Covid-19 und Nahrungsergänzung: Hinweise auf schützende Wirkung des „Sonnenvitamins“ D
Seit Monaten wird diskutiert, ob Vitamin D gegen Covid-19 wirkt. Eine Studie mit Patienten veranlasst nun sogar Regierungen zum Handeln.
Im März erschienen die ersten Studien zu einem möglichen Zusammenhang zwischen Vitamin D und Covid-19-Erkrankungen. Sie schienen zu zeigen, dass Menschen mit niedrigen Vitamin-D-Spiegeln im Blut besonders anfällig für schwere und tödliche Verläufe sein könnten.
Die Tatsache, dass besonders alte Menschen, die oft nicht mehr ins Freie können, um dort unter Sonneneinfluss diese Moleküle in der Haut zu bilden, und Menschen dunkler Hautfarbe, die dafür mehr Sonne als andere brauchen, zu den Risikogruppen gehören, machte den Verdacht zusätzlich plausibel.
Viele Experten aber blieben skeptisch. Mittlerweile aber mehren sich die Stimmen, man solle Personen mit besonderem Covid-Risiko mit Vitamin-D-Nahrungsergänzung versorgen und es auch zu Beginn der Erkrankung verabreichen.
In Großbritannien sollen Risikogruppen Präparate kostenlos bekommen
In Schottland beschloss die Regionalregierung unter Nicola Sturgeon Ende Oktober, Vitamin-D-Pillen kostenlos an Personen abzugeben, die in Pflegeeinrichtungen betreut werden oder sich anderweitig aus Infektionsschutzgründen „abkapseln“ müssen.
Nach Informationen des „Guardian“ folgt auch der Zweig des Nationalen Gesundheitssystems (NHS) in England nun diesem Beispiel – obwohl die Studienlage noch immer nicht eindeutig ist: Manche zeigen kaum Hinweise auf starke Effekte. Und häufig finden sich zwar Zusammenhänge, die aber nicht bedeuten müssen, dass eine Gabe von Vitamin-D in Pillen- oder Kapselform oder auch als Spritze dann hilfreich ist.
Denn, so eines der wichtigsten Argumente der Skeptiker: Wenn etwa bei Personen, die schwer erkranken, niedrige Vitamin-D-Werte im Blut gemessen werden, kann das schlicht ein Symptom ihres schlechten Gesamtzustandes sein. Ihr Organismus wäre dann einfach nicht in der Lage, genügend davon zu produzieren und richtig einzusetzen, so wie er auch zu anderen für eine effektive Abwehr gegen das Virus wichtigen Reaktionen nicht fähig ist.
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Studienergebnisse in diese Richtung gibt es seit langem, zusammengetragen etwa von Philippe Autier und seinen Kollegen vom französischen Nationalen Institut für Krankheitsvorbeugung. Vitamin D von außen zuzuführen, würde dieses Problem dann auch nicht lösen. Auch aus Ländern wie den USA oder Schweden, in denen Vitamin D vielen Nahrungsmitteln beigemengt wird, kommen bisher keine Anzeichen, dass dort Menschen weniger schwer erkranken würden.
Eine Aufsehen erregende „Pilotstudie“
Doch es gibt nun eben doch auch zunehmend Hinweise darauf, dass Patienten von einer Gabe der Substanz, die eigentlich ein Hormon ist und nur aus historischen Gründen noch immer als „Vitamin“ bezeichnet wird, doch profitieren könnten. Im Oktober etwa wurde eine Untersuchung von der Universität Córdoba in Spanien veröffentlicht.
Die Autoren sprechen wegen der noch vergleichsweise geringen Teilnehmerzahl zwar selbst noch von einer „Pilotstudie“, auf die weitere folgen müssten. Trotzdem sind ihre Zahlen überraschend klar: Von 76 Erkrankten bekamen 50 zusätzlich zur normalen Therapie Vitamin D, 26 nicht.
Während von jenen 50 nur eine Person später in intensivmedizinische Behandlung musste und sich zudem ohne Komplikationen erholte, waren es von den 26 aus der Kontrollgruppe 13, also die Hälfte. Zwei von ihnen verstarben.
Es gibt aber auch Kritik an der Zusammenstellung der Patientengruppen. Der Vorwurf: Die mit Vitamin D behandelten Patienten hätten tendenziell weniger schwerwiegende Vorerkrankungen gehabt. Jene weiteren, größeren - und wohl auch sorgfältigeren - Studien wären also wirklich wichtig.
