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Unbeholfenes Flugobjekt. Ein Großtrappen-Hahn kann 15 Kilogramm und mehr wiegen. Er kann auch fliegen und ist damit wahrscheinlich das schwerste Tier überhaupt, das dazu in der Lage ist. Geholfen hat das der Art wenig.
© imago/imageBroker/Christian Naumann

Artenschutz: Große Anstrengung für den großen Vogel

Eine ICE-Strecke wird tiefergelegt. Freiwillige päppeln Küken. Teure Zäune werden gebaut. Ohne solche Hilfe wäre die Großtrappe längst ausgestorben.

Vor ein paar Jahrhunderten häuften sich bei den Obrigkeiten im deutschsprachigen Raum öfters die Beschwerden der Bauern. An Friedrich den Großen persönlich soll ein solches Schreiben gegangen sein. Von Trupps riesiger Vögel war dort die Rede, die etwa im Frühwinter die überlebenswichtigen Gemüsegärten geplündert hätten. Hungrige Großtrappen sollen die Verwüstungen angerichtet haben. Gegenwehr war problematisch, weil nur die Obrigkeit die Vögel jagen durfte. Später kehrte sich die Situation komplett um: Die Bauern bearbeiteten ihre Felder und Wiesen immer intensiver, und die Vögel mussten hungern. Nur, weil ein paar Umweltaktivisten und Bauern schon früh begannen, Schutzmaßnahmen durchzusetzen, gibt es die Tiere nach wie vor in Deutschland und Österreich.

Immigranten aus Nordafrika

Großtrappen sind wirklich groß. Wahrscheinlich sind sie die schwersten derzeit die Erde bevölkernden flugfähigen Tiere überhaupt. Sie bringen bis zu 17 Kilogramm auf die Waage. An dieses Gewicht, das alte Hähne erreichen, kommt nicht einmal der schwerste bisher gewogene Höckerschwan heran, der nur 14,3 Kilogramm wog. „Ursprünglich kommen die Großtrappen vermutlich aus dem Norden Afrikas, wo in Marokko einige von ihnen bis heute überlebt haben“, erklärt der Geschäftsführer des „Fördervereins Großtrappenschutz“, Henrik Watzke.

Vor rund 200 000 Jahren machten sich die riesigen Vögel auf den Weg nach Europa. Auf der Iberischen Halbinsel leben heute noch mehr als 30 000, zwei Drittel des Weltbestandes. Eine andere Gruppe hatte sich anscheinend viel weiter im Osten auf den Weg gemacht und dort die weiten Steppen im Herzen Eurasiens erreicht. Diese ziehen sich im Westen bis nach Ungarn und Österreich. Als die Gletscher der Eiszeit aus Mitteleuropa zurückgewichen waren, tauchten auch hier vor 12 000 bis 15 000 Jahren die ersten Großtrappen auf. Mit der Kälte kamen die kräftigen Tiere gut zurecht, nicht aber mit dem Wald, der sich später in Mitteleuropa ausbreitete. Großtrappen brauchen die offene Steppe, in der sie anschleichende Raubtiere bereits in einiger Entfernung entdecken können und in der viele große Insekten leben. Von denen ernähren sich schon die Küken.

Profiteure der Kulturlandschaft

„Kleine Gruppen von Großtrappen könnten auf großen Lichtungen überlebt haben“, vermutet Henrik Watzke. Als später Bauern die Wälder für ihre Wiesen und Felder rodeten, gaben sie auch den Trappen wieder einen größeren Lebensraum. Auf Wiesen und auch Äckern wogten vor der Einführung von Agrochemie bunte Blütenteppiche. In ihnen waren ähnlich wie in der Steppe viele große Insekten zu Hause. Eine Henne konnte dort die mehr als 10 000 großen Insekten finden, die sie in den ersten beiden Lebenswochen an ihren Nachwuchs verfüttern muss. Anschließend gingen die Küken in jener gar nicht wirklich natürlichen, aber ihnen beste Lebensbedingungen bietenden Kulturlandschaft selbst auf Insektenfang. Je nach Witterung tauchten erst Mitte bis Ende Juni die Sensen der Bauern auf. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Nachwuchs schon ein gewisses Polster angefressen. Die Mahd bedeutete oft sogar, weil die Deckung bietenden Pflanzen nun fehlten, ein kurzfristiges Überangebot an Beute. Und in der Folge wuchsen Wiese und deren Bewohner wieder nach. In der Zeit solcher Blumenwiesen waren die Bestände der Großtrappen in Mitteleuropa am größten.

Bauern waren es später aber auch, die unbewusst und gleichzeitig äußerst effektiv die großen Vögel ihrer Heimat beraubten: Um die Erträge zu steigern, düngten die Landwirte ihre Wiesen. Diese wurden dadurch artenärmer, ließen sich aber immer öfter mähen. Heute gewinnen Bauern bis zu sechs Mal im Jahr Silage und mähen oft bereits im April zum ersten Mal. Die Blütenpflanzen wurden verdrängt. An ihre Stelle traten Gräser. Gleichzeitig verschwand die Insektenvielfalt der einstigen Blumenwiesen. Dazu kamen bald auch Pestizide, die die Insekten weiter dezimierten. So hatten die Großtrappen kaum mehr eine Chance. Nach und nach verschwanden diese Tiere aus Mitteleuropa.

