Anbauverbot für Gentech-Pflanzen: Im Keim erstickt
EU-Staaten können gentechnisch veränderte Pflanzen künftig verbieten. Forscher kritisieren diese Politik.
Auf deutschen Äckern wird es wohl auch in Zukunft keine gentechnisch veränderten Pflanzen (GVO) geben. Mitte Januar stimmte das Europäische Parlament für eine „Opt-out“-Klausel, die es jedem EU-Land erlaubt, GVO-Anbau zu verbieten, selbst wenn die Pflanzen eine EU-Zulassung haben. Die Regierungskoalition hat schon signalisiert, dass Deutschland von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wird. Die Wissenschaftsorganisationen in Deutschland kritisieren die Entscheidung jetzt und weisen darauf hin, dass es in Zukunft schwieriger sein wird zu definieren, worin der Unterschied zwischen einer gentechnisch veränderten und einer „natürlich“ gezüchteten Pflanze besteht.
Nationales Anbauverbot bricht europaweite Blockade
„Nationale Anbauverbote, die ohne fundierte wissenschaftliche Basis ausgesprochen werden können, sehen wir sehr kritisch“, sagt Bernd Müller-Röber vom Biologen-Dachverband Vbio. Bei allem Verständnis dafür, dass Politik „emotionale Meinungen und subjektiv empfundene Ängste der Wähler“ berücksichtigen müsse, wünsche sich der Verband „eine rationale, wissensbasierte und durchaus kritische Debatte um GVO-Pflanzen“. Das einzig Positive an der nationalen Regelung sei, dass damit eine europaweite Anbaublockade verhindert werde, sagt Müller-Röber. „Staaten, die GVO positiv gegenüberstehen, steht jetzt die Möglichkeit des Anbaus offen.“ Mitgliedstaaten, die keine Gentech-Pflanzen im eigenen Land wollen, müssen ihre Blockade nun nicht mehr auf EU-Ebene durchsetzen. In den letzten Jahren haben Spanien, Portugal, Rumänien, Tschechien und die Slowakei GVO-Anbau zugelassen.
Diese „Wahlfreiheit“ sollten auch die einzelnen Bundesländer in Deutschland haben. Dafür plädieren neben dem Vbio auch die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). „Ein bundesweit geltender Opt-out kann die spezifischen Bedingungen für ein Anbauverbot nicht hinreichend begründen“, sagte ein BMBF-Sprecher dem Tagesspiegel. Laut Opt-out-Klausel müsse ein Mitgliedsstaat regionale und lokale Gegebenheiten für ein Verbot benennen. Damit widerspricht das CDU-geführte BMBF dem vom Koalitionspartner verantworteten Bundesumweltministerium, das ein für die ganze Bundesrepublik geltendes GVO-Verbot durchsetzen will.
Forschung soll "unberührt" bleiben
Ob nun regional oder national begründet – ein Anbauverbot werde sich nicht nur auf die Äcker, sondern auch auf die Labors in Deutschland auswirken, befürchten die Wissenschaftsorganisationen. Zwar weisen sie auf den jüngsten Bundestagsbeschluss zur „Grünen Gentechnik“ hin. Darin heißt es, dass Forschungsvorhaben vom Anbauverbot „unberührt“ bleiben sollen: „Die Rahmenbedingungen für eine öffentliche, wirkungsvolle und unabhängige Forschung zu gentechnisch veränderten Organismen werden die Koalitionsfraktionen auch weiterhin in Deutschland gewährleisten.“ Allerdings sei unklar, wie das in der Praxis sicherzustellen ist, sagt Müller-Röber. „Darauf hat der Vbio noch keine überzeugende Antwort von der Politik erhalten.“
Welche Genveränderung macht eine Pflanze zum GVO?
Außerdem schränke das Anbauverbot die Rahmenbedingungen für die Pflanzenforschung weiter ein, sagt Müller-Röber. „Jeder Wissenschaftler wird sich überlegen, ob er angesichts von ‚Feldbefreiern‘ Sicherheitsforschung noch außerhalb des Gewächshauses durchführen will.“ Das Anbauverbot macht gerade jene Sicherheitsforschung unmöglich, die Kritiker der Grünen Gentechnik als nicht ausreichend empfinden. „Für ein Land mit einer ausgeprägten Wissenschaftskultur wie Deutschland sollte es ein Anliegen sein, den offenen Fragen auch bei uns mithilfe der Forschung, einschließlich von Versuchen auf dem Feld, nachgehen zu können“, sagt ein BMBF-Sprecher. Werde in Deutschland jedoch die Forschung und Anwendungen der Grünen Gentechnik unterbunden, werde gleichzeitig die Chance vertan, den Umgang mit dieser Technologie mitzugestalten. „Ohne Anwendungsperspektive gibt es über kurz oder lang auch keine Forschung in Deutschland mehr“, sagt der BMBF-Sprecher. Angesichts dessen mag der Präsident der Leopoldina, Jörg Hacker, Nachwuchsforschern, die gentechnische Züchtungsforschung mit Freilandversuchen machen wollen, nicht mehr raten, ihre Karriere in Deutschland zu planen. „Dass die anwendungsbezogene Forschung fast ausschließlich im Ausland stattfindet, ist schon heute ein großer Nachteil für die deutsche Forschung“, zitiert Günter Stock, Präsident der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften aus dem „Gentechnologiebericht“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie.
