Reaktionen auf die Pisa-Studie: Große Besorgnis – aber doch nur die alten Rezepte
Ministerin Karliczek bringt wieder den Nationalen Bildungsrat ins Spiel, viele sind allerdings ratlos. So reagieren Forscher und Politiker auf die Pisa-Studie.
Bildungsforscher haben sich besorgt über die deutschen Pisa-Ergebnisse gezeigt - und fordern Konsequenzen in der Bildungspolitik. Michael Becker-Mrotzek, Mitautor des aktuellen Pisa-Berichts und Direktor des Mercator-Instituts für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache, sprach in einer ersten Reaktion von "besorgniserregenden Erkenntnissen", die die Studie zutage fördere. So liege der Anteil leseschwacher 15-Jähriger, die lediglich die unterste Kompetenzstufe erreichen, am Gymnasium zwar nur bei zwei Prozent, bei allen anderen Schularten zusammengenommen jedoch bei 29 Prozent.
Fast ein Drittel an diesen Schulen sei kaum in der Lage, den Sinn eines Textes zu erfassen, Informationen herauszufiltern und weiterzuverarbeiten. Der Anteil sei im Vergleich zu den Pisa-Studien 2009 und 2015 um sechs beziehungsweise acht Prozentpunkte und damit erheblich gestiegen.
"Es muss uns unbedingt gelingen, diese Schüler so zu fördern, dass ihre Lesekompetenzen ausreichen für ein selbstbestimmtes Leben in der Ausbildung, im Beruf und in der Gesellschaft. Wir dürfen nicht zulassen, dass sie abgehängt werden", erklärte Becker-Mrotzek.
Über alle Schularten hinweg haben laut der jüngsten Pisa-Studie 21 Prozent der getesteten 15-Jährigen nur eingeschränkte Lesefertigkeiten, sie liegen damit praktisch auf Grundschulniveau.
Die Berliner Bildungsforscherin Petra Stanat forderte eine Verbesserung bei der Qualität von Sprach- und Lesekompetenz. Diese müsse "noch systematischer und konsequenter erfolgen", sagte Stanat dem Tagesspiegel. Stanat leitet das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB), das die Bundesländer bei der Entwicklung und berät.
Die Sprachförderung müsse schon in der Kita beginnen, "denn hier werden die Grundsteine für die weitere Entwicklung gelegt", sagte Stanat. Der hohe Anteil der Schülerinnen und Schüler, die nur ein geringes Kompetenzniveau im Lesen erreichen, sei "unbefriedigend".
"Verbesserungen sind zum Stillstand gekommen"
Insgesamt erzielten die Schülerinnen und Schüler aus Deutschland schwächere Ergebnisse als in der Ausgabe zuvor. Deutschland bleibt aber in allen drei getesteten Bereichen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften über dem OECD-Schnitt - unter anderem deswegen, weil sich auch andere Länder verschlechtern. Dass Deutschland immer noch signifikant über dem OECD-Schnitt liege, sei "gerade auch angesichts der gestiegenen Heterogenität der Schülerschaft ein erfreulicher Befund", sagte Stanat.
Ludger Schuknecht, stellvertretender Generalsekretär der OECD, forderte Deutschland zu mehr Anstrengungen in der Bildungspolitik auf. "Verbesserungen sind zum Stillstand gekommen, Leistungen tatsächlich zurückgegangen", sagte Schuknecht bei der Präsentation der Pisa-Ergebnisse am Dienstagvormittag in Berlin. "Deutschland muss seine Begeisterung für Bildung erneuern und neue Reformen auf den Weg bringen."
Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) forderte erneut eine "nationale Kraftanstrengung für bessere Bildung": "Gehobenes Mittelfeld kann nicht der Anspruch für ein Land wie Deutschland sein." Sie vermisse die Dynamik, die Deutschland nach dem Schock der ersten Pisa-Studie von 2001 ausgezeichnet habe.
Weitere Texte zur Pisa-Studie:
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Karliczek bekräftigte, der Bund erhalte sein Angebot aufrecht, einen Nationalen Bildungsrat einzurichten. "Gerade vor dem Hintergrund der Pisa-Ergebnisse ist es richtig, dass wir uns gemeinsam auf den Weg machen."
Alle Bildungssysteme von der Kita bis zur Hochschule müssten in Deutschland besser verzahnt werden. Karliczek dankte auch den Lehrkräften für ihre geleistete Arbeit. "Was Lehrerinnen und Lehrer angesichts größerer Vielfalt in den Schulen schaffen, wird oft nicht genug gewürdigt."
Hamburgs Schulsenator Ties Rabe, Sprecher der SPD-geführten Länder in der KMK, bezeichnete es gegenüber dem Tagesspiegel als Karliczeks Aufgabe, „die unionsgeführten Länder für eine gemeinsame Konzeption des Nationalen Bildungsrats zu gewinnen“. Konkret schlug Rabe vor, „die Schulzeit stärker auf die Kernkompetenzen Lesen, Schreiben und Rechnen zu konzentrieren“. Dabei sollten Erkenntnisse der modernen Unterrichtsforschung besser als bisher genutzt werden.
Der KMK-Präsident zeigt sich ratlos
Eher ratlos zeigte sich Hessens Kultusminister Alexander Lorz (CDU), aktuell Präsident der Kultusministerkonferenz. Auf die Frage, was die Länder noch zusätzlich zu bereits bestehenden Initiativen leisten könnten, antwortete Lorz: "Ich glaube nicht, dass es irgendwo ein Wundermittel gibt, dass noch keiner gesehen hat." Vielmehr müssten bestehende Programme verstärkt werden.
Der langjährige Bildungsexperte Özcan Mutlu erklärte gegenüber dem Tagesspiegel: „Unsere Schüler*innen schneiden weiterhin mittelmäßig ab, und Chancengerechtigkeit ist weiterhin das größte Problem unseres Bildungssystems! Das können und dürfen wir als Gesellschaft nicht länger hinnehmen. Politiker müssen aus den Gräben raus und endlich gemeinsam an einem Strang ziehen." Es komme auf die Pädagogen an, daher müssten die Besten an Schulen in problematischen Lagen.
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