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Unter Beschuss. Elizabeth Holmes, Gründerin und CEO des Tech-Startups "Theranos", wollte die Labordiagnostik revolutionieren. Nun wird die Genauigkeit der Bluttests engezweifelt.
© Mike Blake, REUTERS

Bluttests von Theranos: Hype gefährdet Menschenleben

Elizabeth Holmes wollte die Labordiagnostik revolutionieren, Investoren vertrauten ihren Versprechen blind. Doch Glaube an Lichtgestalten schadet der Medizin. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jana Schlütter

Die jüngste Milliardärin Amerikas und ihr Startup passen ins Silicon Valley. Mit 19 Jahren schmiss Elizabeth Holmes ihr Studium an der Universität Stanford hin, um mit dem Unternehmen Theranos die Labordiagnostik zu revolutionieren. Sie habe Angst vor Nadeln, erzählte sie gern. Sie sehe nicht ein, warum man für einfache Tests Röhrchen voller Blut aus der Vene braucht. Ein Tropfen aus der Fingerspitze sollte für Dutzende Analysen reichen, dank einer von ihr entwickelten Maschine. Die Ergebnisse könnten nicht nur an Ärzte, sondern per App direkt an Patienten verschickt werden. „Gesundheitsdaten, die zum Handeln befähigen, sind ein Menschenrecht“, heißt es auf ihrer Webseite.

Besser, schneller, billiger. Nicht nur Risikokapitalgeber, sondern auch die Drogeriekette Walgreens sprangen darauf an. Im Jahr 2014 wurde Theranos mit neun Milliarden US-Dollar bewertet, ein „Einhorn“ unter den Startups. Holmes gab in schwarzen Rollkragenpullovern Ted-Talks und wurde als „neuer Steve Jobs“ gefeiert.

Wann wird Hype kriminell?

Doch Einhörner gibt es nur im Märchen. 2016 steht die 32-Jährige vor einem Scherbenhaufen. Börsenaufsicht und Staatsanwaltschaft ermitteln. Die Laboraufsicht CMS droht nicht nur damit, die Theranos-Tests aus dem Leistungskatalog der Krankenversicherung Medicare und Medicaid zu streichen. Vielmehr könnte dem Labor im kalifornischen Newark die Lizenz entzogen und Holmes zwei Jahre für die Branche gesperrt werden.

Was ist passiert? Während der Markt glaubte, was er glauben wollte, und skeptische Stimmen aus der Wissenschaft ungehört verhallten, schlug eine Artikelserie des „Wall Street Journals“ wie eine Bombe ein. Bis zuletzt hatte das angeblich so akkurate und transparente Unternehmen versucht, die Veröffentlichung zu verhindern. Die PR-Abteilung mauerte monatelang. Als Dutzende Experten und ehemalige Mitarbeiter sich zu Wort meldeten, versuchte man, sie zu verunglimpfen. Schließlich fiel ein Heer hochkarätiger Anwälte in die Redaktion ein und drohte. Es würden Geschäftsgeheimnisse verraten! Man werde klagen! Nach fünf Stunden zogen sie ab. Das „Wall Street Journal“ ließ sich nicht beirren.

Bei Bluttests geht es um das Leben von Patienten

Seitdem schauen Medien und Behörden genauer hin. Das Labor in Arizona, das die Tests von Walgreens-Kunden auswertet, besitzt offenbar gar nicht die wundersame Technik. Vielmehr werden die Blutproben verdünnt, so dass herkömmliche Maschinen sie bearbeiten können. Mit sehr variablen Ergebnissen. Das Labor in Kalifornien, das 890 000 Bluttests pro Jahr analysiert, wird nachlässig geführt. Die CMS hat eine so lange Beschwerdeliste und so wenig Vertrauen in die Firma, dass Holmes nur eine Galgenfrist bleibt, um nachzubessern. Andere fragen sich, wann Hype kriminell wird.

Hype und Geheimniskrämerei sind nicht ungewöhnlich für Tech-Startups. Wer schnell viel Geld einwerben und die Konkurrenz ausstechen will, der lässt sich nicht in die Karten schauen, sondern sichert sich Patente und übertreibt. Wenn der Bullshit-Radar der Investoren dann nicht anspringt, baden sie es nur selbst aus. Bei Bluttests jedoch geht es um Menschenleben. Da hat der Glaube an eine Lichtgestalt nichts zu suchen.

Große Versprechen, keine Beweise

Es gab bei Theranos viele gute Gründe für Zweifel. Der Aufsichtsrat bestand bis vor wenigen Wochen nur aus fachfremden Prominenten wie Henry Kissinger. Wie sollen sie ihrer Kontrollfunktion nachkommen? Es gab keine einzige Präsentation auf Konferenzen, keine Veröffentlichung in Fachjournalen. Wie soll man ohne Daten wissen, ob die Testergebnisse genau und verlässlich genug sind, um danach zum Beispiel einen Blutverdünner zu dosieren? Und ob die „alten“ Tests nicht besser sind? Man kooperiere mit der Aufsichtsbehörde FDA, behauptet Theranos. Bisher hat die FDA aber nur einen einzigen Herpes-Test für gut befunden. Zudem ist schon die Geschäftsidee fragwürdig. Wer gesunden Konsumenten Bluttests anbietet, riskiert falsch-positive Ergebnisse. Die Folgen sind Angst, Überdiagnose und Überbehandlung. Außerdem lässt man sie mit Daten allein, die mitunter schwer interpretierbar sind.

Im August will Elizabeth Holmes nun erstmals bei einer Konferenz vor Fachleuten auftreten – falls ihr Unternehmen sich bis dahin nicht im freien Fall befindet. Was immer sie tut, es wird nun skeptisch beäugt. Dabei sollte das die Regel sein, erst recht in der Biotech-Branche. Außerordentliche Behauptungen erfordern außerordentliche Beweise.

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