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Lange Leitung. 27 Kilometer ist der vorhandene Beschleuniger LHC lang – ein langer Weg für Techniker. Der Nachfolger wird rund viermal so lang sein.
© AFP

Riesenbeschleuniger FCC: Gigant im Untergrund

100 Kilometer Umfang: Der Beschleuniger LHC am Cern könnte einen gewaltigen Nachfolger bekommen. Eine Designstudie soll diese Woche starten. Doch es gibt einige Konkurrenz.

Es war ein Triumph, der weltweit Schlagzeilen machte: Am 4. Juli 2012 meldeten Physiker in Genf, sie hätten endlich das Higgs-Teilchen, von vielen auch als „Gottesteilchen“ bezeichnet, gefunden. 2013 gab es für die zugrunde liegende Theorie noch einen Nobelpreis. Alle Probleme gelöst, könnte man meinen. Mitnichten.

Der Beschleuniger LHC (Large Hadron Collider), der zurzeit technisch überholt wird, soll noch gut 20 Jahre laufen, um weitere physikalische Fragen zu bearbeiten. Doch viele wird auch er nicht beantworten können, dafür reicht seine Leistung nicht aus. Darum träumen Forscher schon länger von einem noch größeren Teilchenbeschleuniger, mit dem sie weitere physikalische Theorien experimentell überprüfen können.

Möglicherweise wird ein solcher Superbeschleuniger in Genf entstehen. Das europäische Kernforschungszentrum Cern wird in dieser Woche eine Designstudie starten, die herausarbeiten soll, wie eine Anlage aussehen muss, die etwa die zehnfache Leistung des LHC erreicht.

Auf der Jagd nach Dunkler Materie

Davon erhoffen sich Forscher Erkenntnisse, die über das Standardmodell der Teilchenphysik hinausgehen. Diese Theorie, deren letztes Puzzlestück das Higgs-Teilchen war, kann nämlich nur die uns vertraute Materie erklären, aus der wir Menschen, die Erde und die anderen Planeten bestehen. Das Universum enthält jedoch noch weitere Zutaten, etwa die Dunkle Materie. Eine Erweiterung des Standardmodells, mit der sich auch diese seltsame Materieform beschreiben lässt, ist die Supersymmetrie. Darin erhält jedes Elementarteilchen einen supersymmetrischen Partner, ein „Superteilchen“. Nur sind Superteilchen der Theorie zufolge viel schwerer als „Standardteilchen“. Das dürfte einer der Gründe dafür sein, weshalb noch keines entdeckt wurde. Ein Superbeschleuniger könnte es schaffen, solche Schwergewichte nachzuweisen.

Dahinter steckt folgende Überlegung: Ein Beschleuniger bringt Elementarteilchen – etwa Protonen – nahezu auf Lichtgeschwindigkeit und lässt sie dann zusammenstoßen. Dabei wird Energie frei, aus der neue Teilchen hervorgehen. Je mehr Kollisionsenergie vorhanden ist, umso schwerere Teilchen können entstehen. Um die hypothetischen Superteilchen herzustellen (und mit Detektoren nachzuweisen), ist also eine sehr hohe Kollisionsenergie nötig. Physiker geben diese in der Einheit Teraeleketronenvolt (TeV) an. Der LHC schafft maximal 14 TeV.

Stärkere Magnete

Seine Leistung ist dadurch begrenzt, dass er die Protonen mithilfe starker Magnete ständig auf eine Kreisbahn zwingen muss. Hätten sie mehr Energie, würden sie geradewegs davonfliegen, wie der Sitz eines Kettenkarussells, wenn die Kette reißt. Um das Problem zu lösen, gibt es zwei Ansätze: stärkere Magnete sowie eine Kreisbahn, die weniger stark gekrümmt ist. So erklärt sich die gewaltige Länge des potenziellen Beschleunigers von 80 bis 100 Kilometern. Er soll Kollisionsenergien um 100 TeV erreichen.

Wie dieser FCC (Future Circular Collider) aussehen könnte, daran sollen in den nächsten fünf Jahren rund 100 Forscher aus aller Welt arbeiten. Sie werden etwa der Frage nachgehen, wie stark Magnete in 20 oder 30 Jahren sein können. Oder wie die weitläufige Infrastruktur in der Tiefe in Schuss gehalten werden kann, erläutert der Cern-Forscher Michael Benedikt, der die FCC-Studie koordiniert.

Der Weg in den Untergrund ist unabdingbar, denn in einem Beschleuniger entstehen energiereiche Teilchen, wie sie auch in der kosmischen Höhenstrahlung enthalten sind. Um Menschen zu schützen, werden die Anlagen nach unten verlegt, wo die Teilchen vom umgebenden Gestein aufgenommen werden.

Konkurrenz im eigenen Haus

Was der FCC kosten würde, ist völlig offen. Schließlich ist ein Großteil der nötigen Technik noch nicht vorhanden. Es dürfte ein höherer zweistelliger Milliardenbetrag sein. Auch das wird eine maßgebliche Rolle dabei spielen, ob der Beschleuniger tatsächlich gebaut werden wird. Konkurrenz durch andere große Protonenbeschleuniger gebe es bisher nicht, sagt Siegfried Bethke vom Max-Planck-Institut für Physik in München und Vorstand der Deutschen Physikalischen Gesellschaft. „Es gab entsprechende Pläne in den USA, aber die sind praktisch vom Tisch.“ China sei zwar ambitioniert, verfolge jedoch andere Beschleunigertypen, sagt er. Das könne sich zwar in Zukunft noch ändern, doch Bethke sieht dennoch Genf als idealen Standort für so einen Beschleuniger: „Dort gibt es jahrzehntelange Erfahrung mit dieser Technik und die nötige Infrastruktur.“

Gefahr droht von anderer Stelle. Neben einem Protonenbeschleuniger, der vor allem mit hoher Energie punktet, wird am Cern auch an einem Konzept für einen linearen Elektronenbeschleuniger gearbeitet. Mit dieser Technik werden kaum Neuentdeckungen gelingen, aber sie kann vorhandene Teilchen wesentlich genauer untersuchen, was ebenfalls wichtig ist. Zudem gibt es Pläne, in Japan einen Linearbeschleuniger zu bauen, der jedoch mit einer anderen Technik arbeiten würde.

Erst Elektronen, dann Protonen

Das Vorhaben namens ILC (International Linear Collider), bisher vom Cern unterstützt, bekommt jetzt mächtig Konkurrenz. Denn die FCC-Verfechter haben noch einen Trumpf: Um Entwicklungszeit zu gewinnen, schlagen sie vor, dass der künftige Beschleunigerring zunächst für einige Jahre mit Elektronen und Positronen beschickt wird, berichtet der Cern-Physiker Jörg Wenninger. „Das kommt dem Forschungsansatz des ILC schon sehr nahe.“ Es liege auf der Hand, dass nicht zwei Großgeräte gebaut werden, die dann ähnliche Fragen bearbeiten, meint er. Insofern setzt das erweiterte FCC-Konzept das ohnehin schon stockende Unternehmen ILC weiter unter Druck.

Noch ist an eine Großbaustelle in Genf aber nicht zu denken. Zunächst müssen beide Beschleunigerkonzepte weiter entwickelt werden, um zu wissen, was die Geräte überhaupt leisten können. Die Entscheidung, ob und wenn ja, welcher Beschleuniger errichtet werden soll, wird erst nach 2020 fallen. Sie hängt auch davon ab, welche Resultate der LHC in den nächsten Jahren liefert – und welche neuen Fragen er aufwirft.

Ralf Nestler

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