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Die Berlin Science Week trommelt für die Wissenschaft. Hier 2019 im Naturkundemuseum. 
© Janine Schmitz/photothek.net/Promo

Weltgipfel der Spitzenforschung: Im virtuellen Think Tank

Die Berlin Science Week ist mit einer Vielzahl an Angeboten gestartet. Parallel dazu sucht die Falling Walls Conference nach dem Durchbruch des Jahres. 

So einfach war es noch nie, sich mitten in die wissenschaftlichen Diskussionen dieser Stadt mitsamt ihren globalen Verflechtungen einzuklinken. Pandemie bedingt findet die am Sonntag gestartete Berlin Science Week nahezu komplett virtuell statt (bis 10. November). Die Vorträge sind im Netz für jeden live zu sehen, eine Beteiligung der Zuhörer ist möglich (unter https://berlinscienceweek.com/de/). Über die Hälfte der Events soll auch nach der Berlin Science Week in einer Mediathek verfügbar sein. 

Extremer Standpunkt zur Mehrfachkrise

Die ersten beiden Tage setzten bereits nachdrückliche Akzente: Der schwedische Klimaaktivist und Humanökologe Andreas Malm stellte am Sonntag seinen recht extremen Standpunkt zur aktuellen Mehrfachkrise vor. 

Die Pandemie habe verständlicherweise sehr schnelle Reaktionen von Politik und Gesellschaften auf den Plan gerufen, während in der Klimakrise seit gut 30 Jahren eine ausreichende Reaktion der Staatengemeinschaft auf sich warten lässt. Trotz der hohen Klimaziele der großen Gipfel ist die von vielen Wissenschaftlern geforderte grundlegende Transformation in eine CO2-neutrale Zukunft bislang ausgeblieben.

Die Wut auf die Straße bringen

Malm hat sich Gedanken darüber gemacht, warum das so ist, und was daraus folgt. Für den Schweden, der im Lockdown-Frühjahr als Gastforscher am Center for Humanities und Social Change in Berlin war, gibt es nur eine wirkliche Antwort: Die aktuell durch die Coronakrise gleichsam paralysierte soziale Bewegung für Klimaschutz müsste – ähnlich wie die Black-Lives-Matter-Bewegung - jetzt trotz Pandemie-Beschränkungen auf die Straße gehen. 

Und zwar nicht durch Angst getrieben, sondern durch Wut. Nur so lasse sich ein umgreifender Wandel der nach wie vor auf fossilen Brennstoffen basierenden Weltwirtschaft hin zu erneuerbaren und nachhaltige Energieformen anschieben.  

Malm hat gerade seinen Essay „Kilma/x“ veröffentlicht, geschrieben in Berlin in den Wochen des ersten Lockdowns. Warum die Staaten des globalen Nordens angesichts der Covid-19-Pandemie so entschlossen handelten und im Hinblick auf die Erderwärmung immer noch nichts tun, liegt für Malm vor allem auch daran, dass man bei Covid-19 mit vorübergehenden Maßnahmen rechnet, während die Klimakrise eine nachhaltige und permanente Änderung grundlegender wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhänge erfordere. 

Das Ziel von Politik und Gesellschaften sei beim Klima wie auch bei Corona „business as usual“ . Doch genau das sei die Crux: was bei Corona Hoffnung stifte, sei in Sachen Klima eine Katastrophe. Als im Lockdown keine Flugzeuge mehr am Himmel waren und die Shoping-Malls dicht gemacht hatten, sei deutlich geworden, welche Veränderungen letztlich auch für das Klima notwendig werden könnten. 

Wichtig ist es Malm auch, die Verbindung von Covid-19 mit der Klimakrise zu sehen. „Die Pandemie ist hybrid, sie infiziert Menschen, ist aber auch vom Menschen selbst getrieben", sagt der Humanökologe. Das Überspringen von Viren von Wildtieren auf den Menschen werde befördert durch die Verknappung des Lebensraums der Tiere. 

