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Ein farbiges Glasdach wirft vielfarbige Reflexionen auf den Fußboden einer Eingangshalle, durch die Menschen gehen.
© Universität Konstanz/Stefan Greitemeier

50 Jahre Universität Konstanz: Humboldt am Bodensee

„Ein Model(l) wird 50“: Die Universität Konstanz feiert sich als erste Reformhochschule der Bundesrepublik.

Mit ihren mehrstöckigen Zweckbauten, die sich von den rot bedachten Rändern her zu einem weiß-grauen Hochhauskomplex auftürmen, wirkt die 1966 gegründete Universität Konstanz auf den ersten Blick wie eine Wissensfabrik. Doch der bis 1972 erbaute Campus ist eingehegt von Wäldern und Wiesen, idyllisch liegt er am Ufer des Bodensees. Hier gehört eine Universität hin, soll Georg Kiesinger, der damalige Ministerpräsident Baden-Württembergs, beschlossen haben, als er die Szenerie Ende der 50er Jahre bei der Rückkehr aus Italien betrachtete. Am morgigen Dienstag jährt sich die Grundsteinlegung zum 50. Mal – und die Universität feiert sich unter dem Motto „Konstanz – ein Model(l) wird 50“.

Letzte Reform im Humboldt'schen Geiste

Eine Modell-Universität nicht nur für die hochschulfreie Region im äußersten Süden der Republik sollte Konstanz werden. Anders als die „Entlastungs“-Gründung Bochum, die Zehntausende zusätzlicher Studienanfänger aufnehmen sollte, wurde die Uni Konstanz ausdrücklich nicht als Antwort auf die Bildungsexpansion konzipiert. Vielmehr galt sie als „letzte Reform aus Humboldt’schem Geiste“, wie der Soziologe Ralf Dahrendorf, Mitglied des Gründungsausschusses der Universität und einer ihrer ersten Professoren, 2006 zum 40. Jubiläum erklärte. Allerdings sei „Humboldt“ vom Kopf auf die Füße gestellt worden: Die Berliner Gründung von 1809 wurde unter Hegels Ägide um die Philosophische Fakultät herum ausgebaut. In Konstanz sollten nun die „modernen Erfahrungswissenschaften“ im Zentrum stehen, die ihre Erkenntnisse auf Daten aus Feldforschung und Labor stützen – verbunden mit dem Humboldt’schen Programm, die Lehre aus der Forschung hervorgehen zu lassen.

Ein Universitäts-Campus mit moderner Hochhausarchitektur liegt in der Nähe eines Seeufers und inmitten von Wiesen und Wäldern.
Beste Lage. Konstanz sollte bei der Gründung 1966 anders als Bochum keine Universität für die Studentenmassen der Bildungsexpansion sein, sondern eine moderne Reformhochschule in Humboldt’schem Sinn.
© Universität Konstanz/Michael Kieninger

Verzicht auf Talare, die Unbeliebtheit von feierlichen Akten

Nicht nur architektonisch wollen die Gründerväter mit Traditionen brechen: „Dazu gehören der Verzicht auf Talare, die Unbeliebtheit von feierlichen Akten, das Fehlen von Korporationen, Ungezwungenheit im Gebrauch von Titeln“, konstatierte der erste Rektor Gerhard Hess 1968. Die institutionelle Reform bestand etwa darin, keine Institute, sondern Fachbereiche und nur drei Fakultäten zuzulassen. Die Lehrstühle blieben erhalten, aber mit einer minimalen Grundausstattung. Wer forschen wollte, musste Mittel jeweils beim zentralen Ausschuss für Forschungsförderung beantragen.

Studierende entscheiden mit über Professorenberufung - bis 1972

Konstanz wagte als eine der ersten Unis „die Mitwirkung aller Personengruppen“. 1968 gab es einen drittelparitätisch mit Professoren, Assistenten und Studierenden besetzten Großen Senat. Letztere durften etwa bei der Berufung neuer Professoren mitbestimmen. Hatte die Landesregierung der Reformuni anfangs gerade hierfür freie Hand gegeben, kam es 1972 zum Eklat. Eine neue Grundordnung des Landes stellte die Professorenmehrheit wieder her. Gründungsrektor Hess schied empört aus dem Amt.

