Gescheiterte Vize-Wahl an der Humboldt-Uni: Humboldts Dominoeffekt
Die dritte von vier Vize-Kandidaten an der Humboldt-Universität tritt zurück. Ist die designierte Präsidentin Sabine Kunst schuld? Oder das Verfahren?
Die Wahl der Vizepräsidentin für Studium und Lehre an der Humboldt-Universität ist geplatzt. Die Politik-Professorin Julia von Blumenthal zog ihre Kandidatur am Dienstagfrüh unmittelbar vor der geplanten Abstimmung des Konzils zurück. Die Studierendenvertreter hätten beschlossen, sie nicht zu wählen, erklärte Blumenthal dem Konzil. Sie hätten dabei aber deutlich gemacht, dass sich der Beschluss nicht gegen ihre Person richtet. Vielmehr gehe es den Studierenden um die jüngsten Ereignisse, nach denen ihnen die gewünschte Auswahl zwischen zwei Bewerbern verwehrt war. „Ich respektiere die Position der Studierenden und trete daher nicht an“, sagte Blumenthal. Angesichts der „vielen guten Gespräche“ mit Vertretern aller Gruppen im Konzil, auch mit den Studierenden, will Blumenthal im nun nötigen zweiten Wahlverfahren aber wieder kandidieren.
Blumenthal war bei der Wahl von den Studierendenvertretern abhängig. Denn an der Humboldt-Universität muss der Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten für Lehre, anders als an den anderen Berliner Unis, mindestens eine studentische Stimme bekommen, um gewählt zu werden. Die Studierenden hatten im Vorfeld verdeutlicht, dass ihr Wunschkandidat der Amtsinhaber Michael Kämper-van den Boogaart ist. Kämper hatte seine Bewerbung aber am vergangenen Dienstag unter Protest zurückgezogen. Damit hatte er auf den Rückzug seines Kollegen Jürg Kramer von der Kandidatur um das Amt des Vizepräsidenten für Forschung reagiert. Kramer hatte der designierten Präsidentin Sabine Kunst „Parteinahme“ vorgeworfen, nachdem sie ihm gegenüber ihre „leichte Präferenz“ für seinen Mitbewerber, den Amtsinhaber Peter Frensch, bekundet hatte.
An der Humboldt-Universität sehnt man sich nach Ruhe
Unter den ursprünglich vier Kandidaten ist so ein Dominoeffekt ausgelöst worden. Nur noch Frensch hielt seine Kandidatur aufrecht und wurde am Dienstag auch gewählt: Von 57 Anwesenden stimmten 34 mit Ja, 21 mit Nein. Zwei Stimmen waren ungültig. Wäre Frenschs Gegenkandidat angetreten, hätte die Uni in die nötige inhaltliche Auseinandersetzung mit Frenschs Amtsführung einsteigen können, heißt es aus der Uni. Diese Chance sei vertan worden.
Ist Kunst an allem schuld? Hat sie, die doch einen kompromissbereiten Führungsstil angekündigt hatte, sich als Anhängerin einer konfliktträchtigen Top-down-Philosophie geoutet, als sie kurz vor der Wahl ihren Favoriten nannte? Oder haben Kramer und Kämper mit ihrem Rückzug überreagiert? Darüber wird an der HU diskutiert. Nach dem langen Streit mit dem Amtsinhaber Jan-Hendrik Olbertz sowie nach dem Reinfall mit dem plötzlich abgesprungenen Präsidentenkandidaten Martin Lohse sehnt die Uni sich nach Ruhe.
Das Wahlverfahren wirkt konfliktträchtig
Allerdings ist der Konflikt womöglich nicht allein durch das Verhalten der handelnden Personen heraufbeschworen worden. Vielmehr scheint er schon im Wahlverfahren angelegt. Hier scheint es einen Widerspruch zu geben: Einerseits soll der zukünftige Präsident/die zukünftige Präsidentin bei der Auswahl der Vizepräsidenten mitreden können, nämlich als Mitglied der Findungskommission. So steht es in der Verfassung der Humboldt-Universität. Entsprechend hatte das Kuratorium der HU die Wahl der Vizepräsidenten zeitlich hinter die Präsidenten-Wahl gelegt. Gleichzeitig wollte das Kuratorium dem Konzil, also dem Wahlgremium der HU, aber eine echte Auswahl anbieten. Also nominierte es jeweils zwei Kandidaten für die beiden Posten. Schon dieser Widerspruch – Kunst sollte Einfluss nehmen dürfen, während das Konzil eine echte Wahl haben sollte – scheint konfliktanfällig.
Womöglich haben das Kuratorium und das Konzil von Kunst aber erwartet, dass sie sich mit ihrer Präferenz zurückhält? Wenn ja: Durfte man das von ihr erwarten? Die zukünftige Präsidentin steht schon wegen der nächsten Exzellenzinitiative unter Erfolgsdruck – der Grund dafür, dass sie auf Kontinuität im Amt des Vizepräsidenten für Forschung wert gelegt und sich wegen dessen Erfahrung für den Amtsinhaber Frensch ausgesprochen hat.
