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Von den bestbezahlten Professuren sind in der Medizin nur 14 Prozent mit Frauen besetzt – und das, obwohl unter den Studienanfängern noch 67 Prozent Frauen sind. Gerade die Chirurgie gilt als Fach mit einer großen Machokultur.
© imago/Westend61

Sexismus in der Medizin: „In der Klinik werden Frauen nicht ernstgenommen“

In der Medizin ist es für Frauen besonders schwer, in Spitzenpositionen zu gelangen. Das liegt an den überkommenen Geschlechterbildern in dem Fach - und an offenem Sexismus.

Bereits in den ersten Semestern ihres Medizinstudiums kam für Charlotte Hoffmann die Ernüchterung. Mit ihr in den Hörsälen saßen hauptsächlich Frauen. Doch die, die Vorlesungen und Seminare hielten, waren fast alle Männer. „Das war frustrierend“, sagt Charlotte Hoffmann (Name geändert), die inzwischen im zwölften Semester Medizin studiert. „Man kommt als junge Frau mit der Vorstellung an die Uni, dass man alles werden kann, was man will. Und dann haben fast nur Männer Führungspositionen.“ Das schränke einen in der Vorstellung ein, was man als Frau in der Medizin erreichen könne und bremse einen von Anfang an aus.

Charlotte Hoffmanns Eindruck aus dem Studium spiegelt sich in aktuellen Statistiken wider. Im Wintersemester 2016/2017 waren dem Statistischen Bundesamt zufolge deutschlandweit 61 Prozent der Studierenden im Fach Medizin Frauen. Bei den Studienanfängern im ersten Hochschulsemester waren es zur selben Zeit sogar fast 64 Prozent.

Viele Frauen studieren Medizin - aber nur wenige bekommen eine Professur

Dass viele Frauen Medizin studieren, ist dabei keine neue Entwicklung: Knapp 47 Prozent der Ende 2017 berufstätigen Ärzte waren laut der Bundesärztekammer weiblich. Doch Frauen in medizinischen Führungspositionen sind noch immer eine Seltenheit. Nur gut 21 Prozent der Professuren in der Humanmedizin und den Gesundheitswissenschaften waren dem Statistischen Bundesamt zufolge in Deutschland 2016 mit Frauen besetzt. Betrachtet man die am besten bezahlten W3- und C4-Professuren betrug der Anteil von Frauen 2016 nur etwas weniger als 14 Prozent. Das Geschlechterverhältnis kehrt sich in der Medizin dabei erst bei den Habilitationen um: Noch bei den Promotionen lag 2016 der Anteil von Frauen bei gut 59 Prozent, der an Habilitationen jedoch nur bei knapp 26 Prozent.

„Wir verlieren die gut ausgebildeten Frauen in der Qualifikationsphase vor der Habilitation“, sagt Christine Kurmeyer, Zentrale Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte der Berliner Charité. „Diese Phase fällt in die Rushhour des Lebens, in der Familienplanung oft eine Rolle spielt.“ Medizinerinnen, die habilitieren wollten, sähen sich häufig einer Vierfachbelastung ausgesetzt: Neben Lehre, Forschung und Krankenversorgung übernähmen sie oft noch familiäre Verantwortung. Die langen Arbeitszeiten und Schichtdienste im Krankenhaus seien dabei nicht leicht mit einem Familienleben vereinbar.