Hintergrund sei die Abholzung der Wälder, was wiederum für Fleisch, Soja, Palmöl, Kaffee und Kakao geschehe - hauptsächlich für den Markt im „weißen Norden", der bislang von den Auswirkungen des Klimawandels eher verschont geblieben ist. Und während die großen Ölfirmen weiterhin auf fossile Energien setzen würden, zeige sich in der Arktis, dass durch Auftauen von Permafrostböden der Eintrag des starken Treibhausgases Methan in die Atmosphäre  gegenwärtig bereits begonnen habe. Ein Prozess, der die Erderwärmung weiter anheizen dürfte. „Das darf so nicht weitergehen“, mahnt Malm.  

Spitzenforschung live erleben

500 Vortragende auf 200 Veranstaltungen - es ist das größtes Programmangebot seit Gründung der Berlin Science Week. Und diesmal kommt die Spitzenforschung über das Internet direkt zu ihrem Publikum. Berlins Wissenschaftssenator und Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) spricht von einem einmaligen Angebot: „Gerade in diesen Zeiten wird deutlicher denn je, wie wichtig der wissenschaftliche Austausch ist“. 

Es ist ein großer Think Tank: Für eine Woche wird der Fokus in Berlin auch für die Öffentlichkeit auf weltweite Spitzenforschung gelegt, so zumindest die Erwartung  des Koordinators der Berlin Science Week Jürgen Mlynek. „Ein World Science Summit, wir versuchen einen Weltgipfel der Forschung und Innovation in Berlin zu etablieren“, sagte Mlynek.

Auf der Berlin Science Week 2019. 
Auf der Berlin Science Week 2019. 
© Janine Schmitz/photothek.net/Promo

Ein Fixpunkt in der Flut der Veranstaltungen wird täglich um 13 Uhr Berliner Zeit gesetzt: 15 Minuten „Daily Highlights“  ist ein Panel zur Orientierung, was auch nötig ist. Geht es doch um ein extrem breites Spektrum an Themen: von Highperformance Computing und Quantenforschung über Fragen der Forschung zu Covid-19, Stadtentwicklung, Kommunikation bis hin zu Umweltforschung, der Verquickung von Wissenschaft und Kunst oder auch historische Themen.

Eine große Chance sieht Mlynek darin, dass man auch dort reinschauen könne, worin man sich gar nicht auskennt. Von einem Thema lässt sich im Handumdrehen zum nächsten skippen - ohne dass man dafür einen Hörsaal wechseln müsste.

So erfährt man etwa wie am Teilchenbeschleuniger Bessy II in Berlin-Adlershof an revolutionären Materialien zur Energiespeicherung gearbeitet wird, während man sich eigentlich gerade auf dem Weg zu einer Lesung von Ludwig Theodor Heuss zusammen mit Tagesspiegel-Autor Bernhard Schulz befindet. 

Sie erzählen die dramatische Geschichte der Berliner Reformpädagogin Annemarie Wolff-Richter, der mit Teilen ihres Kinderheims und ihrer Tochter die Flucht vor den Nazis gelang, bevor sie im kroatischen KZ Jasenovac ermordet wurde. Sie stehe für das Schicksal von Menschen, die unter der nationalsozialistischen Herrschaft trotz Verfolgung nach humanitären Grundsätzen lebten und wirkten.

Durchbruch des Jahres gesucht

Eingebettet in die Science Week findet die Falling Walls Conference statt. Aus weltweit über 900 Nominierungen werden 600 Finalisten ausgewählt, von denen die Gewinner am Tag des Mauerfalls am 9. November präsentiert werden. Es ist die Suche nach dem  Durchbruch des Jahres.  

„Unter dem Überbegriff der ,fallenden Mauern‘ wollen wir der Welt klar machen, dass die Wissenschaft dafür steht, Mauern abzubauen“, sagte Jürgen Mlynek, der auch Kuratoriumsvorsitzender der Falling Walls Foundation ist. Die Videos der Finalisten sind vorab online zu sehen (unter www.falling-walls.com/2020).

[Das digitale Magazin zur Berlin Science Week: themenspeziale.tagesspiegel.de/science-week-2020]

Eine Empfehlung noch für diese Woche: Welchen Einfluss die sozialen Netzwerke auf die Gesellschaft haben, wird der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar zusammen mit dem Videoblogger Rezo am 5. November diskutieren (20 Uhr). 

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