“ sagen können. Ich behaupte ja nicht, dass ich die Objekte nicht mag. Aber für uns ist die geteilte Geschichte wichtiger. Die jüngere Generation in Deutschland und in Tansania soll die die Vergangenheit kennen.

Eine Amulettschale aus Tansania.
Eine Amulettschale aus Tansania.
© Anthea Schaap; Martin Franken, SMB/SPK, 2017 (3)

Es ist immer von „Shared Heritage“, von geteiltem Erbe, die Rede. Wie ist das praktisch umsetzbar?

WEBER-SINN: Das lässt sich an vielen Objekten darstellen – nicht nur an solchen, die ganz offensichtlich im Krieg erbeutet wurden. Wie reagierte zum Beispiel die afrikanische Bevölkerung darauf, dass bestimmte Objekte plötzlich so begehrt waren? Es gab einen regelrechten Markt, für den produziert wurde, um die Nachfrage unter anderem der europäischen Museen befriedigen zu können. Die mit den Objekten verbundenen Geschichten sind komplex. Der „Erbe“-Begriff engt da nur ein. Er führt in die falsche Richtung, denn dahinter steckt nationale Inanspruchnahme, der Besitz von Objekten, die Instrumentalisierung vermeintlich kultureller Identitäten. Wir müssen über die Objekte hinausdenken.

BUFURE: Und wir sollten es, wie gesagt, eher geteilte Geschichte nennen.

IVANOV: Ja, denn bei einer geteilten Geschichte werden die Objekte differenzierter eingebettet. So gab es zum Beispiel auch Gastgeschenke. Der Herrscher Mirambo etwa überreichte dem Deutschen Hermann von Wissmann, der vor der kolonialen Eroberung seine Residenz besuchte, Champagner und Dollars. Andere Objekte stammen wiederum aus dem Kongo. Sie kamen über tansanische Karawanen ins Land und wurden durch lokale Vermittler an die Deutschen weitergegeben. In diesen Objekten materialisieren sich die unterschiedlichen Verflechtungen.

BUFURE: Dafür ist die Schale von Hassan bin Omari ein gutes Beispiel. Sie ist aus German Silver gemacht, so heißt das Material. Aber sie stammt vermutlich aus Indien. Und auf der Schale finden sich schützende Koranverse in Arabisch. Tansania war ein globaler Player.

IVANOV: Der Austausch von Gütern, Menschen, Ideen ist Teil der Menschheitsgeschichte. Die Idee vom isolierten Afrika war ein kolonialer Gedanke.

Bei der Zusammenarbeit mit Forschern der Herkunftsländer ist immer vom Austausch auf Augenhöhe die Rede. Ist das realistisch, wenn deutsche Geldgeber wie etwa die Bundeskulturstiftung die Projekte finanzieren?

BUFURE: Warten Sie ab und schauen Sie es sich an, wenn es so weit ist im Humboldt-Forum.

WEBER-SINN: Es gibt immer Hierarchien. Das Beste ist, sie in der Forschung und den Ausstellungen zu reflektieren und damit transparent zu machen.

IVANOV: Wir sind uns dessen bewusst. Ethnologie beginnt mit Selbstreflexion, das haben wir schon auf der Universität in den Achtzigerjahren gelernt. Der Kolonialismus ist keinesfalls überstanden.

Wie meinen Sie das?

IVANOV: Am deutlichsten zeigt sich das im Rassismus, der sich gerade heute wieder in unserer Gesellschaft destabilisierend auswirkt. Nehmen Sie nur die Konflikte um die sogenannten Migranten. Außerdem dauern die asymmetrischen ökonomischen, politischen Beziehungen an. Die europäische Union macht Afrika immer noch Vorschriften. Unsere Gesellschaften prägt bis heute, dass damals Menschen getötet wurden und die Kultur unterdrückt wurde. Es geht nicht um Schuld, sondern um Reflexion. Wie im 19. und 20. Jahrhundert schätzt man in Europa noch heute eher die Kunst Afrikas und weniger die Menschen.

Eine Trommel aus Tansania.
Eine Trommel aus Tansania.
© Anthea Schaap; Martin Franken, SMB/SPK, 2017 (3)

Wie gehen Sie bei dieser ganzen Thematik mit Ihren Gefühlen um, mit der Scham, dem Zorn?

WEBER-SINN: Mich macht meine Arbeit häufig ungeheuer wütend, denn es gibt noch immer Bezüge in die Gegenwart: Formen des Kolonialismus, den Rassismus, das Sprechen über die vermeintlich „Anderen“. Alles wirkt zutiefst in unsere Gesellschaft hinein. Genau diese Verbindungen wollen wir sichtbar machen – eine schwierige Aufgabe, wie schon die Debatte um das Humboldt-Forum zeigt.

BUFURE: Mir als Wissenschaftler geht es auch um Details bei den Objekten. Manche Informationen sind korrekt, andere fehlen. Das ist bezeichnend. Zum Beispiel stand auf der ersten Museumskarteikarte zur Erfassung der Metallschale als Information „sinnlose Zeichen“, weil die Kuratoren damals die Koran-Verse nicht entziffern konnten. Dahinter steckt Dummheit und Verachtung. Nicht nur die Gewalt, auch die Ignoranz macht einen wütend.

Das Humboldt-Forum steht unter Druck wegen verschleppter Provenienzforschung. Wie wollen Sie die zahllosen Objekte überprüfen?

IVANOV: Ganz einfach: mehr Geld, mehr Forschung. Aber all das sollte kooperativ geschehen. Es reicht nicht, in die kolonialen Archive zu gehen. Darin besteht der Unterschied zur NS-Raubkunst: Die Objekte müssen in einen gemeinsamen Prozess eingebracht werden.

WEBER-SINN: Bei den mehr als zehntausend Objekte aus dem heutigen Tansania müssen wir uns fragen: Was wollen wir erreichen? Alles zack-zack-zack innerhalb von fünf Jahren abarbeiten? Den Besitz legitimieren oder eben nicht? Wir sollten uns zeitlich nicht unter Druck setzen lassen. Kooperative Provenienzforschung ist ein Prozess. Natürlich brauchen wir mehr Ressourcen. Wir müssen uns mit Museen in ganz Europa austauschen, um zu wissen, was sich dort in den Sammlungen befindet. Und wir sollten auch die Museen in den afrikanischen Ländern und deren Sammlungen einbeziehen. Es geht um mehr als nur um unsere Stücke.

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