Im Studium werden viele Frauen von vorneherein entmutigt

Statt junge Medizinerinnen in ihrem Wunsch nach Karriere und Familie zu unterstützen, werden sie häufig von vorneherein entmutigt: „Während des Medizinstudiums bekommt man immer wieder vermittelt, dass man sich als Ärztin zwischen Kindern und Karriere entscheiden muss und nicht beides haben kann“, sagt Charlotte Hoffmann. Das möchte Christine Kurmeyer ändern: „Wir müssen Frauen Mut machen und sie bei ihrer Karriere institutionell fördern.“ An der Charité gibt es deshalb nicht nur ein Familienbüro, Kindertagesstätten mit langen Öffnungszeiten und eine Notfall-Kinderbetreuung, sondern auch Stipendien und Mentoringprogramme speziell für Nachwuchswissenschaftlerinnen. Seit 2007 unterstützt beispielsweise die Lydia-Rabinowitsch-Förderung promovierte und habilitierte Forscherinnen beim Wiedereinstieg, nachdem sie ihre wissenschaftliche Karriere aus familiären Gründen unterbrochen haben. Denn nach wie vor nehmen hauptsächlich Medizinerinnen eine familiär bedingte Auszeit, wie eine Statistik der Bundesärztekammer zeigt: Knapp 98 Prozent des ärztlichen Personals, das im Jahr 2017 in Elternzeit war, waren Frauen.

„Flexiblere Arbeitszeiten, Job-Sharing-Modelle und Teilzeitstellen müssen in der Medizin selbstverständlicher werden – und zwar für Männer und Frauen“, fordert Barbara Schmeiser. Sie macht gerade ihren Facharzt in Neurochirurgie an der Universitätsklinik Freiburg und forscht dort auch. Die starren Strukturen im Klinikalltag erschwerten Ärztinnen den Wiedereinstieg nach einer Schwangerschaft. Nicht selten bedeute diese noch immer das Ende der wissenschaftlichen Karriere. „Das ist eine Ressourcenverschwendung von hochqualifizierten Frauen, die gerne weiterarbeiten und forschen würden“, sagt Schmeiser. Neben ihrer Arbeit engagiert sie sich seit Jahren im Ärztinnenbund, dessen Vizepräsidentin sie inzwischen ist: „Frauen sehen sich in der Medizin speziellen Problemen gegenüber. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns vernetzen und uns gegenseitig unterstützen.“

Sexistische Sprüche, chauvinistisches Verhalten

Doch diese Karrierehürden sind nur die Spitze des Eisberges: Sexistische Sprüche und chauvinistisches Verhalten von Kollegen und Vorgesetzten sind für viele Medizinerinnen trauriger Alltag. „Das Klinikum als Institution hat über Jahrhunderte eingeschriebene Geschlechterbilder – der Mann ist der Halbgott in Weiß, die Frau die pflegende Dienerin“, bestätigt Christine Kurmeyer. „Man merkt bei der Arbeit im Krankenhaus sehr schnell, dass man als Frau nicht ganz ernst genommen wird. Ich weiß gar nicht, wie häufig ich schon von Ärzten ,Kleine’ genannt wurde“, sagt die Medizinstudentin Charlotte Hoffmann. Doch dabei bleibt es nicht immer: „Einmal hat mir ein Arzt ,Popoklatscher’ als Strafe angedroht.“ So etwas passiere männlichen Kommilitonen nicht.

Gerade die chirurgischen Fächer gelten noch heute als Männerdomäne, in der eine gewisse „Machokultur“ herrscht. Das kann Juliane Hein (Name geändert), Medizinstudentin im elften Semester, aus eigener Erfahrung bestätigen. Lange Zeit wollte sie Unfallchirurgin werden, doch das Arbeitsklima in dem Fachgebiet hat sie schließlich von dem Wunsch Abstand nehmen lassen. „Als Frau in der Unfallchirurgie wird dir permanent vermittelt, dass du nicht so gut sein kannst wie ein Mann“, sagt Juliane Hein. Hinzu komme, dass man als junge Frau ständig den Flirtversuchen von Vorgesetzten ausgesetzt sei. Um in diesem Umfeld zu bestehen, müsse man entweder mitspielen und mitflirten oder andauernd austeilen und selbst „machomäßig“ auftreten. Beides kommt für Juliane Hein nicht infrage, deshalb möchte sie sich jetzt in einem anderen Fachgebiet spezialisieren: „Ich glaube, dass es vielen angehenden Ärztinnen ähnlich geht. Den chirurgischen Fächern geht da ein großes Potenzial an qualifizierten und ambitionierten Frauen verloren.“

