Turners Thesen: Im Fall Holm hat die HU noch viel zu erklären
Die Humboldt-Universität hat in Sachen Andrej Holm viele Widersprüche zwischen auszuräumen, sagt unser Kolumnist George Turner, Wissenschaftssenator a.D.
Das Kapitel Staatssekretär Holm ist geklärt, das Kapitel Wissenschaftler Holm nicht. Zu viele Widersprüche traten zwischen Kür und Entlassung des Linken-Kandidaten auf. Die Humboldt-Universität hat ihrem wissenschaftlichen Mitarbeiter Andrej Holm gekündigt, weil er noch während seiner Kandidatur für das Amt des Staatssekretärs über seine Vergangenheit gelogen hat. Sein Interview in der „taz“ im Jahr 2007 wurde von seinen Anhängern als vorbildliche, freiwillige Offenbarung gepriesen.
Heute wissen wir: Er sagte die Unwahrheit. Warum hat sein Arbeitgeber damals nicht überprüft, was er über sich gesagt hat? Selbst Holms verharmlosende Darstellung seiner Stasi-Tätigkeit im Wachregiment widersprach seinen Angaben bei der Einstellung. Oder gilt bei Holm wie beim Ex-HU-Rektor Heiner Fink – die Hochschule wird nur tätig, wenn der Druck von außen größer ist als das innere Bedürfnis nach Vertuschen?
Auch bei der wissenschaftlichen Leistung Holms gibt es Fragen jenseits der von ihm selbst bekannten kognitiven Unfähigkeiten. Er vergisst seine mehrseitige, handschriftliche Selbstverpflichtung für die Stasi. Er weiß nicht mehr, was er überhaupt bei der Stasi gemacht hat – aber er erinnert, niemandem geschadet zu haben. Die Angaben von Holm in eigener Sache sind so unglaubwürdig, dass man sich fragen kann, wie diese Charaktereigenschaft an der Hochschule verborgen bleiben konnte.
Man wundert sich über Kollegen, die sich mit Holm solidarisieren
Der Wissenschaftler Holm sei fachlich hoch angesehen, heißt es immer wieder. Eine dreistellige Zahl von Wissenschaftlern hat sich sogar mit ihm solidarisiert. Man wundert sich, wie groß der Kollegenkreis ist, der Holms Darstellung zu beurteilen können glaubte, noch ehe sie unabhängig überprüft worden war, präfaktische Wissenschaft gewissermaßen. Ein Publizist machte sich die Mühe und gibt nicht nur die lobenden – immer anonymen – Kollegen des Soziologen wider, sondern las Holms Veröffentlichungen selbst: Götz Aly stößt auf Gesinnungen, die die Wirklichkeit lange widerlegt hat. Dazu Bekenntnisse gegen die parlamentarische Demokratie (wofür andere sich schon mal eine Überprüfung ob ihrer Verfassungstreue gefallen lassen mussten) und für die „Selbstermächtigung“ von Partikularinteressen. Immerhin passt dazu das alberne Ritual der Holm’schen Studenten, die keine aufrichtigen Dozenten fordern, sondern ihr Institut für einen vergesslichen Spitzel besetzen.
Mit der Kündigung von Andrej Holm hat die Selbstprüfung der HU erst begonnen.
Wer mit dem Autor diskutieren möchte, kann ihm eine E-Mail senden: george.turner@t-online.de