Gelege ausnehmen, um die Art zu retten

Auch in ihren letzten Refugien in der damaligen DDR und den heutigen Bundesländern Brandenburg und Sachsen-Anhalt sowie im österreichischen Burgenland brachen die Bestände ein. In den 1930er Jahren des vergangenen Jahrhunderts lebten noch mehr als 3000 Großtrappen im heutigen Brandenburg. In den 1970ern aber vermehrten sie sich schon nicht mehr aus eigener Kraft. „Engagierte Naturschützer trotzten den Behörden damals erste Schutzmaßnahmen ab“, sagt Henrik Watzke. Das verschaffte zumindest einen Aufschub. Auf den Feldern wurden nun auch die Eier eingesammelt und in menschlicher Obhut ausgebrütet, um anschließend die geschlüpften und großgepäppelten Küken wieder freizulassen. Zudem wurden rund tausend Hektar erheblich extensiver als vorher bewirtschaftet, um dort den Großtrappen langfristig eine neue Heimat zu geben. „Diese Maßnahmen haben seinerzeit das Aussterben der Großtrappen in Deutschland verhindert“, erklärt Torsten Langgemach, der die staatliche Vogelschutzwarte Brandenburg leitet.

Trotzdem schien der Art die letzte Stunde im deutschsprachigen Raum zu schlagen: Lebten 1970 noch etwa 1000 Großtrappen in Deutschland, zählten Naturschützer 1996 gerade noch 57 Tiere, die auf den Belziger Landschaftswiesen, im Havelländer Luch und im Fiener Bruch im Grenzgebiet zwischen Brandenburg und Sachsen-Anhalt lebten. In Österreich war die Situation mit rund 60 überlebenden Großtrappen ähnlich prekär, aus Polen waren die letzten dieser Vögel in den 1980er Jahren verschwunden. Im Herzen Mitteleuropas stand die Art unmittelbar vor dem Aussterben.

Riesenvogel gegen Großprojekt

Die Schutzflächen, auf denen Bauern erheblich weniger intensiv als ihre Kollegen wirtschaften, wurden nun auf 3.800 Hektar ausgeweitet. Insgesamt wurde der Schutz der Tiere verstärkt. Das ging so weit, dass sie fast den Bau der ICE-Strecke zwischen Berlin und Hannover verhindert hätten. Letztlich wurde der Abschnitt im Havelländer Luch zumindest deutlich teurer als geplant. Für zwölf Millionen Euro wurden Dämme aufgeschüttet. Die träge fliegenden Großtrappen kommen damit sicher über die elektrischen Oberleitungen, die auch niedriger als üblich angebracht wurden. Ausgleichsmaßnahmen verbesserten den Lebensraum der Tiere weiter.

Gleichzeitig wurde aber ein alter natürlicher Feind zunehmend zur Bedrohung. Raubtiere mittlerer Größe vertilgten zunehmend Eier und Küken. „Durch die Bekämpfung der Tollwut haben die Füchse stark zugenommen“, sagt Torsten Langgemach. Dazu kamen neue Räuber. Früher in Europa nicht heimische Waschbären und Marderhunde. Sie plündern ebenfalls Großtrappengelege. „Heute gibt es in Brandenburg vermutlich mehr Waschbären als Rotfüchse“, sagt Watzke.

Aktuelle Zählung: 259 Großtrappen in Deutschland

Dagegen hilft nur noch eine Art Naturschutz, bei der Teile der Natur ausgesperrt werden. Das geschieht derzeit auf sechs jeweils zwölf bis 30 Hektar großen Flächen in allen drei Großtrappen-Gebieten. Dort stehen Spezialzäune, die Füchse, Waschbären und Marderhunde weder überklettern noch untergraben können. „Die Großtrappen-Hennen merken rasch, dass sie dort ihren Nachwuchs sicher aufziehen können und brüten ihre Eier innerhalb der Zäune aus“, berichtet Watzke. Der Erfolg lässt sich beziffern: Im Februar 2018 zählten die Artenschützer wieder 259 Großtrappen in Brandenburg und Sachsen-Anhalt, die alle im Großraum um Berlin zu Hause sind. Im Havelländer Luch (93 Tiere) überleben die Vögel inzwischen aus eigener Kraft, in den anderen beiden Gebieten werden noch junge Großtrappen ausgewildert, die in menschlicher Obhut aufwuchsen. Schutz durch Zäune und Ausgleichszahlungen an Bauern, die trappenfreundlich wirtschaften, werden noch lange nötig sein. Dass es in absehbarer Zeit wieder robuste wilde Populationen, die keine solche Extrahilfe brauchen werden, geben wird, gilt ohnehin als unwahrscheinlich.

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