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Eisschild der Insel schwindet: Grönland-Eis schmilzt so schnell wie seit 12.000 Jahren nicht

Nach dem Eiszeitalter trat das Erdklima in eine fast 12.000 Jahre andauernde ruhige Phase ein. Für Grönland könnte sie in diesem Jahrhundert beendet sein.

US-Präsident Donald Trump wollte Grönland kaufen und im Mittelalter soll es dort schon viel grüner gewesen sein als heute. Die Insel im Nordatlantik ist aber vor allem für eines bekannt: Ihr Eisschild schwindet.

2020 war der Eisverlust etwas geringer als im Rekordjahr 2019, aber er lag immer noch deutlich über dem Durchschnitt der Jahre 1981 bis 2010. Ein Forschungsteam um Jason Briner von der US-amerikanischen University at Buffalo hat die Entwicklung jetzt in fast 12.000 Jahre Klimageschichte eingeordnet und in die Zukunft fortgezeichnet.

Wie die Forschenden in der Wissenschaftszeitschrift „Nature“ berichten, wird die Rate des Massenverlustes in diesem Jahrhundert die höchsten Werte des gesamten Holozäns überschreiten, die in etwa in der Größenordnung des heutigen Eisschwundes liegen. Das Holozän ist das gegenwärtige Zeitalter, das vor etwa 11.700 Jahren nach dem Eiszeitalter begann.

Simulationen und Messdaten

„Wenn die Welt auf eine strenge Energie-Diät geht, werden die Werte der natürlichen Variabilität nur geringfügig überschritten“, sagt Briner. Mit dem Begriff der Diät beschreibt er ein Szenario, in dem die globale Erwärmung in diesem Jahrhundert wahrscheinlich auf zwei Grad Celsius begrenzt wird. Anders sehen die Prognosen für das Szenario „Weiter-wie-bisher“ aus. „Die Rate könnte auf etwa das Vierfache der stärksten natürlichen Eisverluste in den vergangenen 12.000 Jahren ansteigen“, sagt Briner.

Das Team mit Expertisen für Modellierung, Eisbohrkerne, Satellitendaten und das Klima vergangener Zeiten hat ein Computermodell des Eisschildes mit detaillierten Rekonstruktionen des Klimas gefüttert, die auf Daten aus Eisbohrkernen beruhen. Es verglich die Ergebnisse mit Messungen der Eisausdehnung heute und zu früheren Zeiten. Die Simulationen reichten von vor 11.700 Jahren bis zum Jahr 2100.

Das Modell lieferte Werte, die mit Ergebnissen heutiger Messungen und auch früheren Größen des Eisschildes übereinstimmten, die anhand geologischer Daten vor Ort eingegrenzt werden können. Messungen des Isotops Beryllium-10 im Geröll, das am Ende von Gletschern zusammengeschoben wurde, lassen Rückschlüsse darauf zu, wie lange es dort gelegen hat und wie lange der Gletscher bis dorthin reichte.

Eine Person bearbeitet Felsgestein mit einer Flex.
Probennahme auf Grönland: Chemische Spuren im Felsgestein zeugen von früheren Bewegungen des Eisschilds.
© Jason Briner

„Wir haben eine sehr detaillierte geologische Geschichte der Bewegungen des südwestlichen Eisrandes zusammengefügt“, sagt Koautor Nicolás Young, von der Columbia University. Und das Modell habe die Vorgänge mit überraschender Genauigkeit abgebildet.

Ergebnisse am unteren Rand

„Das verwendete Ice Sheet and Sea-level system Model ist meiner Meinung nach das am besten für diese Untersuchung geeignete“, sagte Angelika Humbert vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven dem Tagesspiegel. Humbert war an einem Projekt beteiligt, in dem 14 Forschergruppen ihre Eisschildmodelle mit den gleichen Daten gefüttert und berechnet haben, wie stark der Eisschwund in Grönland und der Antarktis bis zum Jahr 2100 zum Meeresspiegelanstieg beitragen wird.

Für Grönland ergaben die Berechnungen ein einheitliches Bild: etwa neun Zentimeter bei anhaltend hohen Treibhausgasemissionen. Für die Antarktis gehen die Modellergebnisse von bis zu 30 Zentimetern stärker auseinander. Der Modellvergleich wurde im Online-Fachmagazin „The Cryosphere“ veröffentlicht.

Briners Team berechnete für Grönland eine Spanne von 2,4 bis 9,9 Zentimeter Meeresspiegelanstieg bis 2100, für drastisch reduzierten bis anhaltend hohen Ausstoß von Treibhausgasen. „Unsere Ergebnisse liegen im unteren Bereich der Modellspanne, sie sind vergleichsweise konservativ“, schreiben die Forschenden.

„Es ist beeindruckend, wie gut das Modell die heutige Eisausdehnung wiedergibt, nachdem es die vergangenen Jahrtausende durchgerechnet hat“, sagt Humbert. Fehler in der Modellierung zu vermeiden, die sich durch die Berechnungszyklen fortsetzen, sei eine große Herausforderung.

Die Eismodelliererin kritisiert lediglich die Übertragung der Ergebnisse vom südwestlichen Eisschild auf seine gesamte Fläche. Der Südwesten ist von Gletschern geprägt, die auf Land enden. In anderen Regionen reichen die Gletscher jedoch aufs Meer hinaus, wo sie im Sommer stärker kalben, was sich auf den Eisverlust auswirkt.

Die kursierende Behauptung, dass Grönland vor rund 1000 Jahren bereits einmal eisarm war, kommentiert die Wissenschaftlerin unzweideutig: “Das ist Quatsch.” Der Schlussfolgerung der Autoren um Jason Briner stimmt sie dagegen zu: „Unsere Ergebnisse sind ein weiterer Beweis dafür, dass niedrige Kohlenstoffemissionen entscheidend sind, um den Beitrag Grönlands zum Anstieg des Meeresspiegels abzuschwächen.“

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