Kunst habe den Kandidaten mit ihrer späten Entscheidung düpiert, heißt es
Der Mitbewerber Kramer sah das Rennen mit Kunsts Intervention für beendet an. Hätte er seine Kandidatur dennoch aufrechterhalten – Kunst wäre es ohnehin gelungen, hinter den Kulissen eine Mehrheit im Konzil für ihren Wunschkandidaten zu organisieren, davon sind manche an der HU überzeugt. Kramer wäre nur noch für den schönen demokratischen Schein angetreten, heißt es. Sein Rückzug habe Kunst also sicher nicht überrascht. Hätte Kunst ihre Neigung direkt nach der Anhörung der Kandidaten und noch vor der Nominierung geäußert, hätte sie Kramer mit ihrer späten Entscheidung nicht düpiert, wird gesagt.
Kunst sagt dazu auf Anfrage, sie habe sich nicht zu spät geäußert. Der Zeitablauf sei extrem eng gewesen. Nur drei Tage nach ihrer Wahl zur Präsidentin hätten die Anhörungen der Kandidaten im Kuratorium stattgefunden. Ihre Aussage im Anschluss daran, dass alle vier Kandidaten sehr geeignet seien, habe auch jetzt noch Bestand. Aber im Laufe weiterer Gespräche mit HU-Angehörigen und mit Blick auf die herannahende nächste Runde der Exzellenzinitiative habe sich bei ihr eine „leichte Priorität“ für den Amtsinhaber Frensch herausgebildet – die sie dem Kandidaten Kramer „mit offenem Visier“ kundgetan habe. Hätten sich die Konzilsmitglieder bei der Wahl aber für ihn entschieden, hätte sie dieses selbstverständlich akzeptiert, beteuert Kunst.
Weder der Vorsitzende des Kuratoriums noch der des Konzils wollen sich öffentlich äußern
Hätte man das Verfahren nicht besser gestalten können? Weder der Vorsitzende des Kuratoriums, Rolf Emmermann, noch der Vorsitzende des Konzils, Michael Seadle, wollen sich dazu öffentlich äußern.
Die Vorgänge werfen noch andere Fragen auf. An der Humboldt-Universität entscheidet allein das Kuratorium, wer zur Präsidentenwahl antreten darf – wenn auch über die Findungskommission Repräsentanten des Konzils in die Kandidatenwahl eingebunden sind. Ist es wirklich gut, der Basis im wesentlichen „top down“ Kandidaten zur Wahl vorzusetzen? Mit Kunst hat das Kuratorium dem Konzil schon zum dritten Mal eine Einerliste vorgelegt (nach Olbertz und Christoph Markschies). Sonst wäre Brandenburgs Wissenschaftsministerin wohl kaum zur Kandidatur bereit gewesen. Wegen der fehlenden Auswahl verlangte das Konzil nun zumindest eine echte Wahl bei den beiden Vizepräsidenten für Forschung und Lehre – die aber die designierte Präsidentin wenigstens zum Teil für sich beanspruchte.
An der FU und der TU werden Kandidaten nicht "von oben" übergeholfen
Auch an anderen Universitäten ist es üblich, dass der frisch gewählte Präsident einen Einfluss auf die Wahl der Vizepräsidenten nehmen darf. Dort, etwa an der Freien Universität und der Technischen Universität, gibt es darüber keine erkennbaren Spannungen mit dem Wahlgremium. Schließlich ist der Präsidentschaftskandidat nicht „von oben“, vom Kuratorium, bestimmt und dem Wahlgremium praktisch übergeholfen worden, wie es an der HU üblich ist, sondern aus der Mitte der Uni auf den Schild gehoben worden. Denn an FU und TU dürfen nicht nur die Kuratorien, sondern auch die Akademischen Senate Präsidentschaftskandidaten nominieren. Ihre gewünschten Vizepräsidenten können die Präsidenten im Vorfeld ihrer Wahl schon als Schattenkabinett präsentieren (so hat es TU-Präsident Christian Thomsen gemacht). Oder sie schlagen ihre Vizepräsidenten nach ihrer Wahl vor (an der FU werden dabei üblicherweise Mitglieder aller Professorenlisten berücksichtigt).
Auf diese Weise gehen FU und TU bei der Präsidentenwahl kein allzu großes Risiko ein. Die Kandidaten sind an der Basis bekannt genug, FU und TU müssen nicht allein der Menschenkenntnis der Kuratoren vertrauen. Gehen die Auffassungen über Kandidaten und über Inhalte auseinander, können sie in Kampfabstimmungen geklärt werden, was die Luft reinigt. Allerdings bedeutet dieses basisorientierte Verfahren auch, dass angesichts der Absprachen in den Gremien externe Bewerber kaum Chancen haben – anders als an der HU. Dass die TU und FU mit ihren Präsidenten schlechter gefahren sind als die HU mit ihren, ist aber nicht zu erkennen.
Wie will Kunst sich nach allem bei der anstehenden Wahl des Vizepräsidenten für Lehre verhalten? Kunst sagt, sie wolle es vom Verlauf des Verfahrens abhängig machen, ob sie darlegt, wie sich „die Pros und Contras der Kandidaten aus Sicht der Exekutive“ ausnehmen.
Anja Kühne
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