Was ist heute von den Reformen übrig? Rektor Ulrich Rüdiger, seit 2009 im Amt, nennt zuerst die interne Mittelvergabe, die dem Gründungsideal folge. Noch immer werden die „Betriebsmittel“ für eine Professur anhand der geplanten Forschungsprojekte vom Ausschuss für Forschungsfragen zugewiesen. „Das ist absolut aktivierend für alle“, sagt Ulrich Rüdiger. Dieser „Spirit“ sei seiner Uni auch in der Exzellenzinitiative zugutegekommen. 2007 wurde sie unter dem langjährigen, im März dieses Jahres verstorbenen Rektor Gerhart von Graevenitz zur Elite-Uni gekürt.

Konstanz als "aktive Reformuniversität"

Erfolgreich war die Uni mit ihrem Zukunftskonzept „Modell Konstanz – für eine Kultur der Kreativität“, mit dem Cluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“ und einer Graduiertenschule; eine zweite kam 2012 hinzu. In Rankings spielt die mit gut 11 000 Studierenden und 200 Professoren nur mittelgroße Universität vorne mit. Im April ist sie aus dem „Times“-Higher-Education-Ranking als beste deutsche Uni unter den unter 50-jährigen Neugründungen hervorgegangen, weltweit kam sie auf Platz 7.

Hochschulforscher Georg Jongmanns vom HIS-Institut für Hochschulentwicklung sieht Konstanz als aktive Reformuniversität. Die Mittelverteilung mit ihren „Versprechen in die Zukunft“ statt der in der leistungsbasierten Mittelvergabe mittlerweile üblichen Honorierung im Nachhinein führe zu einem „sehr lebendigen Austausch über die Fächer hinweg“. Zudem stelle Konstanz dabei qualitative vor quantitative Parameter. Vorbildlich sei auch das „hohe Bewusstsein für die Karriereentwicklung des wissenschaftlichen Nachwuchses“. Aus den Exzellenz-Mitteln finanziert Konstanz das „Zukunftskolleg“, an das jährlich zehn junge Postdoktoranden für fünf Jahre berufen werden. Sie bewerben sich mit Forschungsprojekten, können eine Nachwuchsgruppe aufbauen und werden an ihren Fachbereichen in die Lehre eingebunden.

Detailverliebte Jubiläumsfeier - und ein Schatten aus der Nazi-Zeit

Und wie soll es weitergehen in der Exzellenzinitiative, über deren Fortsetzung soeben die Ministerpräsidentenkonferenz entschieden hat? Der Physiker Ulrich Rüdiger ist zuversichtlich, dass es gelingt, die künftig verlangten zwei Clusteranträge durchzubringen. Das bestehende habe Ideen für eine neue Phase, vier weitere Cluster-Initiativen „arbeiten hart und konzentriert“. Mit nur einem Cluster im Verbund mit einer anderen Uni anzutreten, komme für Konstanz nicht infrage: „Für nationale Verbünde sind wir geografisch zu isoliert.“

Die Scheu vor feierlichen Akten ist überwunden

Eines hat Konstanz in den vergangenen 50 Jahren ganz sicher überwunden – die Scheu vor feierlichen Akten. Die Party zum runden Geburtstag hat lange vor dem offiziellen Jahrestag der Grundsteinlegung am 21. Juni begonnen und wird in dieser Woche mit Liebe zu Details der Unigeschichte fortgesetzt. So gibt es eine Neuauflage der ersten Universitäts-Vorlesung vom 21. Juni 1966 im „Inselhotel“, die der Politikwissenschaftler Waldemar Besson zum Thema „Die großen Mächte“ hielt. Katharina Holzinger, Konstanzer Professorin für Internationale Politik und Konfliktforschung, interpretiert das Thema aus heutiger Perspektive.

Ein "Model", das sich auch mit 50 noch auf den Laufsteg traut

Verspielt ist schon das Jubiläumsmotto „ein Model(l) wird 50“. Modell-Universität sei und bleibe Konstanz, das englische „Model“ stehe zum einen für die Internationalisierung der Uni, erklärt Ulrich Rüdiger. Zum anderen spiele man auf das „Model“ an, das zur Gründungszeit noch „Mannequin“ hieß und sich auch mit 50 noch auf akademischen Laufstegen sehen lassen kann.

Stolz ist man zudem auf die berühmten Namen, die sich noch lange nach der Gründungszeit mit Konstanz verbanden, etwa auf die Anglistin Aleida Assmann, den Historiker Jürgen Osterhammel oder den Philosophen Jürgen Mittelstraß, der Ende der 90er Jahre eine neue große Strukturreform der Universität vorgeschlagen hat.

Die Architektur!