„Einer der Professoren fragte mich, ob meine Lippen aufgespritzt seien“

Nicht nur im Klinikalltag, sondern auch im Wissenschaftsbetrieb haben junge Medizinerinnen mit Sexismus zu kämpfen. Juliane Hein forscht selbst und nimmt an wissenschaftlichen Kongressen teil. Auch dort sind Frauen häufig in der Minderheit – sowohl als Teilnehmerinnen als auch als Referentinnen. Als Hein auf einem dieser Kongresse ihre Arbeit vorstellte, kommentierten die anwesenden Professoren beim anschließenden Empfang nicht ihren Vortrag, sondern ihr Aussehen. „Mir wurde nur gesagt, wie hübsch ich auf dem Podium ausgesehen hätte“, sagt Hein. „Einer der Professoren fragte mich, ob meine Lippen aufgespritzt seien.“ Es sei unglaublich enervierend, als Frau immer wieder auf sein Äußeres reduziert zu werden und nicht als fachlich kompetent wahrgenommen zu werden.

Veranstaltet werden die Kongresse meist von den wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften. In diesen Gesellschaften werden nicht nur wichtige berufliche Netzwerke geknüpft, sondern von ihnen werden außerdem zukunftsweisende Rahmenregelungen für das Fachgebiet wie Leitlinien zur Behandlung von Patienten erarbeitet. Auch die Vorstände der Fachgesellschaften sind stark von Männern dominiert. So sitzt beispielsweise zurzeit keine einzige Frau in den Vorständen von zwei der größten Gesellschaften, der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie und der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM). Und selbst wenn Frauen Mitglieder des Vorstands sind, haben sie dort selten den Vorsitz. Das gilt auch für Fachbereiche, die seit Jahrzehnten von Frauen dominiert sind, wie Frauenheilkunde und Geburtshilfe: 2016 wurde mit Birgit Seelbach-Göbel die erste Frau an die Spitze der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe gewählt.

Chefärzte ziehen sich Nachfolger wie Kronprinzen heran

„Es wäre natürlich schön, wenn es mehr Frauen in medizinischen Führungspositionen gäbe“, sagt Ulrich Fölsch, emeritierter Professor für Innere Medizin an der Universitätsklinik Kiel und Generalsekretär der DGIM. Als hauptsächlichen Grund für den geringen Anteil von Ärztinnen in leitenden Funktionen sieht er allerdings nicht schlechte Rahmenbedingungen. „Frauen haben aus nachvollziehbaren Gründen eine striktere Vorstellung von der Work-Life-Balance als Männer“, sagt Fölsch. Sie seien oft nicht im gleichen Maße wie Männer dazu bereit, sich in die Arbeit einzubringen.

Das sieht Gabriele Kaczmarczyk anders. Die Anästhesiologin und derzeitige Gastprofessorin am Institut für Medizinische Soziologie der Charité kämpft seit Jahren für mehr Frauen in medizinischen Führungspositionen: „Habilitierte Frauen stoßen in der Medizin auch heute noch an eine gläserne Decke. Ich habe jahrelang in Berufungskommissionen miterlebt, dass bei gleicher Qualifikation einer Bewerberin und eines Bewerbers im Zweifelsfall meist der Mann eingestellt wird.“ Chefärzte und andere Führungskräfte zögen sich zudem ihre Nachfolger wie Kronprinzen heran und protegierten sie nach Kräften. „Sie suchen dabei Nachfolger, in denen sie sich wiedererkennen können. Das sind nun einmal meistens jüngere männliche Kollegen“, sagt Kaczmarczyk. Um diese Strukturen zu durchbrechen, hat sie 2012 die Initiative ProQuote Medizin mitbegründet. Gemeinsam mit inzwischen knapp 1000 Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern fordert Kaczmarczyk bis Ende 2018 eine Quote von 40 Prozent und bis 2023 von 50 Prozent Frauen in medizinischen Führungspositionen wie Klinikdirektionen und unabhängigen Abteilungsleitungen. „Diese Ziele werden höchstwahrscheinlich nicht erreicht werden können“, sagt Kaczmarczyk. „Trotzdem ist es wichtig, dass wir weiterkämpfen, damit es zukünftige Generationen von Medizinerinnen leichter haben.“

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