Auch hinsichtlich der Mechanismen, in die die Substanz im Stoffwechsel und Immunsystem eingebunden ist, ist allerdings vieles bekannt und plausibel. So gibt es einerseits in Laborversuchen nachgewiesene Effekte früh im Infektionsgeschehen, die eine Ansteckung, die dann auch zur Erkrankung führt, weniger wahrscheinlich machen oder dem Körper helfen könnten, die Infektion im Frühstadium effektiver zu bekämpfen.
Vitamin D als Bremser eines überschießenden Immunsystems
Im späteren und schwereren Stadium könnten anderen Labor-Studien zufolge das Molekül und seine Stoffwechsel-Abkömmlinge helfen, die Immunreaktion so zu modulieren, dass sie nicht „überschießt“.
Eine zu starke, letztlich selbstzerstörerische Reaktion des Abwehrsystems gilt als das entscheidende Problem bei schweren Verläufen von Covid-19 – zusammen mit anderen fehlgeleiteten biochemischen Prozessen, die etwa zu gefährlicher Blutgerinnung führen können.
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Doch Skeptiker, etwa der Lübecker Pharmazie-Professor Martin Smollich, warnen, dass eine das Immunsystem de facto hemmende Wirkung vielleicht auch dann auftreten könne, wenn sie gar nicht sinnvoll und stattdessen eine vehementere Reaktion der körpereigenen Abwehr nötig wäre.
Christian Karagiannidis von der Lungenklinik Köln-Merheim, der auch wissenschaftlicher Leiter des Intensivregisters der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin“ (DIVI) ist, sagt auf Anfrage, es liefen derzeit Untersuchungen zu all diesen Fragen. „Bisher sind aber alle Studien der Vitamin-D-Supplementation beim Lungenversagen negativ ausgefallen“, so der Mediziner. „Wenn, dann könnte es prophylaktisch etwas bringen, nicht aber, wenn man schwer krank ist.“
Nahrungsergänzung mit Vitamin D gilt, wenn es nicht in Riesendosen genommen wird, als vergleichsweise sicher und nebenwirkungsarm. Was spricht also dagegen, wie Karagiannidis sagt, „prophylaktisch“ gerade im Winter und bei Personen, die wenig Sonnenlicht abbekommen, routinemäßig Vitamin D zu empfehlen?
Auch in Großbritannien scheint die Antwort derzeit noch nicht schlicht „Nichts“ zu lauten. Denn offiziell ist der Beratungsprozess mit Parlament, Gesundheitsministerium und NHS zu Vitamin D noch nicht abgeschlossen.
Ein Problem ist, dass in die laufenden Studien vor allem Personen einbezogen werden, die bereits positiv getestet oder erkrankt sind. Und auf klarere Studiendaten zur Beantwortung der Frage, ob Vitamin D als Teil der Therapie direkt nach der Diagnose sinnvoll ist, kann man in näherer Zukunft durchaus hoffen. Großangelegte Untersuchungen aber, bei denen man herausfinden könnte, ob die vorsorgliche Einnahme der Substanz im Vergleich zu Personen, die kein Vitamin D nehmen, vielleicht zu weniger oder weniger schweren Erkrankungen führt, wären extrem aufwendig.
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Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass man eigentlich alle infrage kommenden Personen erst einmal daraufhin testen müsste, ob ihre Blutwerte tatsächlich einen Mangel anzeigen. Das wäre logistisch angesichts der derzeitigen Belastungen der Gesundheitssysteme und Labors zumindest eine Herausforderung.
Und tatsächlich sind Überdosierungen möglich, die schwerwiegende Folgen haben können. Zudem ist Vitamin D eben ein Hormon, das an sehr vielen Stellen in die körperlichen Regulationswege eingreift. Gabe von außen könnte da auch Folgen haben, die wissenschaftlich bislang kaum ergründet sind.
Auch hierher rührt die Zurückhaltung vieler Experten, es ohne den Grund einer akuten Erkrankung zu empfehlen. Auch die Einnahme ist nicht trivial, denn ohne gleichzeitig etwas Fettiges zu sich zu nehmen, kann der Körper die Substanz gar nicht einschleusen.
Besonders teuer allerdings ist es nicht. Und wenn es schwere Verläufe wirklich deutlich unwahrscheinlicher machen würde, dann würde es sich auch volkswirtschaftlich rechnen. Wichtig - und nicht zu garantieren - wäre es allerdings auch, dass andere Vorsichtsmaßnahmen von Maske bis Abstand im Glauben an die Schutzwirkung der Vitaminpillen nicht vernachlässigt würden.
Eine Anfrage an das Bundesgesundheitsministerium, wie die Bundesregierung derzeit zum Thema Vitamin D bei Covid-19 steht, blieb am Freitag unbeantwortet.