Auch die Architektur, für Dahrendorf eine der „großen Errungenschaften von Konstanz“, wird zum Jubiläum mit einem üppigen Bildband in Szene gesetzt. Ein zweiter Blick auf die von Horst Linde geschaffenen Bauten lohnt sich allemal – von außergewöhnlichen Dachkonstruktionen bis zur oft atemberaubenden Gestaltung im Inneren. Faszinierend ist auch die Kunst am Bau, darunter Otto Pienes aus 227 farbigen Pyramiden bestehendes Glasdach über dem Eingangsbereich.

Der Fall Jauß: Berühmter Romanist mit SS-Karriere

Überschattet werden die Feierlichkeiten von einer Geschichte, die nicht vergehen will. Der Fall des Gründungsprofessors und einflussreichen Romanisten Hans Robert Jauß (1921–1997) treibt die Universität seit Mitte der 90er Jahre um, als die SS-Mitgliedschaft Jauß’ öffentlich wurde. Er war als SS-Hauptsturmführer „qua eigener Befehlsgewalt an Kriegsverbrechen beteiligt“, wie Rektor Rüdiger sagt. Doch auch nachdem die Universität davon wusste, wurde der 75. Geburtstag des Begründers der „Konstanzer Schule der Literaturwissenschaft“ mit einer akademischen Feier groß begangen.

"Die Universität hatte also doch ein Erbe"

Für ihn sei es als Rektor selbstverständlich gewesen, den Fall Jauß wissenschaftlich aufarbeiten zu lassen – auch gegen den Widerstand etwa des Altrektors Bernd Rüthers, sagt Rüdiger. Das Gutachten des Potsdamer Historikers Jens Westemeier wurde 2015 veröffentlicht. Soeben hat sich wie berichtet der Potsdamer Romanist Ottmar Ette mit seinem neuen Buch „Der Fall Jauß“ in die Debatte eingeschaltet. Rektor Rüdiger will, dass sich auch seine Hochschule dem Fall weiterhin stellt. Eine verantwortungsvolle Auseinandersetzung könne der Neugründung von vor 50 Jahren zeigen: „Die Universität hatte also doch ein Erbe.“

Streit um den Fall Jauß: Konstanzer Altrektor erklärt seine Position

Bernd Rüthers, der von 1991 bis 1996 Rektor der Universität Konstanz war, wehrt sich gegen die Darstellung seiner Rolle im Streit um den Konstanzer Romanisten Hans Robert Jauß.

Rüthers legt Wert auf folgende Feststellung: Kritisiert worden sei das Vorgehen des Rektors Rüdiger nicht allein vom „Altrektor Rüthers“, sondern in einem gemeinsamen Brief des Philosophen Jürgen Mittelstraß und der beiden Amtsvorgänger Rüdigers, Rüthers und Sund. Ihre Kritik habe sich „gegen das rechtsstaatswidrige Verfahren der Universität“ gerichtet, schreibt Jurist Rüthers in einer Mail an den Tagesspiegel.

Gemeint ist ein Theaterstück zum Fall Jauß von Gerhard Zahner, dessen Aufführung Rüdiger 2014 zuließ, bevor ein von der Unileitung in Auftrag gegebenes wissenschaftliches Gutachten zu Jauß’ NS-Vergangenheit vorlag. Darin sieht Rüthers eine „theatralische Vorverurteilung“. Der im Stück „unterstellte Verbrechenstatbestand“ habe sich „inzwischen als erfunden“ herausgestellt.

Zudem sei Jauß nicht, wie von Rüdiger dargestellt, „qua eigener Befehlsgewalt an Kriegsverbrechen beteiligt“ gewesen, betont Rüthers. Dies sei „nach allen bisherigen Ermittlungen mehrerer Autoren nicht erwiesen“.

Der mit der wissenschaftlichen Dokumentation beauftragte Potsdamer Historiker Jens Westemeier, auf den Ulrich Rüdiger sich beruft, kommt allerdings in seiner im Mai 2015 vorgelegten Studie zu folgendem Urteil: „Tatsächlich führte Jauß 1943 eine Kompanie in Kroatien. Die Einheit war sowohl selbstständig wie auch im Bataillonsrahmen im Partisanenkrieg, dem sog. Bandenkampf, eingesetzt“, heißt es an einer Stelle. Weiter schreibt Westemeier: „Dokumente belegen, dass das Bataillon dabei sog. Sühnemaßnahmen durchführte und Kriegsverbrechen beging; als Kompanieführer trug er in Führungsverantwortung dafür eine Mitverantwortung.“ Nicht nachzuweisen sei laut Westemeier „eine individuelle Tatbeteiligung von Jauß“.

Anmerkung der Redaktion: Der letzte Abschnitt des Artikels wurde später hinzugefügt.

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