Praktisches Jahr in Corona-Zeiten: „Ich habe Angst, dass ich eine schlechter ausgebildete Ärztin werde“
Medizin-Studierende sollen bei der Bewältigung der Corona-Krise helfen. Doch einige fürchten Nachteile für ihre Ausbildung und ein „Hammerexamen“.
Eigentlich müsste Antonia den ganzen Tag am Schreibtisch sitzen und lernen. Aber sie kann nicht mehr. Die 26-Jährige studiert an der Uni Hamburg Medizin. Seit fünf Monaten bereitet sie sich an ihrem Wohnort Berlin auf das zweite Staatsexamen vor, das eigentlich im April stattfinden sollte. Jeden Tag war sie neun Stunden in der Bibliothek. Doch die Coronavirus-Epidemie hat sie und 4600 weitere Studierende in Ungewissheit gestürzt. „Wir hängen seit Tagen in der Luft“, sagt sie. „Es ist nicht klar, ob wir unser Examen in drei Wochen schreiben können oder nicht.“
Offiziell steht der Termin noch. Doch der zweite Teil der Ärzte-Prüfung wird voraussichtlich nicht planmäßig durchgeführt werden können. Ein Grund ist die Infektionsgefahr. Beim Examen sitzen oft weit mehr als 50 Menschen in einem Raum. Auch anderen Uni-Prüfungen droht die Absage. Für die jungem Mediziner ist die Lage aber komplizierter. Schnellt die Zahl der Coronavirus-Infizierten weiter in die Höhe, werden die Studierenden unter Umständen dringend in den Kliniken und ambulanten Einrichtungen gebraucht. Dann heißt es Einsatz an der Corona-Front statt theoretischer Prüfung.
Früher als geplant ins Praktische Jahr
Am Mittwoch hat der Bundestag ein von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vorlegten Gesetzesentwurf zum Schutz der Bevölkerung beschlossen, der dem Gesundheitswesen bei der Bewältigung der „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ helfen soll und dem Bund kurzzeitig weitreichende Kompetenzen einräumt. Zu den Maßnahmen zählt auch eine mögliche Änderung des Ablaufs des Medizinstudiums während der Krise. Statt in drei Wochen theoretisch geprüft zu werden, sollen die Studierenden früher als geplant in das Praktisches Jahr (PJ) starten, auch um bei der Behandlung von Corona-Patienten helfen zu können.
Das für im Frühjahr geplante Staatsexamen würde dann ins Jahr 2021 vorschoben. Die Studierenden fürchten ein sogenanntes „Hammerexamen“ – zweites und drittes Examen direkt hintereinander am Ende des ohnehin sehr fordernden PJs. Das für die Durchführung der Prüfung zuständige Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP) und der Medizinischen Fakultätentag (MFT) hatten diese Empfehlung bereits vor einer Woche an die Ministerien gegeben. Nun steht es so auch in Spahns Gesetzesentwurf. Am Freitag wird darüber im Bundesrat beraten.
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Viele Studierende sind außer sich. „Die mentale Belastung, die aktuell auf den ExamensanwärterInnen lastet, ist enorm“, sagt ein Sprecher der „Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland“ (bvmd). „Das PJ ist grundsätzlich schon anstrengend genug, psychisch und körperlich belastend, und in Zeiten von Corona gilt das umso mehr“, sagt bvmd-Sprecher Tim Schwarz. Auch die Bundesärtztekammer sieht die „enorme Mehrbelastung“ der Studierenden durch ein Hammerexamen im Anschluss an das PJ „sehr kritisch“, heißt in einer Stellungnahme von Dienstag.
Stattdessen fordern die Studierendenvertreter des bvmd, die zweite Staatsprüfung ersatzlos ausfallen zu lassen, wenn sie nicht wie geplant in drei Wochen stattfinden kann. Diese Lösung werde in Italien bereits praktiziert, sagt Schwarz. In dieser Krisensituation sei das die einzig faire Lösung.
„Ich habe Angst, dass ich eine schlechter ausgebildete Ärztin werde“
In den vergangenen Tagen haben Medizinstudierende aus ganz Deutschland Jens Spahn in Nachrichten und Kommentaren ihre Sorgen mitgeteilt. Er antwortete am Sonntag erst mal mit einer Instagram-Story: „Ich kann euch versprechen, das lösen wir (…) damit die, die mit anpacken wollen in dieser schwierigen Lage, das auch machen können und nicht immer dran denken müssen, was bedeutet das für mein Studium.“
Auch Studentin Antonia möchte helfen. Die 26-Jährige fragt sich aber auch, welche Auswirkungen die Coronavirus-Krise auf die Qualität ihrer Lehre und den Wunsch, später einmal als Anästhesistin zu arbeiten, haben könnte. „Wie soll ich denn in einem Jahr in die mündliche Prüfung über den klinischen Teil gehen, wenn ich in meinem PJ nur Atemmaschinen bedient und Corona-Abstriche genommen habe?“
Bedingungen des PJ schon ohne Coronavirus herausfordernd
Eigentlich hat Antonia Anästhesie als Wunschwahlfach gewählt. Sie befürchtet, dass dieses Fachgebiet nun zu kurz kommen könnte. „Ich habe keine Angst vor einer Infektion, sondern dass ich wegen Corona eine schlechter ausgebildete Ärztin werde“, sagt Antonia.
Die Bedingungen des Praktischen Jahres sind auch ohne Coronavirus schon herausfordernd genug: Vollzeit arbeiten und je nach Klinik ist das PJ oft schlecht oder gar nicht bezahlt. Krankheitstage müssen oft im Anschluss nachgearbeitet werden. In Zeiten von Corona wäre das ein Problem.
Die Studierenden-Vertreter hoffen nun doch noch auf eine Lösung. Am Dienstag hat sie das Bundesgesundheitsministerium um eine Stellungnahme gebeten. „Wir sind zuversichtlich, dass unsere Forderungen gehört werden“, sagt Schwarz.
Studentin Antonia hat sich nun wieder an den Schreibtisch gesetzt und lernt weiter – für den Fall, dass das Examen doch wie geplant im April stattfindet. „Ich muss etwas tun, sonst drehe ich durch“, sagt sie. Sie und ihre Kommilitonen bräuchten nun endlich Gewissheit.