Naturidentische Genveränderungen
Die Forschungsorganisationen kritisieren das Anbauverbot nicht allein aus Standesdünkel, sie bezweifeln dessen Sinn auch angesichts neuer Techniken. Denn mit Methoden des „Genome Editing“ können Gene einer Nutzpflanze genauso verändert werden, wie es auch zufällig in der Natur passieren kann. Damit könnten zum Beispiel vorteilhafte Genvarianten des wilden Weizens, etwa eine Pilzresistenz, im entsprechenden Gen des Zucht-Weizens eingestellt werden. Dabei wird kein artfremdes Erbgut in die Pflanze eingebracht, sondern lediglich eine „alte“ Genvariante wiederhergestellt, die im Verlauf von Jahrtausenden der Zucht verloren ging. Wären solche Pflanzen trotzdem GVO und einem Anbauverbot unterstellt?
Aus dem BMBF heißt es, Stellungnahmen der Zentralen Kommission für die Biologische Sicherheit seien so zu interpretieren, dass solche Genome-Editing-Pflanzen nicht als GVO im Sinne des Gentechnikgesetzes zu werten sind. Abgeschlossen sei die Diskussion über die Einordnung und Regulation dieser neuen Techniken jedoch noch nicht. Die Europäische Union berate darüber. Anti-Gentechnik-Aktivisten wie Christoph Then von „TestBiotech“ stufen die Verfahren schon jetzt wie altbekannte Genmanipulationen ein und wollen deren Produkte auch so reguliert sehen.
„Diese Methoden ermöglichen eine radikale Veränderung des Erbguts“, schrieb Then kürzlich im Fachblatt „Transkript“. „Eine unkontrollierte Markteinführung wäre unverantwortlich.“
Gegen eine angemessene Prüfung von Pflanzen, die zukünftig mittels Genome-Editing-Verfahren hergestellt werden, haben auch die Wissenschaftsorganisationen nichts einzuwenden. Doch sie plädieren dafür, die Pflanze als Entscheidungsbasis für oder gegen eine eingehende Prüfung heranzuziehen, nicht die Methode, mit der ins Erbgut eingegriffen wird. „Das Verfahren, das zur genetischen Anpassung eines Organismus eingesetzt wird, sollte grundsätzlich keine Rolle spielen“, sagt Vbio-Präsident Müller-Röber. Es sei unerheblich, ob eine genetische Anpassung mittels chemischer, physikalischer oder biologischer Verfahren erreicht wurde. „Sofern dabei eine Pflanze entsteht, die auch durch konventionelle Züchtung hätte entstehen können, wünschen wir uns, dass diese nicht kennzeichnungspflichtig ist“, sagt Stock. Denn in der konventionellen Zucht neuer Pflanzensorten wurden und werden per Chemie oder Bestrahlung abertausende Pflanzenvarianten erzeugt und (heutzutage mit molekularbiologischen Methoden) solche mit vorteilhaften Eigenschaften herausgesucht. Dabei entstehen deutlich mehr Veränderungen im Erbgut als bei gentechnischen Veränderungen mittels Genome Editing. Viele der gängigsten, „gentechnikfreien“ Obst- und Gemüsesorten in den Supermarktregalen sind so entstanden – auch die im Bioladen.
Stillstand im Erbgut
Für den Bundestagsabgeordneten René Röspel, der für die SPD im Bundestagsausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung sitzt, ist das jedoch „keine Rechtfertigung, um zu sagen, dass gezielte Eingriffe ins Erbgut wie mit Genome Editing deshalb besser sind“. Der Politiker will hingegen auch die klassischen Zuchttechniken künftig einer genaueren Prüfung unterziehen. „Ich finde, dass die nicht unproblematisch sind, weil da mit dem Schrotschuss-Verfahren im Erbgut eine Menge angerichtet wird, was sich kaum bewerten lässt.“
Kommt also nach dem Anbauverbot bald ein „Verbot“ jeglicher Genveränderungen – ob nun „natürlicher“ oder „gentechnischer“ Herkunft? Eine Art „genetisches Moratorium“? Die Natur kann sich genetischen Entwicklungsstillstand nicht leisten. Um sich gegen Pilze, Insekten oder andere Parasiten zu behaupten, braucht jedes Lebewesen stete Veränderungen im eigenen Erbgut. Der Mensch hat diesen Prozess seit Jahrtausenden durch gezieltes Züchten beschleunigt. Die Frage ist, ob er es sich langfristig leisten kann, die Sache nun wieder komplett der Natur zu überlassen.
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